URI: 
       # taz.de -- Sechs Monate Krieg in der Ukraine: Zwischen Hass und Hoffnung
       
       > Putins Angriffskrieg hat weltpolitische Koordinaten verschoben und
       > Gewissheiten ins Wanken gebracht. Selbst wenn die Waffen schweigen, wird
       > er nicht zu Ende sein.
       
   IMG Bild: Im Vorfeld des Unabhängigkeitstages besichtigen die Menschen in Kiew zerstörte russische Panzer
       
       Der 24. Februar 2022 wird als Zäsur in die Geschichte eingehen. An diesem
       Tag gingen die ersten russischen Bomben auf die ukrainische Hauptstadt
       Kyjiw und andere Orte in der Ukraine nieder. Es war ein Schock – nicht nur
       für die Ukrainer*innen, sondern auch für all jene, die die Vorzeichen nicht
       hatten wahrnehmen wollen oder bis zum letzten Augenblick gehofft hatten, in
       Moskau werde doch noch der gesunde Menschenverstand obsiegen.
       
       Seit nunmehr sechs Monaten tobt dieser Krieg. Der Anspruch Moskaus ist
       dabei kein geringerer als der, die Ukraine, der die Existenzberechtigung
       abgesprochen wird, als selbstständigen Staat auszulöschen und von der
       Landkarte zu tilgen.
       
       Diese sechs Monate Krieg haben Spuren hinterlassen. Sie haben weltpolitisch
       Koordinaten verschoben und alte Gewissheiten ins Wanken gebracht. Von dem
       vermeintlichen Ruhm der russischen Armee ist nicht viel geblieben. Anstatt
       die Ukraine im Sturm zu nehmen, verschleißen sich Wladimir Putins Truppen
       in einem Abnutzungskrieg, in dem Zivilist*innen und zivile
       Infrastruktur legitime Ziele sind. Schon jetzt haben sich Namen wie
       [1][Butscha], Irpen und Mariupol in das Gedächtnis vieler Menschen
       eingebrannt – Chiffren für das Schicksal zahl- und wehrloser Männer, Frauen
       und Kinder, die russische Truppen sinnlos in höherem Auftrag abschlachten.
       
       ## Hass auf alles Russische
       
       Dieser Krieg wird nicht nur mit Panzern, Bomben und Kampfflugzeugen
       geführt. Die Schlacht wird auch an der „Informationsfront“ geschlagen –
       unter Ausnutzung aller Möglichkeiten, die die moderne Technik zu bieten
       hat. Eine Quasihinrichtung von Flüchtenden, die sich in Sicherheit zu
       bringen versuchen? Bomben auf Wohnhäuser in Charkiw? Wir sind live dabei.
       
       Der Westen, der sich sehenden Auges in wirtschaftliche Abhängigkeit von
       Russland begeben hat, bekommt die Auswirkungen der „Zeitenwende“ ebenfalls
       empfindlich zu spüren. Kalte Wohnungen im Winter, weil der Kreml, wie schon
       andernorts in der Vergangenheit, Gas und Öl als Waffe einsetzt? Auch das
       hätte man ahnen können. Dennoch gibt es Stimmen, die einem Dialog mit
       Wladimir Putin das Wort reden. Der ist jedoch nur zu Moskaus Bedingungen zu
       haben.
       
       Russland Feldzug hat auch viel mit den Menschen gemacht. Spätestens seit
       der Orangen Revolution von 2004 hält sich hartnäckig die Erzählung, die
       ukrainische Gesellschaft sei tief gespalten. Von wegen. Die existenzielle
       Bedrohung ihres Landes hat die Ukrainer*innen in nie gekannter Art und
       Weise zusammengeschweißt. Gleichzeitig wächst unter vielen Menschen in der
       Ukraine ein Hass auf alles Russische – auch unter denen, die sich qua
       Familie, Sprache und Kultur mit dem einstigen großen Bruder eng verbunden
       fühlten.
       
       ## Die Wunden zu heilen, dürfte Generationen dauern
       
       Allen gegenteiligen Durchhalteparolen des Kremls zum Trotz sind auch in
       Russland erste Verwerfungen unübersehbar. Zwar steht die Mehrheit der
       Russ*innen noch immer hinter dem Kriegskurs Putins. Doch es gibt sie:
       diejenigen, die der Politik ihrer Machthaber die Stirn zu bieten versuchen
       – wohl wissend, dass sie dafür einen Preis zahlen. Doch dessen ungeachtet
       bleibt: Das Verhältnis zwischen Russ*innen und Ukrainer*innen ist
       nachhaltig vergiftet – Wladimir Putin sei Dank. Die Wunden zu heilen dürfte
       Jahre, wenn nicht gar mehrere Generationen dauern.
       
       An diesem Mittwoch, dem 24. August begeht die Ukraine den 31. [2][Jahrestag
       ihrer Unabhängigkeit]. Zu feiern gibt es nichts, die Menschen werden, nicht
       nur in Kyjiw, in Luftschutzkellern sitzen – erschöpft und dessentwegen
       angsterfüllt, was da noch kommen könnte. Wie lange wird dieser Wahnsinn
       dauern, wie wird er die Welt verändern? Wir wissen es nicht. Doch eins ist
       klar: Selbst wenn die Waffen schweigen, wird dieser Krieg nicht zu Ende
       sein.
       
       24 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-dem-Massaker-in-Butscha/!5843396
   DIR [2] /Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine/!5876825
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wolodymyr Selenskij
   DIR Wladimir Putin
   DIR Ukraine
   DIR Russland
   DIR GNS
   DIR Alice Schwarzer
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Verhaftung
   DIR Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Krim
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer: Ruiniertes Lebenswerk
       
       Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben ein „Manifest für den Frieden“
       veröffentlicht. Sie entblößen sich damit als amoralisch.
       
   DIR Biografie über Wolodimir Selenski: Kriegsherr wider Willen
       
       Der Journalist Wojciech Rogacin hat eine gut lesbare Biografie über
       Wolodimir Selenski geschrieben. Sie bringt die polnische Perspektive ein.
       
   DIR Schach und Krieg in der Ukraine: Die Kiewer Eröffnung
       
       Im Park wird Schach gespielt, ob im Krieg oder Frieden. Doch manch großer
       Meister ist ins Ausland abgewandert, und der Schach-Chef ist an der Front.
       
   DIR Russland im Krieg: Moskaus Sommer
       
       In Russland verdrängen viele den Krieg. Doch er kommt immer näher:
       Autobomben, überfüllte Gefängnisse und Explosionen im Urlaub werden Alltag.
       
   DIR Aktivist in russischer Gefangenschaft: Gefangen und verunglimpft
       
       Der ukrainische Aktivist Maxim Butkewytsch kam Ende Juni in russische
       Gefangenschaft. Seine Eltern warten noch immer auf Lebenszeichen von ihm.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Stromausfall im AKW Saporischschja
       
       Wladimir Putin hat per Dekret eine Aufstockung der Streitkräfte um 137.000
       Mann angeordnet. 25 Menschen sterben bei einem russischen Angriff auf einen
       Zug.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: USA kündigen neue Militärhilfen an
       
       US-Präsident Biden will Kiew weitere fast drei Milliarden Dollar fürs
       Militär bereitstellen. Selenski soll an diesem Mittwoch vor dem
       UN-Sicherheitsrat sprechen.
       
   DIR Cyberattacken im Ukrainekrieg: Der Krieg im Netz
       
       Neben physischer Zerstörung wird in Moskaus Angriffskrieg auch die Rolle
       digitaler Angriffe sichtbar. Das Ziel: die kritische Infrastruktur.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Scholz kündigt Waffenlieferung an
       
       Die USA erwarten verstärkte russische Angriffe auf die zivile Infrastruktur
       der Ukraine. Steinmeier spricht der Bevölkerung seine Hochachtung aus.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Unabhängigkeitsfeiern verboten
       
       Aus Furcht vor Angriffen sind in Kiew alle Feiern zum Unabhängigkeitstag
       untersagt. Russland macht ukrainische Geheimdienste für die Tötung Duginas
       verantwortlich.