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       # taz.de -- Krise des nordkoreanischen Sports: Raketen statt Medaillen
       
       > Nordkorea war einst eine starke Sportnation. Doch angesichts der eigenen
       > Abschottung und der UN-Sanktionen ist davon nicht mehr viel übrig.
       
   IMG Bild: Erinnerung an nordkoreanische Erfolge: Judoka Kye Sun-hee gewann 1996 olympisches Gold
       
       Kommen [1][die Olympischen Jugendspiele] bald nach Nordkorea? Seit Monaten
       wird darüber diskutiert: Wenn im Jahr 2024 Gangwon die Winterspiele für den
       Nachwuchs veranstaltet, hätte die südkoreanische Gastgeberprovinz offiziell
       gerne Nordkorea als Co-Veranstalter. „Eine gemeinsame Austragung wäre der
       kräftigste Hebel, um Frieden zu wahren und Krieg weiter vorzubeugen“, sagte
       Choi Moon-soon, der Gouverneur von Gangwon, Anfang des Jahres.
       
       Ideen einer gesamtkoreanischen Austragung gab es schon für die Fußball-WM
       der Frauen 2023 und die Olympischen Sommerspiele 2032. Bisher scheiterten
       sie bereits am zu unregelmäßigen Austausch der zwei Staaten, die seit dem
       Koreakrieg ab 1950 im Kriegszustand verharren. „Wir haben noch Zeit“,
       beteuerte der Politiker Choi im Februar, als er seine Vision der
       Öffentlichkeit vorstellte und auch gleich gestand: Aus dem Norden habe er
       noch keine Rückmeldung.
       
       In Südkorea ist man sich einig, dass sich eine gemeinsame Austragung bei
       kaum einem Wettbewerb so sehr anböte wie bei Winterspielen. Schließlich
       verfügt Nordkorea in der ans südkoreanische Gangwon grenzenden Provinz
       Kangwon über das wettkampftaugliche Skigebiet Masikryong. Das vor knapp
       einem Jahrzehnt eröffnete Resort gilt als luxuriöseste Hotelanlage
       Nordkoreas.
       
       Die Welt zu Gast in einem hochklassigen Skigebiet Nordkoreas: Müsste es
       nicht eine vortreffliche Gelegenheit für den diktatorisch regierten
       Einparteienstaat sein, um die vermeintliche Überlegenheit des eigenen
       Systems anhand des Sports zu demonstrieren? Der nordkoreanische Staat
       ignoriert die Einladung aus dem Süden womöglich, weil aus den eigenen
       Reihen keine Topleistungen zu erwarten wären. Laut einiger Beobachter
       befindet sich Nordkoreas Sport derzeit in der vielleicht schwersten Krise
       seiner Geschichte. Denn mit Beginn der Pandemie [2][schottete sich
       Nordkorea noch stärker ab] als zuvor ohnehin. Sogar zu Russland und China,
       mit denen der ansonsten isolierte Staat bis dahin Handel getrieben hatte,
       wurden die Grenzen geschlossen. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen
       sind 42 Prozent der Bevölkerung unterernährt.
       
       ## Einst Vorbild für Südkorea
       
       Zu den olympischen Sommerspielen von Tokio wurde 2021 keine Delegation
       geschickt, [3][woraufhin das IOC Nordkoreas Nationales Olympisches Komitee
       suspendierte.] Auch von den Winterspielen in Peking Anfang dieses Jahres
       blieb Nordkorea fern. Mit der Suspendierung erhält die Sportwelt eines der
       ärmsten Staaten der Welt auch vom IOC keinerlei Unterstützung.
       
       „Das Sportsystem hat im Moment große Probleme“, sagt Vladimir Tikhonov,
       Professor für Koreanistik an der Universität Oslo. Der gebürtige Russe mit
       südkoreanischem Pass verfolgt den Sport schon länger, sagt mit Blick auf
       die Geschichte des kommunistisch regierten Staates: „In den 1960er und
       1970er Jahren, teilweise auch noch in den 1980ern, schnitt Nordkorea bei
       Sportveranstaltungen oft besser ab als Südkorea.“ Südkorea habe sich in
       seinem Sportfördersystem lange am Norden orientiert.
       
       Gemessen an den begrenzten ökonomischen Möglichkeiten des Staates ist
       Nordkorea über lange Zeit eine erfolgreiche Sportnation gewesen. Bei
       Sommerspielen holte man bis 2016 immer mindestens zwei Medaillen. Wie die
       Sportfördersysteme anderer kommunistisch regierter Staaten beginnt die
       Selektion über die Schule. „Wer für Nordkorea eine Medaille gewinnt, wird
       zu einer Art Held der Arbeit erklärt“, so Vladimir Tikhonov. „Als Belohnung
       erhält man ein importiertes Auto und eine Wohnung in Pjöngjang.“
       
       Als Nationalhelden gelten die Spieler der Fußballnationalmannschaft der
       Männer von 1966, die bei der Weltmeisterschaft in England sensationell
       Italien besiegten und bis ins Viertelfinale kamen. Ebenso die
       Volleyballerinnen, die bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München
       Bronze holten, indem sie Südkorea schlugen. Ähnlich populär ist heute die
       Judoka Kye Sun-hee, die bei den Sommerspielen 1996 in Atlanta die
       favorisierte Ryoko Tamura, die als Japanerin zudem die einstige
       Kolonialmacht Koreas repräsentierte, besiegte und Gold gewann.
       
       ## Schwächung durch Sanktionen
       
       Wie groß die derzeitige Krise des nordkoreanischen Sports ist, erkenne man
       daran, wie alt diese größten Erfolgsgeschichten allmählich werden, so
       Vladimir Tikhonov. Schon vor der Pandemie wurde das zentralstaatlich
       gelenkte Fördersystem empfindlich durch die seit 2017 intensivierten
       UN-Sanktionen geschwächt, die aufgrund wiederholter nordkoreanischer
       Raketentests beschlossen wurden. Sportausrüstungen konnten nicht mehr
       importiert werden.
       
       Im Inland wiederum ist Sport in vielerlei Hinsicht eher etwas für
       Spezialisten. „Breitensport gibt es nicht wirklich“, sagt Vladimir
       Tikhonov, wenngleich Fußball nach wie vor als beliebtester Sport gilt. Dass
       aber allzu bald eine Generation heranwächst, die an das Niveau derer
       heranreicht, die sich 2010 für die WM in Südafrika qualifizierte, deutet
       sich im Moment nicht an. Bei den U23-Asienmeisterschaften schied Nordkorea
       in den letzten zehn Jahren fast jedes Mal in der Gruppenphase aus.
       
       Wenn Nordkoreaexperte Vladimir Tikhonov an den Zustand des nordkoreanischen
       Sports generell denkt, muss er bitter lächeln. Schließlich sollten die
       UN-Sanktionen ab 2017 dazu führen, dass das staatliche Waffenprogramm
       geschwächt würde. „Stattdessen ist Nordkorea heute viel besser gerüstet als
       damals, aber dem Sport und mehreren anderen Lebensbereichen fehlen die
       Mittel.“ Es sei eine Frage der Priorisierung. Und je mehr die Medaillen und
       Turniersiege in Zukunft ausbleiben, desto wichtiger könnten auch für den
       nationalen Stolz weitere Waffentests werden.
       
       24 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lill
       
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