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       # taz.de -- Strafen gegen die „Letzte Generation“: Jetzt werden Gerichte blockiert
       
       > 66 Strafbefehle ergingen bisher gegen Klima-Aktivist*innen der „Letzten
       > Generation“. Die Prozesse wollen die Aktivist*innen jetzt für sich
       > nutzen.
       
   IMG Bild: Wesentlich schlimmer ist ja eigentlich der CO2-Fußabdruck der Menscheit
       
       Berlin taz | In 66 Fällen hat das Amtsgericht Tiergarten bisher einen
       Strafbefehl gegen Klima-Aktivist*innen der Letzten Generation
       ausgesprochen. In zahlreichen Aktionen hatten diese seit dem Frühjahr
       Straßen und Autobahnauffahrten blockiert und so auch den Berufsverkehr
       behindert – um auf die unbestreitbare Dringlichkeit von Maßnahmen gegen die
       Klimakrise hinzuweisen. In 24 Verfahren gibt es allerdings Einsprüche von
       Aktivist*innen, sodass es nächste Woche zu ersten Prozessen kommt. Bislang
       ist noch kein Strafbefehl rechtskräftig.
       
       In den Verfahren wird den Beschuldigten jeweils Nötigung und Widerstand
       gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Am 30. August wird das Verfahren
       gegen den 20-jährigen Nils R. eröffnet, der sich am 29. Juni an einer
       Straßenblockade im Bereich der Autobahn BAB 100 in Berlin-Wedding beteiligt
       haben und sich mit Klebstoff an der Fahrbahn befestigt haben soll. Im
       Strafbefehl hat die Staatsanwaltschaft 30 Tagessätze beantragt – insgesamt
       soll es um eine Geldstrafe von 450 Euro gehen.
       
       Der 49-jährige Beschuldigte Michael W. wiederum sollte insgesamt 2.500 Euro
       in 50 Tagessätzen zahlen, sein Prozess soll am 1. September beginnen. Er
       soll sich an drei Blockaden im Januar in Wedding, Moabit und Pankow
       beteiligt haben, zweimal davon soll er sich auch an die Fahrbahn geklebt
       haben. Die [1][Höhe der Tagessätze] orientieren sich am Einkommen des
       Beschuldigten, die Anzahl nach der Schwere des Vergehens.
       
       Die Staatsanwaltschaft beantragt Strafbefehle in der Regel bei leichter
       Kriminalität, um das Verfahren zu vereinfachen. Bei den Strafen handelt es
       sich um Geldstrafen, die von der Staatsanwaltschaft beantragt wurden und
       vom Amtsgericht Tiergarten ohne mündliche Verhandlung erlassen wurden. Laut
       Gericht hat die Staatsanwaltschaft bisher im Zusammenhang mit der Letzten
       Generation 116 Strafbefehle beantragt.
       
       ## „Wir würden auch ins Gefängnis gehen!“
       
       Carla Hinrichs, Sprecherin von der „Letzten Generation“, kündigte gegenüber
       der taz an, in der Regel in allen Fällen Einspruch einzulegen: „Wir wollen
       die Verfahren nutzen und auch vor Gericht klarmachen, dass wir uns in der
       Klimakrise befinden. Ernten fallen aus, Europa brennt, wir haben nur noch
       zwei bis drei Jahre Zeit zu handeln – das werden wir auch vor Gericht tun!“
       
       Eine Verurteilung nähmen fast alle in Kauf, die sich an den Aktionen
       beteiligen: „Wir stehen zu allem, was wir gemacht haben. Auch wenn das
       Gericht entscheidet, die Blockaden seien strafbar, nehmen wir das hin. Wir
       würden auch ins Gefängnis gehen. Unser Handeln ist gerechtfertigt, weil der
       Klimanotfall gegeben ist“, so Hinrichs.
       
       Nach den Aktionen der „Letzten Generation“ gab es von verschiedenen Seiten
       Kritik an der Justiz, dass diese nicht schnell genug gegen
       Aktivist*innen vorginge, Vorverurteilungen inklusive: Im
       sozialdemokratischen bis rechtspopulistischen Spektrum von [2][Berlins
       Law-and-Order-Politik] klang es fast so, als wenn Straßenblockaden
       schlimmer als die Klimakrise selbst seien.
       
       Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte: „Ich will
       noch einmal festhalten, dass es gar keinen Zweifel daran gibt, dass es sich
       um Straftaten handelt“, und forderte ein härteres durchgreifen.
       Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte, dass sie Anklagen und
       Verurteilungen erwarte. Die Polizeigewerkschaften GdP sprach von einer
       „Geiselhaft“ der Autofahrenden – und natürlich stimmten auch
       Boulevardpresse sowie die rechtspopulistische Deutsche Polizeigewerkschaft
       DPolG ein, ebenso wie die extrem rechte AfD, die gleich von Terror spricht.
       
       ## Generalstaatsanwältin widerspricht Justizschelte
       
       Berlins [3][Generalstaatsanwältin Margarete Koppers] wies die Kritik zurück
       – und kritisierte ihrerseits Kompetenzüberschreitungen der Regierenden und
       Innensenatorin sowie die allgemeine Justizschelte vehement. Den
       Polizeigewerkschaften riet sie gar, sich mal mit dem Rechtsstaatsprinzip
       auseinander zu setzen. Verfahren dauerten nun mal ein wenig, zumal es um
       die sorgfältige Prüfung von Dingen wie Versammlungsrecht und das
       Freiheitsrecht von Blockierten ginge.
       
       Wohl auch wegen des öffentlichen Drucks war die Polizei gar dazu
       übergegangen, Gebührenbescheide in Höhe von 241 Euro für das Ablösen von
       festgeklebten Aktivist*innen an diese selbst zu verschicken. Laut
       [4][Tagesspiegel] hat die Polizei bislang 63 solcher Gebührenbescheide
       verschickt. Die Letzte Generation reagierte darauf [5][mit einem
       Spendenaufruf], der bislang rund 17.000 Euro einbrachte – immerhin ein
       Vielfaches der erhobenen Gebühren. Auch bei etwaigen Geldstrafen sei es
       eine Möglichkeit, diese über Spenden zu finanzieren, sagte Hinrichs der
       taz.
       
       Die Spendenbereitschaft zeigt wiederum, dass es auch viele Fürsprecher für
       die Aktionen gibt. Der Rechtsprofessor Tim Whil etwa hält friedliche
       Sitzblockaden für eine Protestform von höchsten demokratischen Weihen – als
       Ausdruck eines zivilgesellschaftlichen Korrektivs und „ungezähmten“
       Ausdrucks des demokratischen Prinzips. Verfassungsrechtlich seien
       Sitzblockaden legitim. Damit setzt Whil zumindest ein [6][Fragezeichen
       hinter deren Strafbarkeit] sowie den Tatbestand der Nötigung. Andere
       fordern demgegenüber gleich [7][eine Kriminalisierung derjenigen], die den
       Klimaschutz blockieren.
       
       Die Bewegung hat sich gewissermaßen als radikalere Variante der „Fridays
       for Future“-Bewegung gegründet. Ihr Motto ist: „Wir sind die erste
       Generation, die den beginnenden Klimakollaps spürt, und die letzte
       Generation, die noch etwas dagegen tun kann.“
       
       ## Aktivist*innen kleben sich an Gemälde
       
       Die Proteste und Aktionen gehen unterdessen weiter: Die Aktivist*innen
       kleben sich derzeit auch an berühmte Gemälde in Galerien. Am Donnerstag
       etwa in der Berliner Gemäldegalerie „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von
       Lucas Cranach. Die 19-jährige Aktivistin Lina E. sagte: „Wir müssen jetzt
       unsere Kräfte sammeln, wie Maria auf dem berührenden Gemälde, und uns dafür
       einsetzen, dass wir und die Kinder dieser Welt wieder hoffnungsvoll in die
       Zukunft blicken können.“
       
       Am Mittwoch klebten sich Aktivist*innen in Frankfurt am Main an das
       Bild „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“. Das Bild stünde
       symbolisch für den zerstörischen Kurs der aktuellen Politik: „Es zeigt
       Pyramus am Boden liegend, neben ihm ein Schwert, mit dem dieser sich
       aufgrund irriger Annahmen in den Tod stürzte.“ Auch die Bundesregierung
       gehe von falschen Annahmen aus, welche die Gesellschaft gefährdeten:
       „LNG-Terminals und Kohlekraftwerke statt Tempolimit oder kostenloser ÖPNV
       führen uns weiter in tödliches Leid“, heißt es [8][in einer Erklärung]. Am
       Vortag hatten sich Aktivist*innen an Raffaels [9][„Sixtinische Madonna“
       in Dresden] geklebt.
       
       Repression geht aber auch härter als in Berlin: Nach Angaben der Letzten
       Generation befinden sich derzeit weitere Aktivisten gar in schwedischer
       Untersuchungshaft. Kevin H. aus Berlin etwa seit dem 22. August, weil er
       sich an einer Autobahnblockade in Stockholm beteiligt hatte. Ein anderer
       Aktivist, Christian B., sitzt seit dem 17. August in U-Haft – noch bis
       mindestens Freitag, ebenfalls wegen einer „friedlichen Autobahnblockade“,
       wie es hieß. [10][Sprecherin Hinrichs] sagte wiederum dazu: „Wir lassen uns
       nicht durch die Androhung von Gefängnis davon abhalten, alles Notwendige
       dafür zu tun, um Klimakipppunkte und die Vernichtung unserer Zivilisationen
       aufzuhalten.“
       
       25 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ag-berlin-tiergarten-strafbefehle-klimaaktivisten-letzte-generation-strassenblockade/
   DIR [2] /Proteste-der-Letzten-Generation/!5868532
   DIR [3] /Ermittlungen-gegen-Strassenblockierer/!5864020
   DIR [4] https://www.tagesspiegel.de/berlin/aktionen-von-letzte-generation-welle-von-strafverfahren-und-erste-prozesse-gegen-autobahn-blockierer-in-berlin/28612216.html
   DIR [5] https://www.gofundme.com/f/60-x-241?member=20977745&utm_campaign=p_cp+share-sheet&utm_medium=copy_link_all&utm_source=customer
   DIR [6] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/autobahnblockade-sitzblockade-berlin-legal-strafbar-verfassungskonform-noetigung-versammlungsfreheit/
   DIR [7] /Strassenblockaden-von-Klimaaktivistinnen/!5863792
   DIR [8] https://twitter.com/AufstandLastGen/status/1562404428895879168
   DIR [9] https://letztegeneration.de/presse/pressemitteilungen/
   DIR [10] https://letztegeneration.de/presse/pressemitteilungen/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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       kriminalisiert.