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       # taz.de -- Verhältnis zwischen Türkei und Syrien: Die Aussöhnung beginnt
       
       > Regime und Opposition in Syrien müssten sich annähern, so der türkische
       > Präsident. Der unterstützte bisher die Opposition, die sich verraten
       > fühlt.
       
   IMG Bild: Oppositions- statt offizieller syrischer Fahne: Proteste gegen Erdogans Kurswechsel Mitte August
       
       Istanbul taz | Seit mehr als zehn Jahren gehört der türkische Präsident
       Recep Tayyip Erdoğan zu den erbittertsten Gegnern des syrischen Diktators
       Baschar al-Assad. Doch nun sind in Ankara neue Töne zu hören.
       
       Vor gut einer Woche überraschte der türkische Außenminister Mevlüt
       Çavuşoğlu auf eine Frage zur Syrienpolitik seiner Regierung mit einer so
       noch nie gehörten Ansage: „Wir müssen die Opposition und das Regime in
       Syrien irgendwie versöhnen“, sagte er. Sonst werde es nie einen
       „dauerhaften Frieden“ geben.
       
       Am Freitag letzter Woche deutete auch Erdoğan selbst an, dass ein
       weitreichender Wechsel in der Syrienpolitik der Türkei bevorstehen könnte.
       In Bezug auf Syrien sagte er auf der Rückreise von seinem Treffen mit dem
       ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski und UN-Generalsekretär António
       Guterres, ein politischer Dialog zwischen Staaten dürfe niemals abgebrochen
       werden. Die Aussage seines Außenministers wiederholte er: „Die Opposition
       und das Regime in Syrien müssen sich versöhnen.“
       
       Schon die Aussagen von Çavuşoğlu hatten innerhalb der syrischen Opposition
       für große Empörung gesorgt. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten
       in Nordsyrien kam es zu Demonstrationen und Protesten von bisher mit der
       Türkei verbündeten syrischen Milizen. Sogar türkische Fahnen wurden
       verbrannt.
       
       ## Die Türkei versorgte die „Freie Syrische Armee“ mit Waffen
       
       Ein in Istanbul lebender syrischer Oppositioneller, George Sabra,
       twitterte, wenn Erdoğan sich mit Assad aussöhnen wolle, sei das seine
       Sache, die Syrer kämpften aber für eine andere, für die sie einen hohen
       Preis bezahlt hätten und weiterhin zahlen würden.
       
       Bislang wurde die sunnitische syrische Opposition von der Türkei weitgehend
       unterstützt. Erdoğan ließ die „Freie Syrische Armee“ mit Waffen und Geld
       versorgen und machte auch vor der Unterstützung radikal-islamistischer
       Assad-Gegner nicht halt, wenn es nur dem Regime in Damaskus und den Kurden
       in Syrien schadete.
       
       Nachdem Assads Macht von Russland gesichert wurde, konzentrierte sich
       Erdoğan darauf, zumindest eine autonome kurdische Zone in Nordsyrien zu
       verhindern.
       
       vDarum ging es auch, als Erdoğan im Mai dieses Jahres ankündigte, seine
       Armee erneut nach Syrien zu schicken, um die kurdischen YPG-Milizen [1][aus
       einer 30 Kilometer tiefen Zone entlang der Grenze] zurückzudrängen. Daraus
       ist bislang nichts geworden. Nicht nur die mit den kurdischen Milizen in
       einer Anti-IS-Allianz verbündeten USA sind dagegen, sondern vor allem
       Assads wichtigster Verbündeter, Wladimir Putin. [2][Einem erneuten
       türkischen Einmarsch in Syrien] will das russische Staatsoberhaupt nicht
       zustimmen.
       
       ## Erdoğan ist mit dem Unmut der türkischen Bürger konfrontiert
       
       Stattdessen solle sich Erdoğan im „Anti-Terror-Kampf“ endlich mit Assad ins
       Benehmen setzen, sagte Putin zu Erdoğan bei dessen [3][Besuch in der
       russischen Hafenstadt Sotschi] Anfang August noch einmal nachdrücklich.
       
       Seitdem redet die türkische Regierung davon, dass sich Opposition und
       Regime in Syrien versöhnen sollten. Dahinter scheint allerdings mehr zu
       stecken als nur ein taktisches Spiel im Vorfeld eines neuen Feldzuges.
       Erdoğan, der in der Vergangenheit schon häufiger bewiesen hat, dass er
       politische Positionswechsel auch radikal vollziehen kann, scheint
       angesichts des Scheiterns seiner Syrienpolitik bereit, nun weitreichende
       Konsequenzen zu ziehen.
       
       Statt mit Hilfe der syrischen Opposition und der Unterstützung der
       syrischen Flüchtlinge, die er in der Türkei aufgenommen hat, zu einem
       Mitspieler um die Macht in Damaskus zu werden, ist Erdoğan mit dem massiven
       Unmut seiner Bürger konfrontiert. Angesichts der Wirtschaftskrise häufen
       sich Stimmen, welche die rund vier Millionen syrischen Flüchtlinge in der
       Türkei wieder „nach Hause“ schicken wollen. Auch die Kontrolle der Kurden
       in Syrien ist mit dem weiter fest im Sattel sitzenden Assad wohl wesentlich
       einfacher.
       
       Dazu kommt, dass der größte Teil der arabischen Welt sich damit abgefunden
       hat, dass Assad wohl an der Macht bleibt. Auch in Europa und den USA hat
       niemand ein Interesse daran, dass der Bürgerkrieg wieder aufflammt.
       
       So wird in den türkischen Medien bereits darüber spekuliert, ob es
       demnächst zu einem Treffen zwischen Erdoğan und Assad kommt. Die
       Außenminister der beiden Länder, Çavuşoğlu und Feisal al-Mekdad haben das
       bereits im November letzten Jahres getan, wie Çavuşoğlu jüngst beiläufig
       zugab. Das Terrain für ein Treffen von Erdoğan mit Assad scheint
       vorbereitet.
       
       25 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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