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       # taz.de -- Radbahn für Berlin: Radeln unterm Gleis
       
       > Unter der Hochbahn soll von West nach Ost ein Radweg entstehen. Allemal
       > ein schickes Projekt. Aber es treibt nicht die Verkehrswende voran.
       
   IMG Bild: Unter dem Viadukt der U1 in Berlin ist ein schmaler Raum fürs Rad
       
       Berlin taz | Es ist ein schönes Bild, das das Reallabor Radbahn den
       autogeplagten Berliner*innen zeichnet: Wo bislang Müll, Taubenkacke und
       jede Menge Blechkisten den Platz unter dem denkmalgeschützten
       Hochbahnviadukt der U1 verunstalten, soll in Zukunft ein zweispuriger
       Radweg die Lebensqualität der Hauptstädter*innen verbessern.
       Animationen und Zeichnungen zeigen eine grüne Oase für Radler*innen, die
       geschützt vor Wind und Wetter durch drei Berliner Bezirke rollen oder sich
       am Rand bei einem Kaffee entspannen können.
       
       Nichts weniger als einen „Ort der Begegnung und Bewegung“, „des Aufatmens
       im oftmals chaotischen Stadtgewühl“ und einen „vielfach erfahrbaren
       Stadtraum“ versprechen die Planer*innen des [1][neun Kilometer langen
       Radwegs unter der U-Bahn-Linie], der vom Bahnhof Zoo im Westen der Stadt
       bis zur Oberbaumbrücke im Osten führen soll.
       
       Bereits seit 2015 gibt es die durchaus charmante Idee der Radbahn, die
       diese Woche noch bis Sonntag auch mit Aktionstagen vorgestellt wird. Anhand
       einer Ausstellung, Vorträgen und Führungen sollen sich die
       Berliner*innen selbst ein Bild machen von dem Projekt, das vom Bezirk
       Friedrichshain-Kreuzberg, dem Land Berlin und dem Bund mit 3,3 Millionen
       Euro gefördert wird und mit dem renommierten Bundespreis Ecodesign
       ausgezeichnet wurde.
       
       Was dort präsentiert wird, klingt wie ein schöner Traum – und das wird es
       auch eine ganze Weile bleiben. Denn eine Preisverleihung und farbenfrohe
       Animationen machen noch keine Realität, und bis das ambitionierte Projekt
       realisiert ist, werden wohl viele Jahre vergehen.
       
       ## Kostet viel, bringt wenig
       
       Bis zum Spätsommer 2023 sollen in Kreuzberg lediglich einige Hundert Meter
       Testfeld entstehen, wann die neun Kilometer fertiggestellt werden, steht in
       den Sternen. Das liegt nicht nur an aufwendigen Planungs- und
       Genehmigungsverfahren, es sind auch [2][noch längst nicht alle Fragen des
       genauen Verlauf]s, etwa an Kreuzungen oder U-Bahnhöfen, geklärt.
       
       Auch verengt sich die Fahrbahn unter dem Viadukt an einigen Stellen auf
       einen Meter, laut Berliner Mobilitätsgesetz ist jedoch eine Breite von 3,50
       Metern nötig, um einen sicheren Verkehr in zwei Richtungen zu
       gewährleisten.
       
       Fahrradverbände wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club sind trotz alledem
       froh über das Experiment, das den öffentlichen Raum jenseits des
       Autoverkehrs denkt. Ausreichend ist das allerdings nicht. Denn im
       Mobilitätsgesetz steht auch, dass in Berlin bis 2030 ein stadtweites
       Radnetz gebaut werden soll.
       
       [3][Davon ist die Hauptstadt jedoch meilenweit entfernt], in den
       vergangenen vier Jahren wurde laut der Radorganisation Changing Cities
       lediglich etwas mehr 1 Prozent des geplanten 850 Kilometer langen
       Vorrangnetzes errichtet. Ganz zu schweigen von der vorgesehenen Erweiterung
       und Verbreiterung bestehender Radwege, die vielerorts nur unter
       Lebensgefahr benutzt werden können.
       
       Doch statt die dringend notwendige Mobilitätswende konsequent umzusetzen
       und Autos den Platz zugunsten von Radler*innen und Fußgänger*innen
       großflächig wegzunehmen, schmückt sich Berlin lieber mit einem Projekt, das
       zwar nett klingt und Architekt*innenherzen höher schlagen lässt, aber
       im Endeffekt wenig bringt, viel kostet und lange dauert.
       
       Was Berlin braucht, ist keine hübsche preisgekrönte Radbahn in ferner
       Zukunft, sondern Hunderte geschützte Fahrradwege sofort. Doch dafür müsste
       sich die Politik mit den Autofahrer*innen anlegen, die erbittert um
       jeden Meter Asphalt kämpfen, als gehörte ihnen die Stadt alleine – und
       dafür fehlt ihr scheinbar der Mut.
       
       27 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Frank
       
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