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       # taz.de -- Umweltfrevel Schottergärten: Der Tod im Vorgarten
       
       > Laut Vorschrift sollen Gärten eigentlich grün sein. Manchen aber ist das
       > viel zu lebendig, sie schauen lieber auf Schotter vor dem Haus.
       
   IMG Bild: Eine recht eingeschränkte Lebendigkeit im Garten vor dem Haus
       
       Es liegen immer mehr Steine in den Vorgärten. Als gingen nachts Riesen
       durch die Wohngebiete und rissen alle Pflanzen aus, um sie durch Steine zu
       ersetzen. Aber tatsächlich sind es keine Riesen, sondern Gartenbaubetriebe
       oder die Hausbesitzer:innen selbst, die Tonnen von Schotter in ihre
       Gärten streuen in der Hoffnung, dass dort nie wieder etwas wachsen wird.
       
       Der Schotter ist auf dem Vormarsch, aber zugleich wächst der Protest
       dagegen, so sehr, dass auch die Politik einschreitet. Aber der Kampf gegen
       die Versteinerung zeigt bislang wenig Erfolg, und wer fragt, warum das so
       ist, kann etwas lernen über die Unantastbarkeit des Vorgartens und den Reiz
       vollkommener Kontrolle.
       
       Der [1][Berliner Biologe Ulf Soltau] hat die Schottergärten schon eine
       Weile im Blick, zum ersten Mal sind sie ihm in den frühen 2010er Jahren
       begegnet, als in einer Gartengruppe Bilder davon gepostet wurden und er der
       einzige war, der deutliche Worte dagegen fand. So deutliche, dass die
       Gartengruppe und er getrennte Wege gingen, aber sein Zorn blieb.
       
       Offizielle Zahlen zur Verbreitung der Schottergärten gibt es nicht, nur
       eine Umfrage des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau
       aus dem Jahr 2019, und man sollte dazu sagen, dass der Bundesverband im
       Rahmen seiner Kampagne [2][„Rettet den Vorgarten“] fragte. Demnach sind 15
       Prozent der deutschen Vorgärten größtenteils versiegelt, also gepflastert
       oder mit Kies und Schotter bedeckt.
       
       ## Die Unterwerfung der Natur
       
       Die Schottergärten sind für Soltau ein „Riesen-Umweltfrevel“, weil sie
       oberhalb und unterhalb der Erdoberfläche alles Leben vertreiben. Das
       Plastikvlies, das in den Boden eingegraben wird, damit keine Pflanzen
       keimen, sorgt dafür, dass auch der Boden darunter wie versiegelt ist und
       seine Fruchtbarkeit verliert. „Der Boden gilt wegen seines Artenreichtums
       als unser Regenwald“, sagt Soltau, „und da wird er ohne Not mit Plastik
       überdeckt“.
       
       Es ist interessant, dass der Schottergarten so starke Gefühle in seinen
       Gegnern hervorruft. Man „degradiere“ den Boden, sagt Soltau, und vermutlich
       ist es das in Verbindung mit dem „ohne Not“, was ihn so zornig macht: die
       Unterwerfung der Natur und das aus Gründen, die noch schlechter sind als
       die üblichen wie Landwirtschaft und Straßenbau.
       
       Warum eigentlich? 80 Prozent der Schottergärtner:innen erklären in der
       [3][Umfrage des Gartenbauverbandes], dass sie sich von ihrem entgrünten
       Garten Pflegeleichtigkeit erhoffen. 46 Prozent versprechen sich mehr
       Freizeit, etwa genauso viele mehr Platz für Fahrrad, Mülltonne oder Auto.
       Bei den Frauen finden 57 Prozent den Schottergarten schön, er sei
       „zeitgemäß und modern“.
       
       ## Der Zauber des Pflegeleichten
       
       Es ist bitter, dass die Vernichtung alles Lebendigen als zeitgemäß
       empfunden wird, aber wenn man zurückschaut, ist das eine konsequente
       Entwicklung. Schon in den 70er Jahren zogen in die deutschen Vorgärten
       Kirschlorbeer und Thujenhecken ein, die genauso pflegeleicht waren wie die
       Küchentresen drinnen und den heimischen Insekten etwa gleich viel bieten.
       
       Vielleicht steckt dahinter ja mehr als nur der Zauber des Pflegeleichten.
       Vielleicht geht es bei dem Ersetzen von Lebendigem durch Stein um einen
       weiteren Schritt in die wunderbare Welt absoluter Kontrolle.
       
       Natürlich will eine Gesellschaft, die glaubt, Verfall und Sterben
       abschaffen zu können, all das nicht im heimischen Vorgarten betrachten.
       Also kein Blühen und Verblühen, kein Werden und Vergehen, sondern leblose
       Statik. Statt Sterben lieber gleich der Tod im Vorgarten. Wobei das
       letztendlich gar nicht so leblos ist, weil sich nach einiger Zeit fliegende
       Samen auf den Steinen niederlassen und keimen, sodass die
       Schottergärtner:innen sich doch zu Gartenarbeit gezwungen sehen und
       dabei, so glaubt Ulf Soltau, durchaus zu verbotenen
       Unkrautvernichtungsmitteln greifen.
       
       Aber es gibt Gegenwind. Eher sanften, etwa vom [4][Naturschutzbund (Nabu)
       Hamburg], wo man nicht an [5][Verbote] und Kontrollen glaubt. „Unsere
       Erfahrung ist, dass man mit Überzeugungsarbeit mehr erreicht“, sagt Ilka
       Bodmann, die dort die Öffentlichkeitsarbeit macht. Also steht der Nabu bei
       Stadtteilfesten bereit, um den Leuten zu erklären, was ein naturnaher
       Garten ist und was sie für Vögel und Insekten tun können. Es gebe viel
       Nachfrage und viel Unwissen, sagt Bodmann, „die Leute sind ganz erstaunt,
       wenn man ihnen erklärt, dass der Lorbeerstrauch den Tieren nicht hilft“.
       
       Olaf von Drachenfels glaubt nicht mehr ans Informieren, zumindest nicht bei
       Schottergärten. Der Landschaftsplaner ist Mitglied bei der Nabu-Ortsgruppe
       im niedersächsischen Barsinghausen, wo die Politik kein zusätzliches Verbot
       der Schottergärten wollte. In den meisten Landesbauordnungen sind die
       ohnehin nicht erlaubt. Denn die verlangen, dass nicht überbaute Flächen
       begrünt werden. [6][Explizit verboten hat bislang nur Baden-Württemberg]
       die Schottergärten in seinem Naturschutzgesetz, dem sind einzelne Städte
       und Kommunen in ihren Bebauungsplänen gefolgt.
       
       In Barsinghausen breiten sich die Schottergärten weiter aus, als habe es
       nie ein Begrünungsgebot gegeben. Was nützt ein Gesetz, das niemanden
       interessiert?
       
       ## Notwendigkeit von Kontrollen
       
       Von Drachenfels fordert, dass es kontrolliert wird, stichprobenartig wie
       bei den Geschwindigkeitskontrollen. Damit wäre auch das Argument der
       Politik, dass Kontrollen zu aufwendig wären, vom Tisch. Einen Mitarbeiter
       des Ordnungsamts dafür für einen Tag abzustellen, würde völlig ausreichen,
       sagt von Drachenfels, es wäre auch denkbar, mit Luftbildern zu arbeiten, um
       die Arbeit zu erleichtern.
       
       Warum das nicht passiert? „Die Politik will nicht als Verbotspartei
       wahrgenommen werden“, sagt von Drachenfels, und es gelte der Grundsatz vom
       kleinen König auf seinem Grundstück. Wobei das Königtum genau betrachtet
       gar nicht so absolut ist, schließlich gebe es da jede Menge Vorschriften
       bis zum Grad der Dachneigung.
       
       Wie zaghaft ist die Politik? In Hamburg gab es 450 Verfahren wegen
       Schottergärten, hat Ulf Soltau zufrieden am Telefon gesagt, und das klang
       zumindest aus dem fernen Berlin so, als wehe hier ein entschiedener Wind,
       ein Anti-Schotter-Sturm. Tatsächlich hat das Bezirksamt Hamburg-Eimsbüttel
       zwischen 2019 und 2021 ein sogenanntes Verfahren zur Herstellung
       ordnungsgemäßer Zustände eingeleitet, so heißt es in der Antwort auf eine
       Anfrage der örtlichen SPD. Die hat dann in einer Pressemitteilung
       gewürdigt, dass der Bezirk „konsequent gegen Schottergärten vorgeht“ und
       die Medien haben getitelt „Hamburger Bezirk kämpft gegen Schottergärten
       an“.
       
       Aber fragt man in Eimsbüttel nach, dann will man keinesfalls als
       Schotterpolizei gesehen werden. „Teil der Wahrheit ist“, so schreibt der
       Sprecher des Bezirksamts, „dass wir als Bezirksamt keinen Schwerpunkt oder
       eine besondere Aktion gegen Schottergärten gesetzt und initiiert haben“.
       Eine regelhafte Überwachung gibt es nicht, das Amt kontrolliert allenfalls
       stichpunktartig oder geht Hinweisen nach, die vor allem von
       Anwohner:innen kommen. Sogar die Zahl der 450 beanstandeten Gärten
       korrigiert der Sprecher, weil darunter auch andere Vergehen fallen, etwa
       rechtswidrig gebaute Carports.
       
       Lustig, dass das Bezirksamt den Ruhm als Schottergartenjägerin gar nicht
       will, obwohl doch eine gefühlte Mehrheit die Schottergärten ablehnt. 70
       Prozent, so schätzt Olaf von Drachenfels, seien dagegen, 30 Prozent seien
       dafür oder es sei ihnen gleichgültig. Woher er die Zahlen nimmt? Er hat es
       sich abgeleitet aus der Summe der Nicht- und der AfD-Wähler:innen, bei
       denen, so glaubt er, auch keine Infokampagne verfängt, egal wie gut sie
       ist. Von Drachenfels, in dessen Nachbarschaft fast zur Hälfte Schotterwüste
       herrscht, glaubt, dass sie sich noch weiter ausbreiten wird.
       
       Die Schottergegner stehen vor den Gärten wie die Radfahrer:innen vor
       der Flut neu zugelassener SUVs und wenn man sie fragt, wie es wohl
       weitergeht, dann geben sie zwiespältige Antworten. Beschämen müsse man die
       Schotterleute, sagt Ulf Soltau, ihre Gärten gesellschaftlich unmöglich
       machen und dann verweist er darauf, wie viele Kommunen Verbote prüften, das
       sei doch ein „Super-Erfolg“. Olaf von Drachenfels sagt, dass 100 Kommunen
       die Broschüre aus Barsinghausen gegen Schottergärten hätten haben wollen,
       jenem Barsinghausen, wo die Politik niemandem auf die Füße treten will. Und
       sein Vortrag sei so nachgefragt, dass er über die Dörfer ziehe „wie ein
       drittklassiger Schlagersänger“. Wobei zu den Vorträgen die kämen, die
       ohnehin schon Feinde der Schottergärten sind.
       
       Soltau und von Drachenfels sind aus Sisyphos-Holz geschnitzt, wären sie es
       nicht, hätten sie längst das Feld geräumt. Kürzlich saß Soltau in einer
       Talkshow und zeigte seine Bilder von den „Gärten des Grauens“ (die
       [7][unter diesem Titel] auch samt einer Fortsetzung als Buch erschienen
       sind), woraufhin sich alle anderen Gäste schockiert gaben auf eine Weise,
       die vor allem ihre ästhetische Überlegenheit dokumentieren sollte, doch das
       genügt ja schon für Soltaus Projekt der gesellschaftlichen Ächtung. Aber
       ein Gast, ein früherer US-Auslandskorrespondent, war nicht überzeugt: Die
       Schottergärten, so meinte er, seien doch eine sinnvolle Alternative
       angesichts der Hitzewellen, da müsse man nicht gießen.
       
       30 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.garten-landschaft.de/gaerten-des-grauens/
   DIR [2] https://www.galabau.de/rettet-den-vorgarten-2018.aspx
   DIR [3] https://rettet-den-vorgarten.de/bgl-neue-studie-zu-vorgaerten-vorgestellt/
   DIR [4] https://hamburg.nabu.de/
   DIR [5] /Gegen-Gaerten-des-Grauens/!5706464
   DIR [6] /Neues-Naturschutzgesetz-von-Kretschmann/!5695677
   DIR [7] https://www.luebbe.de/eichborn/buecher/humor/gaerten-des-grauens/id_7536131
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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