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       # taz.de -- Waschbären-Plage: „Bejagung allein hilft wenig“
       
       > Waschbären haben sich in der Region Berlin-Brandenburg stark vermehrt.
       > Der Wildtierexperte des Berliner Senats, Derk Ehlert, erklärt warum.
       
   IMG Bild: Niedlich sind sie ja, aber nervig – und für manch andere Tierart sogar eine Bedrohung
       
       taz: Herr Ehlert, in Brandenburg hat die Waschbärenpopulation in den
       letzten zehn Jahren stark zugenommen. Wie ist das in Berlin? 
       
       Derk Ehlert: Ich mache diese Arbeit als Wildtierexperte des Senats seit
       über 20 Jahren. Als ich angefangen habe, gab es vereinzelte Anrufe wegen
       eines Waschbären. Heute klingelt bei uns oder der Nabu-Wildtierpflege
       täglich das Telefon.
       
       Waschbären können zum Beispiel in Dachgeschossen teilweise erhebliche
       Schäden anrichten. „Hilfe, ich habe einen Waschbären im Haus“, heißt es
       dann? 
       
       Oder im Garten oder in der Tiefgarage. Ich gehe mal davon aus, dass in
       Berlin über 1.000 Waschbären leben. Der Waschbär ist ein Generalist, er hat
       gelernt, sich im Stadtraum zurechtzufinden, und passt sich an.
       
       In Brandenburg gibt es drastische Wachstumsraten. Laut einer jüngst vom
       Landwirtschaftsministerium veröffentlichten Presseerklärung wurden 2011/12
       noch 14.500 Tiere durch Bejagung erlegt, 2020/21 waren es bereits 35.000.
       Woran liegt das? 
       
       Die Tiere vermehren sich.
       
       Mehr als früher? 
       
       Der Bestand hat sich aufgrund hervorragender Lebens- und
       Nahrungsbedingungen multipliziert. Wenn es mehr Tiere gibt, werden sie
       sichtbarer und es werden auch mehr erlegt.
       
       Fühlen sich Waschbären in unserer Region denn besonders wohl? 
       
       Nein, in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kommen sie auf
       bestimmten Flächen genauso häufig vor wie in Brandenburg oder Berlin.
       
       Dürfen die Tiere einfach so bejagt werden? 
       
       Waschbären unterliegen dem Jagdrecht und dürfen unter bestimmten
       Voraussetzungen bejagt werden. Sie wurden vor allem wegen des Fells in
       Deutschland eingeführt, essbar sind sie auch.
       
       Haben Sie selbst mal Waschbärfleisch probiert? 
       
       Nein!
       
       Auf den Bildern von der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 waren
       rechte Fans des früheren US-Präsidenten Donald Trump in Waschbärfellen zu
       sehen. Wie ist das in Deutschland? 
       
       Persönlich kenne ich keinen, der eine Mütze aus Waschbärfell trägt.
       Konfektionsstücke aus Waschbärfell waren bis in die 50er Jahre in
       Deutschland in Mode. Deswegen wurden die Tiere auch auf großen Farmen
       gehalten.
       
       Wie sind die Waschbären nach Deutschland gekommen? 
       
       Ursprünglich sind sie in Nordamerika heimisch. Die ersten Nachweise über
       freilebende Waschbären in Deutschland gab es 1936 am Edersee. Ein
       Forstamtsleiter wollte damals die heimische Tierwelt erweitern, vielleicht
       auch, weil er etwas zum Jagen haben wollte. Er hat einige Tiere ausgesetzt,
       vor allem helle Waschbären. Der zweite Nachweis hier bei uns war 1945 bei
       Strausberg. Da gab es einen Farmer, der kein Futter mehr für seine Tiere
       hatte, die zur Fellproduktion genutzt wurden. Er hat die Waschbären einfach
       freigelassen. Das waren vorwiegend dunkle Tiere.
       
       Nach Angaben des brandenburgischen Landwirtschaftsministeriums bekommen
       Waschbären mehr Junge, wenn sie intensiv bejagt werden. Mehrere Studien
       hätten das belegt.
       
       Das ist richtig. Die Jagd ist keine Methode, um nachhaltig – das Wort
       nachhaltig ist ganz wichtig – den Bestand zu reduzieren. Es ist der
       Versuch, die Spitzen zu kappen und den Bestand nicht weiter nach oben
       schnellen zu lassen. Es gibt hierzu eine sehr umfassende Untersuchung von
       Frank Michler …
       
       … Dozent für Wildbiologie an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in
       Eberswalde.
       
       Michler hat in Kassel und an der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern zu
       Waschbären geforscht. Er hat nachweisen können, dass mit der zunehmenden
       Jagd sich auch die Waschbären anpassen und mit höherer Nachkommenschaft
       reagieren.
       
       Das interessiert uns genauer. 
       
       Auf starken Verlust, zum Beispiel durch Jagd, reagieren die Waschbären bei
       anhaltend guten Lebensbedingungen so, dass sie nicht nur mehr Junge
       bekommen, sondern auch mehr weiblichen Nachwuchs. Andersherum ist es so,
       dass Waschbären weniger Junge bekommen und der Anteil der Männchen zunimmt,
       wenn sich die Lebensbedingungen verschlechtern. Das ist sehr spannend,
       Waschbären unterscheiden sich darin von vielen anderen Wildtieren.
       
       Gute Lebensbedingungen, was wäre das?
       
       Viel Nahrung, zum Beispiel in den Gärten mit Kompost, Obst und Gemüse. Die
       Tiere sind Allesfresser, sie fressen Fleisch, Wurzeln, Gräser – oder
       Früchte. In der Natur ist es oft so, dass sich eine Art so lange vermehrt,
       wie die Lebensgrundlagen optimal sind. Verschlechtern sich diese, reduziert
       sich auch die Zahl der Reproduktionen. Bei den Waschbären kommt die
       Besonderheit hinzu, dass die Anzahl weiblicher Nachkommen bei sich
       verschlechternden Lebensbedingungen zurückgeht und der Anteil der
       männlichen Tiere steigt. Männliche Tiere wandern eher ab und suchen neue
       Lebensräume.
       
       Stellt sich der Hormonhaushalt der Weibchen auf die äußeren Bedingungen
       ein? 
       
       Ja, durch weniger Nahrung und mehr Stress sinkt die Reproduktionszahl und
       steigt der Anteil der männlichen Nachkommen.
       
       Was raten Sie Leuten, die einen Waschbären im Haus haben? 
       
       Waschbären bekommt man in der Regel mithilfe von Vergrämungsmaßnahmen
       wieder aus dem Haus. Danach sollte man unbedingt das Haus waschbärsicher
       machen. Tipps dazu gibt es im Internet. In Berlin bieten wir seit letztem
       Jahr in Einzelfällen eine kostenfrei Vor-Ort-Beratung an. Eine Bejagung
       allein würde wenig helfen, da frei gewordene Reviere zeitnah von neuen
       Tieren besetzt werden und im Haus oder andernorts sonst ein neuer Waschbär
       einzieht.
       
       30 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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