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       # taz.de -- Koalition streitet über Gasumlage: Wahnsinnig komplexe Situation
       
       > Es rumpelt noch allenthalben. Aber in der Ampel stehen die Zeichen in
       > Sachen Energiepolitik auf schnelle Einigung.
       
   IMG Bild: Gasumlage? Bundesregierung steckt fest
       
       Hannover/Berlin taz | Eigentlich wollte sich die Ampel mit dem dritten
       Entlastungspaket noch etwas Zeit lassen. Am 12. September treffen sich
       Regierung, Gewerkschaften und Arbeitergeber zur konzertierten Aktion. Das
       wäre ein günstiger Zeitpunkt – ein Beispiel für die Stärke der
       bundesdeutschen Sozialpartnerschaft und Konsensdemokratie. Am 9. Oktober
       wird in Niedersachsen gewählt – auch ein wichtiger Termin. Das zweite
       Entlastungspaket mit Tankrabatt und 9-Euro-Ticket wurde drei Tage vor der
       Saarlandwahl beschlossen.
       
       Jetzt soll alles schnell gehen. Die Debatte um die Gasumlage, bei der der
       grüne Minister Robert Habeck schwer unter Feuer geriet, hat den
       Entscheidungsdruck verstärkt. Am Dienstag und Mittwoch trifft sich das
       Kabinett zur Klausur in Meseberg. Vielleicht soll der Koalitionsausschuss
       abgewartet werden, um Parteien und Fraktionen mit ins Boot zu nehmen. Und
       weitere Störgeräusche zu vermeiden.
       
       In Umrissen ist schon länger absehbar, welche Richtung die Ampel
       einschlagen wird. Studierende, Auszubildende, RentnerInnen, die bei den 300
       Euro Energiepauschale außen vor blieben, sollen diesmal bedacht werden. Das
       Wohngeld und Hartz IV beziehungsweise das Bürgergeld sollen erhöht werden,
       um die Inflation auszugleichen. Die SPD-Fraktion hat am Wochenende in einem
       sechsseitigen Papier ein paar Forderungen zusammengefasst. Es enthält vier
       Kernpunkte: Studierende, Auszubildende, RentnerInnen, aber auch Mittel- und
       Unterschicht, sollen direkt Geld bekommen. Die Höhe lässt die SPD offen.
       Die FDP ist bei direkter Unterstützung zwar skeptisch, aber der Druck, zu
       entlasten, ist groß. MieterInnen, die ihre Nebenkosten nicht zahlen können,
       sollen vor Kündigungen geschützt werden. Allerdings nur sechs Monate,
       nachdem die Nebenkostenabrechnung vorliegt. Das hat gute Chancen: Es ist
       ein starkes Symbol, mit zeitlicher Begrenzung.
       
       Zudem will die SPD-Fraktion ein 49-Euro-Ticket. Die Kosten im einstelligen
       Milliardenbereich sollen sich Bund und Länder teilen. Da blockt die FDP ab.
       Aber das kann sich ändern. Die SPD-Fraktion ist offen für ein von vielen
       Sozialverbänden gefordertes günstiges Grundkontingent für Gas und Strom.
       Das Prinzip: Bis zu einer gewissen Grenze wäre Energie billiger, darüber
       wesentlich teurer. Das hat den Vorteil, gleichzeitig das dringend nötige
       Energiesparen zu fördern und sozial egalitär zu sein. Doch die Forderungen
       der SPD fallen da, anders als beim 49-Euro-Ticket, wolkig aus. Konkrete
       Zahlen fehlen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ließ [1][im Interview mit
       dem Deutschlandfunk] durchblicken, dass ein Stromkontingent eher möglich
       ist als eines für Gas. Die SPD-Linke und Sozialpolitikerin Annika Klose
       findet: „Das geht in die richtige Richtung.“
       
       ## 3. Entlastungspaket
       
       Auch die grüne Chefin Ricarda Lang fordert, dass die Regierung noch in
       dieser Woche ein drittes Entlastungspaket auf den Weg bringe, vor allem für
       Menschen mit geringen Einkommen und Familien. Dazu gehöre eine
       Direktzahlung noch in diesem Jahr, zum Beispiel durch eine Neuauflage der
       Energiepreispauschale. Zur Höhe dieser Zahlung will sich die Parteichefin
       nicht äußern, wie die SPD auch. Außerdem spricht sich Lang erneut für eine
       Anschlussregelung für das 9-Euro-Ticket aus, für 29 Euro regional und 49
       Euro bundesweit. „Ich habe mich sehr gefreut, dass nun auch die
       SPD-Bundestagsfraktion sich unserer Forderung nach einem 49-Euro-Ticket
       anschließt.“ Zudem fordert sie eine Übergewinnsteuer, so wie die SPD.
       Generell, sagt Lang, gebe es zu den Forderungen der SPD an vielen Stellen
       Überschneidungen. Das sei eine gute Grundlage für weitere Verhandlungen.
       
       „Wofür ich tatsächlich wenig Verständnis habe, ist der Vorschlag der
       SPD-Fraktion, die CO2-Steuer auszusetzen“, so die Parteichefin weiter. Die
       SPD fordert unter anderem, die anstehende Erhöhung des CO2-Preises für zwei
       Jahre auszusetzen. Beim letzten Entlastungspaket, so Lang, habe sich die
       Regierung darauf geeinigt, dass das Finanzministerium bis Ende des Jahres
       einen Vorschlag zur Auszahlung des Klimageldes vorlegen soll. „Wenn Herr
       Lindner liefert, haben wir Anfang nächsten Jahres einen sozialen Ausgleich
       für den CO2-Preis, diesen Weg sollten wir nicht verlassen.“
       
       Richtig zerlegt hat sich die Ampel bei der Gasumlage, die
       Wirtschaftsminister Robert Habeck verantwortete. Rund 90 Prozent der 34
       Milliarden Euro, die die Gaskunden mehr bezahlen, landen bei von Insolvenz
       bedrohten Gasgroßhändlern – aber knapp 4 Milliarden bei Konzernen, denen es
       bestens geht. Habeck schaltete gegenüber der anwachsenden Kritik erst auf
       stur. Doch die Angriffe kamen von allen Seiten. SPD-Chef Lars Klingbeil und
       der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr attestierten dem grünen
       Minister schlechtes Handwerk. Habeck lenkte ein. Die neue Fassung der
       Gasumlage soll ausschließen, dass profitable Konzerne davon profitieren.
       Das ist nach Einschätzung von Juristen möglich – allerdings steigt damit
       das Risiko, von genau diesen Firmen wegen dieses Ausschlusses verklagt zu
       werden.
       
       ## „Ärgerlich“
       
       Der grüne Bundesvorstand trifft sich am Montag zur Klausur in Hannover. In
       Niedersachsen wird bald gewählt. Da tut die Kritik an Habeck, bislang
       beinahe everybody’s darling, besonders weh. Mit dabei sind Julia Hamburg
       und Christian Meyer, die beiden grünen Spitzenkandidat:innen aus
       Niedersachsen. Julia Hamburg steht gemeinsam mit ihrem Co-Spitzenkandidaten
       und den beiden grünen Bundesvorsitzenden Lang und Omid Nouripour auf dem
       ehemaligen Expo-Gelände, ein lichter Bau mit viel hellem Holz und Glas.
       Julia Hamburg findet die Fehler der Gasumlage „ärgerlich“. Und lobt, dass
       Habeck nun Korrekturen vornehme. „Die sind notwendig.“
       
       Andere Grüne kritisieren Habeck an der Seite – spielen aber den Ball vor
       allem ins Feld der FDP. „Die Gasumlage ist das falsche Instrument“, sagte
       Jürgen Trittin der taz. „In dieser Krisensituation hätten wir eine Lösung
       über den Haushalt finden müssen, um Unternehmen gezielt zu stützen, wenn es
       nötig wird.“ Das habe FDP-Finanzminister Lindner verhindert. „Es ist schon
       einigermaßen absurd, dass die FDP jetzt am lautesten die Probleme der
       Umlage kritisiert, die sie durch ihre Verweigerung nötig gemacht hat.“ Die
       Stimmung in der Ampel war schon mal besser.
       
       SPD-Chef Klingbeil pegelt die Kritik an Habeck am Montag gezielt wieder
       herunter. Wenn man „mit Hochdruck in einer wahnsinnig komplexen Situation“
       handeln müsse, könnten eben Fehler passieren.
       
       In dem [2][SPD-Fraktionspapier] wird die Abmilderung der kalten
       Progression, die Finanzminister Christian Lindner will, lobend erwähnt.
       Lindners Steuerentlastung kommt vor allem Besserverdienenden zugute. Auch
       SPD-GenossInnen hatten das zuletzt kritisiert. Davon ist in dem SPD-Papier
       nun keine Rede mehr.
       
       29 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.deutschlandfunk.de/gasumlage-und-entlastungspaket-iii-interview-mit-spd-fraktionschef-muetzenich-dlf-64125818-100.html
   DIR [2] https://www.spdfraktion.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
   DIR Sabine am Orde
       
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