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       # taz.de -- Abhörskandal in Griechenland: Der Premier, dem niemand glaubt
       
       > Der Skandal um abgehörte Smartphones wird zum Desaster für Griechenlands
       > Regierungschef Mitsotakis. Spätestens im Frühjahr stehen Wahlen an.
       
   IMG Bild: Will nichts gewusst haben: Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis
       
       Athen taz | Der seit Monaten schwelende [1][Abhörskandal] zieht in
       Griechenland immer weitere Kreise. Am Montag votierte das Parlament mit 142
       Stimmen für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Alle fünf
       Oppositionsparteien – von der Kommunistischen Partei (KKE) über die
       linkssozialistische „Mera25“ unter Ex-Finanzminister Janis Varoufakis, die
       linke Syriza und die Pasok bis hin zu der nationalkonservativen
       „Griechischen Lösung“ – stimmten geschlossen dafür.
       
       Der Hintergrund: Im Frühjahr war zunächst der Fall des Athener
       Wirtschaftsjournalisten Thanassis Koukakis bekannt geworden. Auf seinem
       Smartphone wurde die berühmt-berüchtigte Schnüffelsoftware Predator
       gefunden.
       
       Den Vorwurf, hinter der Überwachung zu stecken, ließ die Regierung unter
       Premier Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia (ND) lange
       an sich abperlen. Doch schließlich musste Geheimdienstchef Kontoleon vor
       einem Ausschuss des Parlaments schließlich [2][einräumen], dass Koukakis’
       Smartphone im Jahr 2020 tatsächlich von seiner Behörde überwacht worden
       sei.
       
       Politisch wirklich ernst ist die Sache aber erst, seit die Regierung
       zugeben musste, dass auch das Smartphone des Europa-Abgeordneten und Chefs
       der oppositionellen Pasok-Sozialisten, [3][Nikos Androulakis], überwacht
       worden war. Konkret sei Androulakis vom 14. September bis 14. Dezember 2021
       ausgespäht worden.
       
       ## Skandal verschiebt die politischen Sympathien
       
       Griechenlands Regierungschef Mitsotakis musste sich am Freitag im Athener
       Parlament zu der heiklen Causa in einer von Syriza initiierten Debatte
       äußern. Mitsotakis mauerte. Wie schon zuvor behauptete er, von dem
       Lauschangriff auf Androulakis „nichts gewusst zu haben“. Doch das glaubt in
       Griechenland niemand. Schließlich hatte Mitsotakis den Geheimdienst EYP in
       einer seiner ersten Amtshandlungen unter seine direkte Kontrolle gestellt.
       Kontoleon wiederum war von Mitsotakis persönlich zum EYP-Chef ernannt
       worden.
       
       Der Syriza-Europaabgeordnete Dimitris Papadimoulis will von der
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Anfrage nun wissen,
       „weshalb es von der Präsidentin der EU-Kommission bisher kein Statement
       dazu gibt, wie dies bereits von der Präsidentin des Europaparlaments
       erfolgt“ sei.
       
       Papadimoulis weiß, dass der Lauschangriff auf seinen Kollegen eine
       gewaltige europäische Dimension birgt. Androulakis hat in Brüssel eine
       Fülle leitender Funktionen inne, unter anderem als stellvertretender
       Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des
       Europaparlaments. Via Smartphone dürfte er mit vielen Kollegen im
       Europaparlament und der EU-Kommission eine intensive und vertrauliche
       Kommunikation geführt haben.
       
       Den Lauschangriff auf sich will Androulakis allerdings zuerst
       parlamentarisch und in der Justiz in Griechenland ausrollen, um so bis zu
       den Wahlen im nächsten Jahr politisch den maximalen Nutzen daraus ziehen zu
       können. Denn der Skandal ist schon jetzt ein schwerer Schlag für
       Mitsotakis. Coronapandemie, Inflation oder Ukrainekrieg: Die Mega-Krisen
       seit Anfang 2020 kamen von außen und blieben innenpolitisch beherrschbar.
       Der Abhörskandal hingegen ist die erste hausgemachte Krise der Regierung
       Mitsotakis.
       
       ## Schlechte Voraussetzungen für die Wahlen
       
       Spätestens im Frühjahr 2023 haben in Hellas Neuwahlen stattzufinden.
       Politisch klug will die Pasok keine vorgezogenen Neuwahlen in Athen – im
       Gegensatz zu Syriza-Chef Tsipras, für den der Abhörskandal ein gefundenes
       Fressen ist.
       
       In zwei jüngsten Umfragen in Athen erhält die ND in der Sonntagsfrage 32
       beziehungsweise 31,4 Prozent. Im Vergleich zu den letzten Umfragen würde
       dies nur geringe Stimmenverluste für sie bedeuten. Ihr Stimmenanteil läge
       aber rund acht Prozentpunkte unter dem Ergebnis beim Wahltriumph im Juli
       2019. Syriza könnte mit 23,5 beziehungsweise 25,1 Prozent rechnen.
       
       Die Pasok käme auf einen Stimmenanteil von 12,3 beziehungsweise 12,1
       Prozent – meilenweit entfernt von den 44 Prozent, die sie noch 2009 auf
       sich vereinen konnte. Der Abhörskandal gibt ihr ein wenig Rückenwind.
       
       Für Mitsotakis ist die heikle Causa indes der Super-GAU. Denn von einer
       Koalition mit der ND will die Pasok samt ihrem Chef spätestens nach dem
       unsäglichen Lauschangriff nichts wissen. Bisher liebäugelte Mitsotakis
       primär mit der Pasok als künftigem Koalitionspartner, zumal eine absolute
       Mehrheit der Parlamentssitze beim nächsten Urnengang wegen des dann
       geltenden Verhältniswahlrechts in weite Ferne gerückt ist. Tsipras und
       seine Syriza ist für Mitsotakis tabu.
       
       Auch in der ND rumort es zusehends. Die Ex-Premiers Kostas Karamanlis und
       Antonis Samaras blieben der teils stürmischen Parlamentsdebatte am Freitag
       demonstrativ fern. Obendrein lassen derweil einzelne ND-Abgeordnete
       öffentlich kein gutes Haar am Mitsotakis’ Krisenmanagement im Abhörskandal.
       
       30 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abhoerskandal-in-Griechenland/!5872680
   DIR [2] https://www.reuters.com/world/europe/greek-intelligence-service-admits-spying-journalist-sources-2022-08-03/
   DIR [3] https://www.europarl.europa.eu/meps/de/125110/NIKOS_ANDROULAKIS/ho
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ferry Batzoglou
       
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