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       # taz.de -- Ex-Präsident der Sowjetunion gestorben: Gorbatschow folgt Glasnost ins Grab
       
       > Im Westen wurde er verehrt: Michail Gorbatschow, der das Ende der UdSSR
       > einläutete. Russlands Krieg in der Ukraine muss ihn geschmerzt haben.
       
   IMG Bild: Der frühere Präsident der Sowjetunion 1999 im Interview mit US-Reportern
       
       Seine Beileidsbekundungen zum [1][Tod von Michail Gorbatschow] dürften
       Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht leicht über die Lippen gekommen
       sein. Ja mehr noch: Er und seine Entourage weinen, ganz anders als viele im
       Westen, dem einstigen Generalsekretär der KPdSU sowie dem letzten und
       einzigen Präsidenten der Sowjetunion, keine Träne nach. Warum sollten sie
       auch?
       
       Schließlich steht Gorbatschow wie kein anderer für den Untergang der einst
       so mächtigen Sowjetunion, die doch auf ewig währen sollte. Dieses
       „unsägliche“ Erbe zumindest teilweise zu revidieren, das ist das Projekt
       von Präsident Putin – sei es auch durch Anwendung von Gewalt und um den
       Preis zahlloser verlorener Menschenleben, wie derzeit in der Ukraine.
       
       Doch es geht nicht nur um den Versuch, dem einstigen Imperium wieder Leben
       einzuhauchen und zu vergangener Größe zu verhelfen. Begriffe, wie Glasnost
       und Perestroika, muten im Russland von heute nahezu futuristisch an. Wo
       sind die Parlamentsdebatten, die zu Zeiten Gorbatschows Zigtausende vor den
       Bildschirm holten? Wo sind die Medien, die Kontroversen abbildeten und den
       Raum bekamen, auch unangenehme Wahrheiten zu thematisieren?
       
       Und: Wo sind sie, die [2][Menschenrechtler*innen], die damals damit
       begannen, sich mit den Verbrechen der Stalin-Zeit auseinanderzusetzen? Die
       Antwort fällt so klar wie kurz aus: Zum Schweigen gebracht. So gesehen
       haben Putin und seine Getreuen Gorbatschow schon beerdigt, und das bereits
       vor langer Zeit. Was wird von dem Mann, der Weltgeschichte geschrieben hat,
       in Erinnerung bleiben? Das Bild ist zwiespältig und ambivalent.
       
       Zum einen die Erkenntnis, dass er seiner Zeit weit voraus war, ohne jedoch
       ein Demokrat im eigentlichen Sinne gewesen zu sein, als der er im Westen,
       aus verständlichen Gründen, so gerne gesehen und letztendlich bis heute
       verklärt wird. Dennoch bleibt es sein Verdienst, Türen in Richtung Westen
       aufgestoßen, die ehemaligen Satelliten entlassen und die europäische
       Nachkriegsordnung nachhaltig geprägt zu haben.
       
       Doch trotz aller Widersprüchlichkeiten und unterschiedlicher Bewertungen –
       dem Menschen und Politiker Gorbatschow haftet eine gewisse Tragik an. Diese
       besteht vor allem darin, bis zum Schluss seines Lebens eins nicht
       verstanden zu haben: dass es seine Reformen waren, die in letzter
       Konsequenz den Zusammenbruch der Sowjetunion unweigerlich zur Folge haben
       mussten.
       
       Russlands [3][Krieg gegen die Ukraine] – diese Entwicklung muss für
       Gorbatschow schmerzhaft gewesen sein. Man hätte ihm wünschen wollen, dass
       ihm die letzten Monate erspart geblieben wären. Und nicht nur ihm. Wie
       dieses Abenteuer für Russland ausgehen wird, weiß niemand. Manche
       Beobachter*innen schließen auch einen Zerfall Russlands nicht aus.
       
       31 Aug 2022
       
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   DIR Barbara Oertel
       
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