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       # taz.de -- Nachhaltige Festivals im Norden: Auf dem Weg in die Tiefe
       
       > Festivals haben oft eine miese Ökobilanz. Aber immer mehr
       > Veranstalter:innen überlegen, wie sie ihren CO2-Fußabdruck deutlich
       > verkleinern können.
       
   IMG Bild: Sommer-Sonnenenergie-Festival: Das Futur 2 in Hamburg hat es sich energieautark gemütlich gemacht
       
       Hamburg taz | Als sich die britischen Superstars Coldplay im vergangenen
       Herbst nicht nur mit neuen Tourdaten, sondern auch einem
       Nachhaltigkeitskonzept zurückmeldeten, jubelte der New Musical Express
       (NME), die Popmusik sei einmal mehr an der Spitze progressiver Ideen. Die
       gleichen Probleme, die eine Coldplay-Show mit sich bringt und Menschen, die
       das ändern wollen, lassen sich auch hierzulande finden. Björn Hansen ist
       einer von ihnen.
       
       Der Gründer der Eventagentur Morgenwelt ist seit den 1990er-Jahren in der
       Branche aktiv. Damals hieß [1][Nachhaltigkeit] noch Umweltschutz. „Wir
       wollten das Thema Nachhaltigkeit in den absoluten Fokus einer Veranstaltung
       stellen“, erläutert Hansen einen Leitgedanken hinter dem von ihm
       initiierten Futur-2-Festival, das nun zum dritten Mal stattfindet und als
       Vorreiter und kompromisslosestes Beispiel in der deutschen
       Festivallandschaft gilt.
       
       Den Strom liefern unter anderem die Besucher:innen selbst, in dem sie
       in die Pedale aufgestellter Räder treten. Bei 5.000 Gästen kommt das
       Festival mit 15.000 Watt aus. Einen konventionellen Stromanschluss gibt es
       nicht. „Ich glaube, dass noch extrem viele Menschen das Gefühl haben, dass
       Nachhaltigkeit Verzicht bedeuten würde. Wir wollen zeigen, dass das nicht
       so ist.“
       
       Wiebke Schumacher, zuständig für die Pressearbeit, spricht über einen Teil
       des Erfolgsrezepts: „Die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Branche gehen im
       Jahr 2022 längst in eine Tiefe, die durch die alleinige Nutzung von
       Ökostrom, einer ÖPNV-Anreiseempfehlung oder des Abfallrecyclings alleine
       nie hätte erreicht werden können.“
       
       Auch bei den Großen ist das Thema mittlerweile angekommen: In
       Zusammenarbeit mit der Tafel Itzehoe verteilte etwa das Wacken Open Air
       2018 Lebensmittel, die ansonsten weggeworfen worden wären.
       
       Solaranlagen auf dem Gelände, tierfreies Gastroangebot, Mietzelte,
       nachhaltig produzierter Festival-Merch oder Mehrweggeschirr – im Kern
       zielen die Maßnahmen auf vier Säulen ab: Reduzierung des Energieverbrauchs,
       der Lärmemission, Müllvermeidung und die Aspekte Anreise und Transport.
       
       „Man kann hier alles machen, was man auch auf anderen Festivals machen kann
       – nur man belastet damit die Umwelt nicht so stark“, so Schumacher.
       Letzteres belegen auch die Zahlen. Lediglich 26 Gramm Müll pro Kopf fielen
       2019 beim Futur-2-Festival an, insgesamt eine Mülltonne. In Wacken kommen
       1.900 Gramm Abfall auf jeden Gast.
       
       Die Massen an Müll sind eines der größten Probleme bei Großevents: „Als wir
       das Festival 2018 übernommen hatten, haben wir viel schlechte Stimmung bei
       den Anwohner:innen vorgefunden“, sagt Jonte von Doellen, der
       künstlerische Leiter des fünftägigen alternativen Kunst- und
       Kulturfestivals „Breminale“, das in den vergangenen Jahren immer weiter
       angewachsen ist und „teilweise schon einen Mainstream-Volksfestcharakter“
       hat: „Wir versuchen mit der Breminale etwas zu schaffen, was im
       Kapitalismus nicht vorgesehen ist: Stagnation.“
       
       Viele der jährlich 220.000 Gäste am Bremer Osterdeich erleichtern sich auf
       Privatgrundstücken, werfen ihren Müll in Vorgärten, machen in den
       umliegenden Wohnvierteln die Nacht zum Tag, hinterlassen „Kippen, Kippen,
       Kippen“, die zuerst am Ufer der Weser, dann im Fluss und irgendwann im Meer
       landen.
       
       Das [2][Nachhaltigkeitskonzept der Breminale] wird sowohl dem
       Umweltgedanken, als auch der altbekannten problematischen Beziehung
       zwischen Anwohner:innen und innerstädtischen Großveranstaltungen,
       gerecht. „Es wird immer eine große Aufgabe sein, nicht den Anschluss an das
       Quartier zu verlieren“, sagt von Doellen. Auch deswegen soll das Festival
       nicht mehr wachsen.
       
       26,3 Prozent aller CO²-Emissionen der Breminale verantwortete 2019 der
       anfallende Abfall. Ein Mehrwegsystem, errechnete die Deutsche Umwelthilfe,
       könnte zu einer Einsparung von 140.000 Bechern und 104.000 Tellern führen
       oder 2,6 Tonnen vermiedenen Müll und 8,6 Tonnen eingespartes CO² bewirken.
       Allerdings handelt es sich dabei nur um Prognosen, Zahlen von 2022 lagen
       zum Redaktionsschluss noch nicht vor.
       
       Doch schon jetzt ließe sich von einem Rückgang der Abfallmengen sprechen,
       sagt Jonas Godegast, verantwortlich für Nachhaltigkeit der Breminale. Knapp
       50 Foodstände, davon rund 20 direkt, haben sich 2022 an dem Mehrwegsystem
       beteiligt; fünf ein eigenes System gehabt. Der Rest durfte ausnahmsweise
       Essen auf die Hand in FSC-Papier ausgeben. Noch mehr CO² als anfallender
       Abfall produziert laut der „Green Music Initiative“ nur der Punkt Mobilität
       – nämlich 40 Prozent.
       
       Einen zusätzlichen Anreiz, auf das Auto zu verzichten, soll eine
       Kooperation des „Norden Festivals“ in Schleswig und NAHSH schaffen: Fünf
       Euro gibt es auf das Ticket bei Vorlage der Fahrkarte an der Kasse;
       Getränkegutscheine für die, die die Festivalkarte bereits im Vorfeld
       gekauft haben.
       
       „Künstler:innen versuchen wir zu vermitteln, nach Möglichkeit mit der Bahn
       zu kommen.“ Nicht bei allen sei das wegen der teils großen Backline
       möglich, schränkt Melina Blandon, Nachhaltigkeitsbeauftragte des Festivals,
       ein. Man schaue dann von Fall zu Fall. Bemühungen, Festivals nachhaltig zu
       gestalten, machen weder vor den Bühnen, noch hinter den Kulissen halt. Auch
       nicht vor dem Catering. Dafür sorgt dieses Jahr eine sogenannte
       Kreativküche in Zusammenarbeit mit den [3][Reste-Rittern aus Kiel].
       
       Auf dem Tisch landet, was sich aus „zum größten Teil geretteten,
       saisonalen, regionalen Lebensmitteln kreativ und lecker“ kochen lässt. Auf
       Künstler:innen, die damit gar nicht zufrieden sind, ist man vorbereitet.
       „Dieses Jahr wollen wir das einfach mal ausprobieren.“ Das ist die Maxime,
       der alle folgen: „Mach dieses Jahr das eine Projekt und nächstes Jahr das
       andere. [4][Jeder Schritt zählt.] Alles so zu lassen, ist keine Option“,
       findet Schumacher.
       
       24 Aug 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Kevin Goonewardena
       
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