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       # taz.de -- Russischer Musiker verurteilt: Markiges Statement gegen den Krieg
       
       > Der russische Musiker Juri Schewtschuk äußerte sich gegen Russlands
       > Einmarsch in der Ukraine. Trotz Geldstrafe lässt er sich nicht
       > einschüchtern.
       
   IMG Bild: Juri Schewtschuk bei einem Konzert in Tallinn im Jahr 2019
       
       Berlin taz | Um Aufmerksamkeit buhlen und plumpe Werbung in eigener Sache
       machen – das hat Juri Schewtschuk wahrlich nicht mehr nötig. Der 65-jährige
       russische Rockmusiker ist eine lebende Legende. Seine Stücke werden in
       allen Ländern der früheren Sowjetunion gehört. Dabei sind es vor allem die
       Balladen, die älteren Semestern immer noch Tränen in die Augen treiben.
       
       Am Dienstag geriet Schewtschuk wieder einmal in die Schlagzeilen, er hätte
       wohl gerne darauf verzichtet. Ein Gericht in Ufa, Hauptstadt der russischen
       Teilrepublik Baschkortostan südöstlich von Moskau, verurteilte den Musiker
       zu einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 Rubel (etwa 825 Euro). Die Anklage
       hatte auf „Diskreditierung der Streitkräfte Russlands“ gelautet. Der
       Vorwurf wird dieser Tage häufig bemüht, um gegen heimische
       Kritiker*innen der „Spezialoperation“ Russlands in der Ukraine
       vorzugehen.
       
       Schewtschuk blieb am Dienstag der Verhandlung fern, ließ über seinen Anwalt
       jedoch eine Erklärung verlesen. Er sei immer gegen Krieg gewesen, in jedem
       Land und zu jeder Zeit. Alle Probleme und Komplikationen politischer Art
       zwischen Ländern und Völkern müssten durch Diplomatie gelöst werden, heißt
       es darin. Die Geldstrafe ist übrigens als Warnung zu verstehen. Im
       Wiederholungsfall könnte der Künstler im Gefängnis landen.
       
       Ein glasklares Statement zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine war
       es auch, für das Schewtschuk jetzt die Geldstrafe erhielt. Bei einem gut
       besuchten [1][Konzert am 18. Mai 2022 in Ufa] hatte er gesagt: „Heimat,
       meine Freunde, das ist nicht der Arsch des Präsidenten, den man die ganze
       Zeit lecken und küssen muss. Heimat – das ist die arme alte Frau am
       Bahnhof, die Kartoffeln verkauft.“ Das Publikum quittierte diese Äußerungen
       laut dem britischen Guardian mit Jubel und stürmischem Applaus.
       
       ## Immer schon gegen den Krieg
       
       Das Engagement gegen den Krieg zieht sich wie ein roter Faden durch
       Schewtschuks Karriere, die Anfang der 80er Jahre mit seiner Band DDT
       begann. 1982 kam das zwei Jahre zuvor geschriebene Lied „Ne streljai“
       (Schieß nicht) heraus – ein Protestsong gegen den Krieg in Afghanistan, der
       der Gruppe den Durchbruch und im selben Jahr bei dem Festival Goldene
       Stimmgabel einen Preis einbrachte.
       
       Während der Zeit der Perestroika erlangten Schewtschuk und DDT Kultstatus,
       sparten jedoch auch weiter nicht mit Kritik mit den Mächtigen. Mit dem Lied
       „Mjertvyj Gorod. Roschdestwo“ (Tote Stadt. Weihnachten), das dem [2][ersten
       Tschetschenienkrieg] gewidmet ist (1994–1996), durfte sich der damalige
       Präsident Boris Jelzin angesprochen fühlen.
       
       Zum Gegenstand der Berichterstattung in Russland wurde eine Begebenheit im
       Mai 2010. Da nahm Schewtschuk an einem Treffen mit dem damaligen russischen
       Regierungschef Wladimir Putin teil. Auf seine Frage, ob Putin das Land
       demokratisieren wolle und „Märsche der Unzufriedenen“ (Protestkundgebungen
       der russischen Opposition in den Jahren 2005 bis 2007) erneut
       niedergeschlagen würde, hatte Putin keine Antwort, dafür aber eine Frage:
       „Entschuldigung bitte, wie war doch gleich Ihr Name?“
       
       Der dürfte sich Russlands Präsidenten in der Folgezeit wohl eingeprägt
       haben. Denn Schewtschuks Auftritte beschränkten sich nicht auf
       Konzertbühnen. So übernahm der Musiker die Behandlungskosten für
       Kriegsopfer in Tschetschenien, kaufte Prothesen und Rollstühle. Einnahmen
       von Konzerten überwies er an einen Hilfsfonds zur Unterstützung vom Krieg
       Betroffener in Tschetschenien, der von Georgien abtrünnigen Region
       Südossetien und der Ukraine.
       
       Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014
       kommentierte er mit genauso scharfen Worten, wie Russlands aktuellen
       Feldzug gegen den Nachbarn Ukraine kurz nach dessen Beginn. „Wir werden wie
       durch ein Eisloch in die Vergangenheit, ins 19., 18. und 17. Jahrhundert
       gezogen. Die Menschen weigern sich, das zu akzeptieren“, gab Schewtschuk zu
       Protokoll.
       
       Am 10. Juli 2022 hätte in Moskau ein Konzert von DDT stattfinden sollen.
       Eigentlich. Doch dazu kam es nicht. In einem Post erklärte DDT dazu: „In
       diesem Jahr hat die sogenannte Spezialoperation begonnen. Die Gruppe DDT
       nimmt dazu eine prinzipielle Haltung ein – für den Frieden.“ Leider sei es
       den Organisatoren nicht gelungen, ihren Auftritt mit der Abteilung für
       regionale Sicherheit der Stadt Moskau abzustimmen, heißt es dort. „Wir
       haben unter Einsatz aller Kräfte und Ausnutzung aller Möglichkeiten
       versucht, an dem Auftritt festzuhalten – vergeblich.“
       
       Dabei wären doch gerade in Zeiten wie diesen Konzerte so wichtig, wie
       Schewtschuk dem oppositionellen russischen Webportal Meduza, das in der
       lettischen Hauptstadt Riga ansässig ist, in einem Interview sagte. Sie
       würden noch 40 oder 50 Konzerte mehr geben. Russland brauche die Gruppe DDT
       gerade jetzt in den Konzertsälen, in den Songs würde über Russland, die
       Vergangenheit und die Zukunft reflektiert. Das beschäftige jetzt viele.
       
       „Deshalb war das für uns ein grausamer Schlag, als unsere Konzerte abgesagt
       wurden. Uns wurde die Arbeit genommen, eine wichtige und notwendige Arbeit.
       Dabei geht es nicht um Geld. Uns wurde verboten, unsere Pflicht gegenüber
       dem Land zu erfüllen. Unsere Gedanken auszudrücken und unsere Wärme mit
       anderen Menschen zu teilen“, sagte Schewtschuk.
       
       Das abgesagte Konzert in Moskau wollen er und die Band DDT im kommenden
       Jahr nachholen: Anvisiertes Datum ist der 17. Juli.
       
       17 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Protest-gegen-Russlands-Praesidenten/!5856281
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Tschetschenienkrieg
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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