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       # taz.de -- Netflix-Serie „Kleo“: Gewagter Genre-Spagat
       
       > In der Netflix-Serie „Kleo“ nimmt Jella Haase als Stasi-Killerin Rache.
       > Historische Wahrhaftigkeit ist definitiv nicht oberstes Anliegen der
       > Serie.
       
   IMG Bild: Kleo (Jella Haase) war in den letzten Jahren der DDR als Killerin der Stasi unterwegs
       
       Mauerfall und Wendezeit, der Untergang des DDR-Regimes und die scheinbar
       unaufhaltsame Macht des Kapitalismus – dass sich aus diesen Elementen nicht
       bloß prestigeträchtige Historiendramen stricken lassen, sondern auch echte
       Genre-Unterhaltung, hat sich auch in deutschen Seriengefilden längst
       herumgesprochen. [1][„Deutschland 83“] hat mit Schmackes vorgelegt, zuletzt
       ermittelten Nadja Uhl und Fabian Hinrichs sehenswert in [2][„ZERV – Zeit
       der Abrechung“] (zu sehen in der ARD-Mediathek) im frisch wiedervereinigten
       Berlin. Und nun setzt Netflix mit „Kleo“ in jeder Hinsicht noch eins drauf.
       
       Die Titelheldin (Jella Haase), familiär schon seit Opas Zeiten fest in
       Staatsstrukturen eingebunden, ist in den letzten Jahren der DDR als
       Killerin der Stasi unterwegs und so cool und abgebrüht, dass sie schon mal
       einen abendlichen Abstecher in den Westen macht, um auf der Toilette des
       Big Eden den vermeintlichen Berlin-Chef der CIA aus dem Weg zu räumen.
       Warum sie trotz solcher erfolgreichen Missionen wenig später trotzdem von
       den eigenen Vordermännern in den Ost-Knast gesteckt wird, wo sie ihr
       ungeborenes Baby verliert, versteht sie selbst nicht. Doch rund drei Jahre
       später kommt sie – der Generalamnestie für politische Gefangene nach dem
       Fall der Mauer sei Dank – und sinnt auf Antworten und Rache, ist ansonsten
       aber in Sachen Mordmethoden und Gerissenheit ganz die Alte. Nur noch eine
       ganze Ecke durchgeknallter.
       
       [3][Das HaRiBo-Autorenteam] (also Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob
       Konrad), das bei „Kleo“ die kreative Hauptverantwortung übernommen hat,
       lässt früh erkennen, dass historische Wahrhaftigkeit hier nicht oberstes
       Anliegen ist, geschweige denn Glaubwürdigkeit und Bodenhaftung. Ihre neue
       Serie will kein Politthriller sein, sondern eine schrille Agenten-Komödie,
       und statt für tatsächliche Spannung interessiert man sich eher für eine
       knallbunt-coole Optik und augenzwinkernde Action. Wem schon „Deutschland
       89“ zu frei mit der jüngeren deutschen Geschichte umging, der wird hier
       erst recht verzweifeln. Spätestens wenn Kleo bei Erich Mielke höchst
       persönlich auftaucht.
       
       ## Wenn das Tempo fehlt
       
       Nun ist ein gewagter Genre-Spagat eigentlich eine erfrischende Sache, und
       selbst die anhaltende Netflix-Obsession mit 80s- und 90s-Nostalgie, die
       Heerschar skurriler Nebenfiguren (teilweise wunderbar verkörpert von Julius
       Feldmmeier, Yun Huang oder Vincent Redetzki) oder allzu dick aufgetragene
       Ost-West-Klischees müssten nicht zwingend etwas Schlechtes sein. Wenn die
       HaRiBos nur wenigstens einen Hauch des Tempos und vor allem der Lässigkeit
       ihrer Produktionen „4 Block“ und [4][„Para – Wir sind King“] hierher rüber
       gerettet hätten. Stattdessen sind „Kleo“ acht Folgen lang nur die fast
       schon streberhaften Bemühungen anzumerken, eine Serie zu sein, die mit der
       Coolness und dem exzentrischen Tonfall der ersten Staffel „Killing Eve“
       mithalten kann.
       
       Das scheitert leider nicht nur an schwächelnden Dialogen, sondern vor allem
       an den Figuren. Mit der eiskalten, kuriosen und rotzigen Unberechenbarkeit
       von Villanelle kann es Kleo mit all ihren Kostüm- und Perückenwechseln nie
       aufnehmen, selbst wenn sie Mortadella-Scheiben im Nahkampf einsetzt, beim
       Giftmischen in der Küche irre vor sich hin singt oder im Prinzessinnenkleid
       rülpsend auf dem Spielplatz sitzt. Daran ändert auch alle Verve nichts, mit
       der sich Jella Haase in die Rolle stürzt.
       
       Und noch mehr lassen die Bücher Dimitrij Schaad im Stich, der als ebenso
       naiver wie ambitionierter Wessi-Polizist aus dem Betrugsdezernat Kleo nur
       deswegen noch ausdauernder auf der Spur ist als KGB, BKA und Co., weil er
       damals am gleichen Abend im Big Eden war. Überhaupt, all die Zufälle, die
       hier immer wieder herhalten müssen, um die Handlung voranzutreiben! Aber
       lassen wir das. Das Ergebnis bleibt das gleiche: diese Serie (Regie:
       Viviane Andereggen & Jano Ben Chaabane) will erkennbar so viel – und
       schafft am Ende bedauerlich wenig.
       
       19 Aug 2022
       
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   DIR Patrick Heidmann
       
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