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       # taz.de -- Speicherung von Fluggastdaten: Weniger Rasterfahndung am Himmel
       
       > Das BKA muss die Auswertung der Fluggastdaten massiv reduzieren. In den
       > letzten Jahren wurden mehr als 145 Millionen Flugpassagiere erfasst.
       
   IMG Bild: Wer fliegt denn da? Die Auswertung von Fluggastdaten wurde eingeschränkt
       
       Karlsruhe taz | Das Bundeskriminalamt (BKA) muss die anlasslose
       Fluggastüberwachung nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
       vom Juni massiv einschränken. Auf Anfrage der taz nennt das BKA nun
       erstmals Zahlen zu Umfang und Struktur der Datenauswertung.
       
       Das BKA hat seit dem Start der Flugverkehrsüberwachung im August 2018 bis
       April 2022 die Datensätze von 145.821.880 Fluggästen gespeichert und
       ausgewertet. Erfasst werden rund 40 Millionen Flugreisen pro Jahr. Geregelt
       ist [1][das im Fluggastdatengesetz, das 2017 in Kraft trat] und die
       PNR-Richtlinie der EU umsetzt. PNR steht für Passenger Name Records, also
       Fluggastdaten.
       
       Erfasst werden dabei alle Flüge in die EU hinein und aus der EU heraus,
       aber auch alle Flüge zwischen den EU-Staaten. Nur bei rein innerstaatlichen
       Reisen (beispielsweise von München nach Hamburg) werden die Passagierdaten
       nicht gespeichert.
       
       Zum einen werden die Fluggastdaten mit polizeilichen Datenbanken
       abgeglichen, um zum Beispiel flüchtige Straftäter:innen zu erwischen.
       Laut BKA gab es seit dem Start 20.012 Fahndungserfolge beim
       Register-Abgleich.
       
       Zum anderen sollen aber auch bisher unbekannte Straftäter:innen anhand
       bestimmter „Muster“ erkannt werden. Wer zum Beispiel die gleichen
       Reiserouten nutzt wie Drogenkuriere und sich auch sonst wie ein
       Drogenkurier verhält, muss mit einer individuellen Überprüfung rechnen. Das
       BKA meldet beim Muster-Abgleich 670 Treffer in knapp vier Jahren.
       
       ## Speicherung nur noch sechs Monate
       
       Das BKA, das in Deutschland für die Speicherung und Auswertung der
       Flugdaten zuständig ist, lobt die Fluggastdatenauswertung als „effektives
       System“. Auch eine Ausweitung der Überwachung auf den grenzüberschreitenden
       Flug- und Fährverkehr hält das BKA für „sinnvoll“. Politisch ist das
       derzeit aber nicht geplant.
       
       Stattdessen muss nun die anlasslose Fluggastüberwachung massiv reduziert
       werden. [2][Grund dafür ist das Grundsatzurteil des EuGH vom 21. Juni.] Der
       EuGH hat auf Anfrage des belgischen Verfassungsgerichts die
       Fluggastdaten-Richtlinie der EU geprüft. Das Ergebnis: Die Richtlinie sei
       nur dann mit EU-Recht vereinbar, wenn sie „eng ausgelegt“ und die
       Befugnisse der Behörden auf das „absolut Notwendige“ begrenzt werden. Das
       hat nicht nur Folgen in Belgien, sondern in der ganzen EU. Also auch in
       Deutschland.
       
       So verlangt der EuGH, dass die Fluggastdaten nicht mehr fünf Jahre lang
       gespeichert werden, sondern grundsätzlich nur noch sechs Monate. Das ist
       eine Verkürzung der Speicherdauer auf ein Zehntel der bisherigen Zeit. Zwar
       wurden die Daten bisher schon nach sechs Monaten „depersonalisiert“, die
       Namen der Fluggäste waren in der Datei also nicht mehr zu sehen. Doch auf
       richterlichen Beschluss konnte die Depersonalisierung rückgängig gemacht
       werden. Laut BKA ist dies in 670 Fällen auch erfolgt. Künftig ist das nicht
       mehr möglich, weil die Fluggastdaten nach sechs Monaten völlig gelöscht
       werden müssen.
       
       ## Kein Einsatz von künstlicher Intelligenz
       
       Der EuGH hat auch die Gründe der Auswertung reduziert. Sie muss sich
       künftig auf die Verhinderung und Aufklärung von zwei Arten von Straftaten
       beschränken; erstens auf terroristische Straftaten und zweitens auf Taten,
       die mit dem Flugverkehr zu tun haben, etwa Flugzeugentführungen. Dagegen
       sind Datenabgleiche wegen vieler anderer Delikte wie Mord, Vergewaltigung
       und Umweltkriminalität künftig nicht mehr möglich. Das ist eine massive
       Beschränkung. Nur 5 Prozent der bisherigen Treffer hatten laut BKA mit
       Terror zu tun. Der Anteil der Treffer bei flugbezogenen Taten wird noch
       berechnet, dürfte aber auch eher klein sein.
       
       Zudem hat der EuGH eine anlasslose Speicherung der Fluggastdaten bei Flügen
       innerhalb der EU verboten. Eine Erfassung und Auswertung ist hier künftig
       nur noch ausnahmsweise möglich, vor allem wenn eine akute terroristische
       Bedrohung vorliegt. Laut BKA betreffen bisher aber immerhin 61 Prozent der
       Datensätze „Intra-EU-Flüge“. Der Großteil der Speicherung entfällt also
       bald.
       
       Für das größte Aufsehen sorgte der EuGH mit der Auflage, dass bei der
       Erkennung verdächtiger Muster keine maschinell lernenden Systeme und keine
       unkontrollierte künstliche Intelligenz mehr eingesetzt werden darf. Der
       EuGH sah darin die Gefahr, dass die so entstehenden Algorithmen zu
       Falschverdächtigungen führen. In den Jahren 2018 und 2019 seien in manchen
       Staaten immerhin fünf von sechs Treffern „falsch positiv“ gewesen, führten
       also zu einem falschen Verdacht.
       
       Doch hier haben die EuGH-Vorgaben nur geringe Auswirkungen auf Deutschland.
       Denn das BKA versichert, dass es bei der Mustererkennung keine künstliche
       Intelligenz und keine maschinell lernenden Systeme einsetzt. Zwar arbeitet
       auch das BKA mit vermeintlich verdächtigen Reisemustern. Doch die
       BKA-Muster beruhen auf dem Erfahrungswissen von Kriminalpolizisten.
       
       ## BKA ist unzufrieden
       
       Mit den bevorstehenden Einschränkungen ist das BKA dennoch unzufrieden. Sie
       seien „nicht förderlich“ für eine effektive Strafverfolgung und die
       Gewährleistung von Sicherheit, erklärte eine BKA-Sprecherin. Wann das
       deutsche Fluggastdatengesetz entsprechend geändert wird, ist noch nicht
       absehbar. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wertet die
       EuGH-Entscheidung noch aus. „Bereits jetzt ist aber absehbar, dass sie zu
       deutlichen Einschränkungen für die Verarbeitung von Fluggastdaten führt.“
       Nach Abschluss der Auswertung werde das Ministerium die erforderlichen
       Anpassungen des Fluggastdatengesetzes „anstoßen“.
       
       Wenn die Politik bei den Fluggastdaten nicht bald reagiert, wird sie Druck
       von deutschen Gerichten bekommen. Beim EuGH liegen auch fünf Vorlagen aus
       Deutschland, zwei vom Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden, drei vom
       Amtsgericht (AG) Köln, alle Klagen wurden von der GFF (Gesellschaft für
       Freiheitsrechte) koordiniert. Nach den klaren Vorgaben des EuGH vom Juni
       haben sich die Vorlagen aber wohl erledigt. Die beiden Gerichte wollen
       jedenfalls bald selbst entscheiden.
       
       Das AG Köln muss klären, ob Fluggesellschaften Daten ihrer Fluggäste an das
       BKA weitergeben dürfen. Beim VG Wiesbaden geht es um die Frage, ob das BKA
       diese Daten speichern und auswerten darf. Beide Gerichte können nun
       zumindest auf die Umsetzung der EuGH-Vorgaben pochen. Die erste Verhandlung
       am AG Köln soll am 7. November stattfinden.
       
       22 Aug 2022
       
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