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       # taz.de -- Unabhängigkeitstag in der Ukraine: Ohne Heizung und Strom
       
       > An diesem Mittwoch feiert die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Doch mehr als
       > das bewegt die Menschen die Frage, ob sie den nächsten Winter überstehen.
       
   IMG Bild: Wenig Feierstimmung: zerstörtes Haus in der Ostukraine
       
       Am 24. August, dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, ist genau ein halbes
       Jahr seit dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine
       vergangen. Ehrlich gesagt ist das nicht ein Jubiläumsdatum, das wir uns
       gewünscht hätten.
       
       Im letzten Jahr haben wir den [1][Tag der Unabhängigkeit] in Kyjiw mit
       einer Parade gefeiert, dem Part in der Luft konnte man aus jedem
       hauptstädtischen Fenster zusehen. Jetzt fliegen keine zivilen Flugzeuge
       über Kyjiw, und jedes Geräusch am Himmel ruft Sorge hervor.
       
       Und die wichtigste Frage für die Zukunft ist nicht, wie wir den 31.
       Jahrestag des modernen ukrainischen Staats begehen, sondern wie wir den
       Winter überstehen.
       
       Während man in den Nachrichten liest, dass man sich in der Schweiz oder in
       Deutschland darauf vorbereitet, [2][den Gasverbrauch einzuschränken],
       kaufen in der Ukraine die Stadtverwaltungen primitive Eisenöfen und
       Brennholz. In den Gebieten unweit der Front bereiten sich die Menschen
       darauf vor, dass es in diesem Winter schlicht gar keine Heizung geben wird.
       
       Können Sie sich vorstellen, dass [3][in den ehemals warmen gemütlichen
       Städten] neben mehrgeschossigen Wohnblöcken Brunnen gebohrt und Gruben für
       Toiletten ausgehoben werden? Und dass die Verwaltungen die Menschen darauf
       vorbereiten, dass es im Winter für sie keine Zentralheizung geben wird,
       kein warmes Wasser, keine Kanalisation?
       
       Und bedenken Sie, dass dazu jede Sekunde eine Rakete oder Granate vom
       Himmel herunterkommen kann.
       
       Sogar in der Hauptstadt hat Bürgermeister Vitali Klitschko dazu aufgerufen,
       sich vor dem nahenden Winter mit warmer Kleidung und Decken zu bevorraten.
       Die Stimmung in der Bevölkerung zeigt sich gut auf der Website eines großen
       Onlinehändlers des Landes: Viele Artikel in der Rubrik „Heizgeräte“ sind
       mit dem Hinweis „Nicht vorrätig“ gekennzeichnet.
       
       Wir bereiten uns vor – aber wir können nirgendwohin.
       
       Noch trostloser sieht es in den besetzten Gebieten aus. Im Haus meiner
       Großmutter im nördlichen Donbass steht ein funktionierender Ofen. Aber das
       Haus hat keine Fenster mehr. Und so ist es auch bei allen anderen Häusern
       in der Nachbarschaft.
       
       Trotzdem ist es Luxus, in einem eigenen Haus zu leben, denn in den guten
       alten Gebäuden aus der Chruschtschow-Zeit gibt es keine Öfen mehr. Und
       Fenster auch nicht.
       
       In der Stadt gibt es bislang weder Strom noch Wasser, noch Gas. Ein in
       Russland beliebter ukrainophober Witz – „Ohne unser Gas werdet ihr
       erfrieren“ – hat sich jetzt dahin gewendet, dass die von Russland besetzten
       Städte im Donbass voller russischer Soldaten und Kriegstechnik sind – aber
       ohne Heizung, Strom und Gas.
       
       Weder russisches noch anderes.
       
       Im Winter wird es sehr früh dunkel, und ich sehe diesen kalten Nächte mit
       Horror entgegen. Helfen Decken und Heizlüfter, wenn Russland weiter unsere
       Städte bombardiert? Wie werden diejenigen, die ohne Dach über dem Kopf
       sind, und diejenigen, die jetzt die Ukraine verteidigen, überleben? Wie
       lange wird dieser schreckliche Winter dauern? Wie viele von uns werden bis
       zum nächsten Frühjahr nicht mehr leben?
       
       Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey] 
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. 
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
       im September heraus.
       
       24 Aug 2022
       
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