# taz.de -- Historiker über Deportationen im Norden: „Letzter Schritt der Vernichtung“
> Historiker Hans Hesse spricht über die Verfolgung von Sinti:zze und
> Rom:nja in Nordwestdeutschland. In Bremen stellt er sein neues
> Gedenkbuch vor.
IMG Bild: Anni Grimm, geb. Schwarz, überlebte den Porajmos. Ihre Eltern und Geschwister wurden ermordet
taz: Herr Hesse, was ist am 8. März 1943 in Nordwestdeutschland passiert?
Hans Hesse: Damals wurden aus Nordwestdeutschland, dem Bremer
Kripo-Leitstellengebiet, alle [1][Sinti und Roma der Region] nach Bremen
zum Schlachthof geführt und in drei Transporten nach Auschwitz in das
sogenannte Zigeunerfamilienlager deportiert.
Sie haben darüber zwei Gedenkbücher geschrieben.
Gedenkbücher über die Deportation von Sinti und Roma sind in Deutschland
noch nicht üblich, wie man es zum Beispiel für die jüdischen Verfolgten
kennt. Biografische Forschungen können bei Betroffenen Ängste auslösen. Ein
solches Projekt kann man aber nicht ohne die Mitarbeit etwa der Vereine
machen. In diesem Fall waren es die [2][Sinti-Vereine] in Bremen und
Bremerhaven [3][sowie Oldenburg].
Wie kamen Sie dazu, die Gedenkbücher zu schreiben?
Der Ausgangspunkt war eigentlich eine Recherche für die Stiftung Hamburger
Gedenkstätten und Lernorte. Ich wurde gebeten, Namen und Biografien der
Sinti und Roma zu recherchieren, die im Mai 1940 über den Hannoverschen
Bahnhof, aber eben auch aus Nordwestdeutschland deportiert worden sind. Im
Arbeitsverlauf hat sich dann herausgestellt, dass es Sinn ergibt, die große
Menge an Material auch in zwei Büchern festzuhalten. [4][Das erste Buch]
befasst sich mit der Deportation im Mai 1940 und ist vergangenes Jahr im
Mai erschienen. [5][Das zweite], Deportation im März 1943, wird jetzt
vorgestellt. Insgesamt haben die Bücher einen Umfang von über 500 Seiten.
Wie wird die Deportation der Sinti:zze und Rom:nja heute im Nordwesten
wahrgenommen?
Auf Seiten der Vereine besteht ein großes Interesse. Bis zur
Veröffentlichung dieses Buches waren die Namen der Verfolgten nicht
bekannt. Erst durch ihre Veröffentlichung bekam die Verfolgung ein
konkretes Gesicht. Die Vereine vor Ort benutzen diese [6][Informationen für
ihre politische Bildungsarbeit] oder in ihrer Arbeit mit Schulklassen. So
können sie zeigen: Das waren die Opfer, das ist passiert.
Warum ist es wichtig, die Namen der Betroffenen zu nennen und ihre
Biografien öffentlich zu machen?
Es gibt tatsächlich Menschen, die sagen, wenn ihr uns keine Namen nennen
könnt von denen, die verfolgt worden sind, dann hat es diese Verfolgung
nicht gegeben. Erst durch die historische Forschung können wir Namen
nachweisen und dann sehr konkret sagen, [7][wer verfolgt und deportiert
wurde].
Welche Rolle hat der Nordwesten bei der Deportation gespielt?
Im Mai 1940 wurden über Hamburg, Köln und Heidelberg 2.500 Sinti und Roma
in die deutsch besetzten Gebiete nach Polen deportiert. Bremen – als dann
im März 1943 die restlichen Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert wurden
– macht für das restliche Reichsgebiet keinen großen Unterschied aus.
Leider sind die Geschehnisse in Bremen, etwa die Internierung im heutigen
Kulturzentrum Schlachthof, keine Besonderheit. Das war im Grunde der
letzte Schritt in der Vernichtung.
5 Sep 2022
## LINKS
DIR [1] http://4729085https://taz.de/NS-Morde-an-Sinti-und-Roma/!5752596&s=sinti+deportation/
DIR [2] http://www.bremerhavener-sinti-verein.de/
DIR [3] http://www.sinrom.de/
DIR [4] https://www.nord24.de/kultur/buch-erinnert-an-deportierte-bremerhavener-sinti-60805.html
DIR [5] https://www.edition-falkenberg.de/produkt/ich-bitte-die-verantwortlichen-personen-fuer-ihre-unmenschlichen-barbarischen-taten-zur-rechenschaft-zu-ziehen
DIR [6] /Debatte-Antiziganismus/!5134076
DIR [7] http://www.bremerhavener-sinti-verein.de/
## AUTOREN
DIR Marco Fründt
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