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       # taz.de -- Zu hohe CO2-Emissionen im Verkehr: Klage gegen Wissing-Plan
       
       > Der Verkehrsminister wollte mit kleinen Korrekturen Klimaschutzvorgaben
       > der Regierung erfüllen. Viel zu wenig, sagt die Umwelthilfe – und klagt.
       
   IMG Bild: Der beklagte Minister: Volker Wissing vor dem Kanzleramt am 3. September
       
       Berlin taz | Die Deutsche Umwelthilfe ([1][DUH]) hat Bundesverkehrsminister
       Volker Wissing (FDP) verklagt, weil er kein rechtmäßiges
       [2][Sofortprogramm] für den Klimaschutz im Verkehr vorgelegt habe.
       
       Mit einer schnellen gerichtlichen Entscheidung ist allerdings nicht zu
       rechnen, weil der zuständige Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG)
       Berlin-Brandenburg durch einen justizinternen Rechtsstreit blockiert ist.
       
       Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass Deutschland seine CO2-Emissionen bis
       2030 um mindestens 65 Prozent senken muss. Dabei setzt das Gesetz für die
       einzelnen Sektoren wie Gebäude, Industrie und Verkehr jährliche
       Obergrenzen, die Jahr für Jahr absinken. Im Verkehrssektor galt 2021 eine
       Grenze von 145 Millionen Tonnen CO2. Bis 2030 sinkt diese Obergrenze auf 85
       Millionen Tonnen CO2 ab.
       
       Im Vorjahr hat der Verkehrssektor seine Obergrenze um 3 Millionen Tonnen
       CO2 überschritten. Diese Erfüllungslücke wird laut Klimaschutzgesetz auf
       die nächsten Jahre umgelegt. Die Obergrenzen sinken daher leicht. Außerdem
       muss Bundesverkehrsminister Wissing ein Sofortprogramm vorlegen, um auf die
       Lücke zu reagieren.
       
       ## Wissing sieht Lücke übererfüllt
       
       Ein solches [3][Sofortprogramm] hat Wissing am 12. Juli vorgelegt. Unter
       anderem durch eine höhere Förderung des digitalen Arbeitens und des
       Radwegebaus will er bis 2030 rund 13,6 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
       Wissing sieht damit seine Pflicht, die Erfüllungslücke von 3 Millionen
       Tonnen CO2 zu kompensieren, übererfüllt.
       
       Der gesetzlich vorgesehene Expertenrat für Klimafragen hielt Wissings Plan
       dagegen für unzureichend. Laut Gesetz müsse der Minister ein Sofortprogramm
       vorlegen, das die Einhaltung der Obergrenzen auch „für die folgenden Jahre
       sicherstellt“.
       
       Weil aber die Verkehrsemissionen derzeit ansteigen und die Obergrenzen
       sinken, werde die Erfüllungslücke von Jahr zu Jahr größer. Bis 2030 ergebe
       sich eine Gesamt-Erfüllungslücke von gewaltigen 261 Millionen Tonnen CO2,
       heißt es im Prüfbericht des Expertenrats von Ende August.
       
       Auf dieses fachliche Urteil des Expertenrats stützt sich nun auch die Klage
       der Deutschen Umwelthilfe. Wissings Sofortprogramm sei „rechtswidrig“,
       heißt es in dem 32-seitigen Schriftsatz von DUH-Anwalt Remo Klinger. Als
       mögliche Maßnahmen regt die DUH etwa ein Tempolimit oder eine CO2-basierte
       Neuzulassungssteuer an.
       
       ## Richterprobleme behindern Klagen
       
       Den Großteil seiner Ausführungen muss Klinger allerdings für die Erklärung
       aufwenden, warum die DUH in dieser Frage entgegen der restriktiven
       deutschen Gesetzeslage überhaupt klagen darf.
       
       Über die Klage muss nun das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
       entscheiden. Das OVG ist zuständig, weil der Sitz des Verkehrsministeriums
       in Berlin ist. Beim OVG liegen auch bereits mehrere andere Klagen der
       Deutschen Umwelthilfe, die sich gegen die vermeintlich mangelhafte
       Umsetzung des Klimaschutzgesetzes durch die Bundesregierung wenden.
       
       Eine erste Klage aus dem Jahr 2020 betraf bereits den Verkehrssektor. In
       der Klage vom Mai 2021 werden auch die Klimaschutzvorhaben in den Bereichen
       Industrie, Landwirtschaft, Energie und Gebäude angegriffen. Eine dritte
       Klage der Deutschen Umwelthilfe von Anfang 2022 bezieht sich erneut auf den
       Gebäudesektor.
       
       Über keine dieser Klagen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
       bisher entschieden. Der auch für Umweltrecht zuständige 11. OVG-Senat war
       2020 und 2021 mit Coronafragen überlastet. Im Februar 2022 ging dann der
       Vorsitzende Roger Fieting in den Ruhestand.
       
       Der gemeinsame Richterwahlausschuss von Berlin und Brandenburg wählte am 8.
       Juni zwar eine Nachfolgerin. Doch gegen deren Ernennung hat ein
       unterlegener Mitbewerber eine Konkurrentenklage erhoben, über die nun das
       Verwaltungsgericht Berlin entscheiden muss. Damit ist abzusehen, dass der
       11. Senat die komplexen Klimafragen auch in den nächsten Monaten weiter
       liegen lässt.
       
       Anm. der Redaktion: in einer früheren Fassung des Textes hieß es
       versehentlich, dass sich die Obergrenze für CO2-Ausstoß im Verkehrssektor
       leicht erhöhe. Das Gegenteil ist richtig, sie sinkt leicht.
       
       5 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.duh.de/home/
   DIR [2] /Expertenrat-zu-Klimaschutzprogrammen/!5873722
   DIR [3] /Uneinigkeit-in-der-Bundesregierung/!5864326
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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