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       # taz.de -- akws: Laufzeitverlängerung extra light
       
       > Laut Stresstest könnten zwei AKWs unter extremen Umständen gebraucht
       > werden, um die Versorgung mit Energie im Winter in Süddeutschland zu
       > gewährleisten. Doch nur wenn diese Annahmen tatsächlich eintreten, sollen
       > sie weiterlaufen dürfen. Auf den Strompreis hätte die
       > Laufzeitverlängerung wenig Einfluss
       
       Aus Berlin Malte Kreutzfeldt
       
       Zwei der drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke können theoretisch
       bis April nächsten Jahres weiter genutzt werden – doch dass es dazu kommt,
       ist eher unwahrscheinlich: Das ist in Kurzform das Ergebnis des mit
       Spannung erwarteten Stresstests, den das Bundeswirtschaftsministerium bei
       den vier deutschen Fernnetzbetreibern in Auftrag gegeben hatte.
       
       Im Rahmen dieser Analyse war untersucht worden, was es für die
       Stromversorgung und die Netzstabilität bedeuten würde, wenn im kommenden
       Winter diverse extreme Ereignisse gleichzeitig eintreten: ein dauerhafter
       Ausfall von einem Drittel der französischen Atomkraftwerke, eine starke
       Reduktion der Leistung deutscher Kohlekraftwerke aufgrund von
       Niedrigwasser, ein Gaspreis von mehr als 300 Euro pro Megawattstunde, ein
       Ausfall von 50 Prozent des Gasbedarfs in Süddeutschland und ein deutlich
       gestiegener Strombedarf durch den Einsatz von Heizlüftern.
       
       Wenn sich alle diese Annahmen bewahrheiten würden, könnte es in
       Süddeutschland im kommenden Winter stundenweise einen Mangel an Strom geben
       – denn dort gibt es vergleichsweise wenig Windräder und Kohlekraftwerke,
       und die Leitungen aus dem Norden langen bisher nicht, um genug Strom in den
       Süden zu transportieren. Um diesen Mangel auszugleichen, müsste in dieser
       Zeit eine Leistung von bis zu 5,1 Gigawatt aus dem Ausland bezogen werden.
       
       Dieses Problem könnte durch die weitere Nutzung der beiden AKWs
       Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) und Isar 2 (Bayern) etwas abgemildert
       werden, zeigt der Stresstest: Der Bedarf aus dem Ausland würde auf 4,6
       Gigawatt sinken. Die Auswirkungen auf den deutschen Gasbedarf wären noch
       deutlich geringer: Dieser würde bei einer weiteren Nutzung der AKWs im
       nächsten Winter um weniger als ein Promille sinken.
       
       Das ist wenig, aber nicht nichts. Die Netzbetreiber sprechen sich im
       Stresstest darum faktisch für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten bis
       April 2023 aus. Wirtschaftsminister Habeck ist dazu bereit – aber nur für
       den Fall, dass die Annahmen aus dem Bericht tatsächlich Realität werden.
       „Man kann nicht ausschließen, dass sie einen Beitrag leisten können“,
       erklärte der Grünen-Politiker. Darum sei es die richtige Konsequenz, „dass
       wir diese Option erhalten“. Entschieden werden solle dies, wenn klar sei,
       ob das Extremszenario eintritt.
       
       Bei den Eigentümerstrukturen und der Haftung, über die im Vorfeld
       diskutiert worden war, würde sich bei einer solchen befristeten
       Laufzeitverlängerung nichts ändern, sagte Habeck. Mit den Betreibern werde
       es jetzt Gespräche geben, um die Voraussetzungen für den möglichen
       Weiterbetrieb sicherzustellen. Ob dafür das Atomgesetz geändert werden
       muss, das eine Stilllegung der letzten deutschen AKWs Ende 2022 vorsieht,
       oder ob eine Änderung des Energiesicherungsgesetzes ausreicht, werde
       derzeit von Juristen geprüft.
       
       Neben der Versorgungssicherheit waren auch niedrigere Strompreise als
       Argument für eine Laufzeitverlängerung genannt worden. Direkt sagt der
       Stresstest dazu nichts, denn er analysiert nur die Versorgungssicherheit
       und die Netzstabilität. Indirekt zeigen die Ergebnisse aber, dass der
       Strompreis allenfalls geringfügig sinken dürfte. Denn der Strom aus den
       Atomkraftwerken würde nur zu einem geringen Teil Strom aus Gaskraftwerken
       ersetzen, die derzeit den gesamten Strompreis hochtreiben.
       
       Ändern würde sich das nur, wenn die Koalition ihre Pläne umsetzt,
       Höchstpreise für bestimmte Kraftwerke zu differenzieren und die Gewinne,
       die darüber hinaus anfallen, abzuschöpfen. Dass das bis zum Jahreswechsel
       gelingt, scheint derzeit wenig wahrscheinlich, weil zunächst eine Einigung
       auf EU-Ebene angestrebt wird.
       
       7 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
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