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       # taz.de -- Russland will Annexionsliga gründen: Auch Putin scheitert am Fußball
       
       > Russland plant ab März 2023 mit einer Annexionsliga aus 14 Teams. Es ist
       > ein dümmlicher Versuch, die Staatswerdung zu beschleunigen.
       
   IMG Bild: Putin versucht sich am Fußball (Archivbild)
       
       Allzu ernst pflegen politische Entscheidungskräfte den Fußball in den Regel
       nicht zu nehmen. Manchmal, gerne zu Wahlkampfzeiten, tauchen sie mit Schal
       oder Trikot irgendwo auf, aber das ist alles nur populistisch draufgepappt.
       Die politische Kraft des Fußballs ist diesen Herren und Damen weitgehend
       fremd.
       
       [1][Außer Wladimir Putin], könnte man meinen. Zumindest hat jetzt der
       russische Vizesportminister Odes Bajsultanow angekündigt, dass ab März 2023
       eine neue Liga aus 14 Teams an den Start gehen soll. Die Mannschaften
       kommen [2][aus den Volksrepubliken Donezk] und Luhansk, der von Russland
       annektierten Halbinsel Krim, aus den im aktuellen Krieg besetzten Bezirken
       Cherson und Saporischschja und aus den von niemandem international
       anerkannten Republiken Abchasien und Südossetien. Wie das Konstrukt heißen
       soll, weiß man noch nicht, Annexionsliga dürfte es treffen.
       
       Im Deutschlandfunk beschreibt der Politologe Timm Beichelt die Etablierung
       einer solchen Liga als „symbolischen Akt der Staatswerdung“. In der Tat
       bewirkt Fußball mehr als etwa das Verteilen von einheitlichen Schulbüchern.
       
       Tatsächlich haben die wenigen Politologen, die sich ernsthaft mit Fußball
       beschäftigen, herausgefunden, dass zu den Voraussetzungen eines Staates
       nicht nur die klassisch bekannten Bestandteile Staatsgebiet, Staatsvolk und
       Staatsregierung gehören, sondern dass im 20. Jahrhundert die Existenz einer
       Fußballnationalmannschaft hinzugekommen ist, die idealiter einer eigenen
       Liga erwachsen kann.
       
       ## Mit Fußball lässt sich nichts erzwingen
       
       Die Besonderheit dieses Befundes ist, dass der Fußball eine
       gleichberechtigte vierte Voraussetzung eines Staates ist. Nicht aber, und
       so präsentiert sich der Kreml-Plan derzeit, dass der Fußball die anderen
       Dinge mehr oder weniger vergessen lassen könnte. Wenn Staatsgebiet, -volk
       und -regierung mindestens umstritten sind, kann der Fußball nicht für die
       in Moskau gewünschte Einigkeit sorgen. Auch dann nicht, wenn der russische
       Staat das alles finanziert.
       
       Ein Vorbild für das nun angekündigte Modell der Annexionsliga gibt es seit
       2014 auf der Krim: Acht Vereine, sechs davon wurden vom russischen
       Sportministerium gegründet, kicken dort am Zuschauerinteresse vorbei. Der
       traditionell beste Klub, Tawrija Simferopol, 1992 erster Meister [3][der
       unabhängigen Ukraine], sollte nach der Annexion der Krim zunächst in der 3.
       russischen Liga spielen. Die Uefa untersagte das. In die Krimliga fügte
       sich Tawrija nicht ein. Ohne diese Tradition entpuppt die sich schnell als
       bloßes politisches Konstrukt.
       
       Noch deutlicher dürfte die fußballpolitische Botschaft werden, die sich aus
       dem Scheitern der Annexionsliga ergeben wird: Ein Klub wie Schachtjar
       Donezk, 2009 Uefa-Pokalsieger und am Dienstagabend mit 1:4 Bezwinger von RB
       Leipzig, hat seit der russischen Invasion mit Donezk nur noch den Namen
       gemein. Er ist, um dem Krieg zu entkommen, in die Westukraine umgesiedelt.
       
       Das ist die Botschaft, die der Sport für politische Entscheidungsträger
       bereithält: Der Fußball wächst historisch in einer Gesellschaft, und wenn
       er da ist, hat er eine enorme politische Kraft. Was nicht funktioniert,
       ist, ihn einfach von oben gründen und dümmlich glauben, das Volk ströme
       dann schon ins Stadion und finde alles andere auch toll.
       
       8 Sep 2022
       
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