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       # taz.de -- Vor dem CDU-Parteitag in Hannover: Gute Miene
       
       > Merz versprach der CDU „starke Führung und klaren Kurs“. Offen ist, ob
       > die Partei ihm bei der Frauenquote folgt. Es geht auch um seine
       > Autorität.
       
   IMG Bild: Will den neoliberalen Blackrocker hinter sich lassen: CDU-Chef Friedrich Merz
       
       Berlin taz | Vermutlich dachte man in der Union, es sei ein starkes Bild,
       wenn Friedrich Merz im Rahmen der Fraktionsvorstandsklausur die Presse auf
       der Zugspitze zum Statement lädt. Ganz oben, auf Deutschlands höchstem
       Berg, das Land klar im Blick. Doch als der CDU-Vorsitzende, ohnehin durch
       einen Schlüsselbeinbruch beeinträchtigt, in der vergangenen Woche auf 2.000
       Meter Höhe gemeinsam mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt aus der
       Gondel steigt, steht er im Nebel. Wohl nicht genau das, was sich die Union
       vorgestellt hat – und so leicht übertragbar auf die Partei. Denn auch bei
       der CDU ist bestenfalls schemenhaft: Wofür steht die Partei? Wo will sie
       hin? Und wohin steuert ihr Vorsitzender?
       
       Das Profil der CDU ist in den acht Monaten, in denen Merz an ihrer Spitze
       steht, nicht viel klarer geworden. Zwar hat sich die Bundestagsfraktion
       langsam in die Oppositionsrolle eingefunden. Auch macht Merz, der kurz nach
       seiner Wahl zum Parteichef auch den Fraktionsvorsitz an sich gezogen hat,
       in Plenardebatten, mal spitz und treffsicher, mal polemisch, unsachlich und
       schlicht falsch, manchen Punkt. Mitunter schafft er es sogar, wie gerade am
       Mittwoch, [1][den sonst so nüchternen Kanzler aus der Reserve zu locken].
       Auch gelingt es ihm, die Konflikte innerhalb der Ampelkoalition fest im
       Blick, diese vor sich herzutreiben. Doch meist bleibt es bei Kritik.
       
       Eigene Vorstellungen und Konzepte hört man aus der CDU kaum. Dabei war
       „starke Führung und klarer Kurs“ das, was Merz seiner Partei nach dem
       Debakel bei der Bundestagswahl versprochen hat: Mit ihm gebe es endlich
       wieder Kanten und Kontur, Ideen und Inhalte. Die Partei sollte Konzepte für
       die Zukunft entwickeln. Bislang aber ist da nicht viel. Ein neues
       Grundsatzprogramm soll zur Europawahl in zwei Jahren fertig sein.
       
       Am Freitag kommt in Hannover für knapp zwei Tage der Bundesparteitag der
       CDU zusammen, es ist der erste Präsenzparteitag seit langer Zeit – und der
       erste Parteitag mit Merz als Chef. Von dem Treffen soll, nach Jahren mit
       Personalquerelen, zwei gescheiterten Bundesvorsitzenden und der Niederlage
       bei der Bundestagswahl, ein Zeichen von Geschlossenheit und Sacharbeit
       ausgehen. In Zeiten von Krieg, drohendem Energienotstand und
       Wirtschaftskrise, so heißt es in der Partei, wäre außerhalb auch alles
       andere schwer vermittelbar. Und: Anfang Oktober wird in Niedersachsen der
       Landtag neu gewählt. Der Landes-CDU, derzeit noch Teil einer Großen
       Koalition, droht der Gang in die Opposition – sie kann Rückenwind gut
       gebrauchen.
       
       ## Wird sich die CDU eine Frauenquote geben?
       
       Doch einfach wird das mit der Geschlossenheit nicht. Zwar will die
       Parteispitze die Debatte über den Leitantrag für „sichere Energie und
       starke Wirtschaft“ gern ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken.
       Der Antrag, der recht kurzfristig erstellt und erst am Mittwochabend zur
       Verabschiedung an die Vorstandsmitglieder verschickt wurde, soll am
       Freitagnachmittag vom Parteitag diskutiert werden, zur Primetime sozusagen
       – und entschlossene und einvernehmliche Bilder für die Nachrichten liefern.
       
       Doch auf der Tagesordnung stehen auch Themen, bei denen die CDU mit sich
       ringt. Soll in der Grundwerte-Charta, die eine Art Fundament für das neue
       Grundsatzprogramm werden soll, die Gleichstellung von Männern und Frauen
       verankert werden? Versteht sich die CDU als bürgerliche Partei? Will sie
       ein verpflichtendes Dienstjahr für alle einführen? Und, das Thema mit dem
       größten Spaltpotenzial: Wird sich die CDU eine Frauenquote geben?
       
       Genau diese Frage könnte für Friedrich Merz zum Problem werden.
       
       In der Partei ist so mancher vom neuen Parteichef enttäuscht, auch wenn das
       niemand offen äußern will. Es sind weniger die, die sich sorgten, Merz
       könnte der Partei eine Rolle rückwärts verordnen. Es sind eher die bislang
       hundertprozentigen Merz-Fans. Die den Sauerländer zu einer Art
       konservativem Heilsbringer stilisierten, der die Partei auf den rechten Weg
       zurückbringen wird. Sie sind der Ansicht, dass Merz nicht liefert.
       
       Was stimmt: Seitdem er an Spitze der CDU steht, versucht Merz, sich ein
       neues Image zu geben; es scheint, er will den neoliberalen Blackrocker mit
       viel Arroganz und wenig Empathie abstreifen. Mit seiner neuen Brille wirkt
       er weicher. Auf einem Video sieht man, wie er grinsend auf einem Sommerfest
       zu „Lady Bump“ tanzt. Und in der Bunten hat er gemeinsam mit seiner Frau in
       einem Doppelinterview über Wandern und Bügeln geredet. Auffällig viel
       spricht er über Sozialpolitik; „Lieber 1.000 Euro für Einkommen im unteren
       Drittel als 300 für jeden“ ist einer seiner Lieblingssätze derzeit. Als
       Generalsekretär hat er Mario Czaja gewählt, Sozialpolitiker und Mitglied in
       der CDA, dem Sozialflügel der Partei. Und dann, so sehen es manche, ist der
       Parteichef auch noch bei der Frauenquote gekippt.
       
       ## Es fehlen Frauen auf allen Ebenen – vor allem Wählerinnen
       
       Die Quote ist in der CDU ein höchst aufgeladenes Thema, man kann es einen
       parteiinternen Kulturkampf nennen. Die einflussreiche
       Mittelstandsvereinigung und die Junge Union laufen Sturm gegen die
       Einführung, ein Gegenantrag für den Parteitag hatte in Windeseile Hunderte
       Unterstützer:innen aus der Mitgliedschaft.
       
       Die CDU hat ein veritables Frauenproblem, es fehlen Frauen auf allen Ebenen
       – und vor allem die Wählerinnen. Merz, der früher als Quotengegner galt,
       hat erkannt, dass sich dies ändern muss, will die CDU zurück an die Macht
       gelangen. Er spricht weiter davon, dass die Quote nur „die zweitbeste
       Lösung“ sei, doch eine bessere hat er nicht gefunden. Jetzt hat er sich
       hinter das gestellt, was sperrig „der Vorschlag der Satzungs- und
       Strukturkommission“ heißt, also eine stufenweise Einführung einer
       50-prozentigen Frauenquote.
       
       Das Ganze ist weichgespült und soll zunächst auf fünf Jahre begrenzt
       werden, Merz aber hat damit die Einführung der Quote zu seiner Sache
       gemacht. Und die könnte scheitern. In der Partei heißt es unisono, dass die
       Abstimmung knapp werde. Spricht sich der Parteitag gegen die Quote aus,
       wäre das für Merz ein Dämpfer. Er hätte seine Partei bei der ersten
       Kampfabstimmung nicht hinter sich.
       
       Während sich ein Teil der Partei an Merz’ neuem Image reibt, scheint dieses
       nach außen bislang wenig zu verfangen. Zwar kann die CDU in den vergangenen
       Monaten durchaus Erfolge vorweisen, sie hat die Wahlen in
       Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen klar gewonnen, Daniel Günther
       und Hendrik Wüst regieren dort jetzt mit den Grünen. Auch die Umfragen im
       Bund sind gut, die Union liegt seit Wochen klar auf Platz eins.
       
       ## Auf der Suche nach dem richtigen Weg
       
       Nur schlägt das nicht auf den Parteichef durch, den sein Generalsekretär
       bei einer internen Veranstaltung schon zum nächsten Kanzlerkandidaten
       ausgerufen haben soll. Viel spricht dafür, dass Merz nach der Kandidatur
       greifen wird, es ist die letzte Chance des 66-Jährigen. In den
       Beliebtheitswerten aber liegt er bislang stabil hinter den grünen
       Minister:innen Robert Habeck und Annalena Baerbock, im Regelfall auch
       hinter Scholz. Im letzten Politbarometer hat er zuletzt von 10 abgefragten
       Politiker:innen Platz 9 belegt, nur Sahra Wagenschnecht hat schlechter
       abgeschnitten.
       
       Ein lang gehegtes Image lässt sich eben nicht so schnell abstreifen. Zumal
       die Frage ist, wer denn eigentlich der echte Merz ist.
       
       Denn immer wieder kommt der alte durch. Etwa wenn im Bundestag Annalena
       Baerbock über feministische Außenpolitik spricht und Merz dies mit einem
       übertriebenen Griff ans Herz lächerlich zu machen versucht – und an dem
       Konter der Außenministerin scheitert. Wenn er zur Hochzeit von
       Finanzminister Christian Lindner [2][mit dem Privatflieger anreist] und
       behauptet, dass dies im Vergleich zum Minister-Dienstwagen
       umweltfreundlicher sei. Was nicht stimmt, wie mehrere Medien errechnet
       haben. Wenn ihm das „ich“ viel zu oft über die Lippen kommt. Oder wenn er
       plant, gemeinsam mit einem Trump-Vertrauten, dem US-Senator Lindsey Graham,
       bei einer Veranstaltung aufzutreten, organisiert von der rechten Plattform
       „The Republic“, die in Form und Inhalt stark an die AfD erinnert.
       
       Als an der Veranstaltung scharfe Kritik aufkam, sagte Merz seine Teilnahme
       mit der Begründung wieder ab, dass weitere Teilnehmer AfD-nah seien. Aus
       der CDU hört man, es habe ein Gezerre um die Veranstaltung gegeben, Merz’
       neuer Büroleiter musste im Anschluss gleich wieder gehen.
       
       Auch das zeigt: Die Kämpfe um den Kurs der CDU sind in vollem Gang. Und
       auch Merz steht noch im Nebel – und ist auf der Suche nach dem richtigen
       Weg.
       
       9 Sep 2022
       
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