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       # taz.de -- Fachkräftemangel in Berlin: Kein Bock auf Ausbeutung
       
       > Im Berliner Betriebspanel beklagen Arbeitgeber steigenden
       > Fachkräftemangel. Dabei liegt es in ihrer Hand, die Arbeitsbedingungen zu
       > verbessern.
       
   IMG Bild: Falsche Prioritäten: Der Fachkräftemangel etwa in der Pflege ist hausgemacht
       
       Alle Jahre wieder beklagen Unternehmen einen angeblichen Fachkräftemangel
       und dass sie Schwierigkeiten haben, neues Personal zu finden. So auch in
       der Arbeitgeber*innenbefragung von 2021, [1][dem Berliner
       Betriebspanel, das in dieser Woche vorgestellt wurde]. Danach konnten 38
       Prozent der ausgeschriebenen Stellen nicht besetzt werden. Das klingt auf
       den ersten Blick dramatisch, auf den zweiten Blick wird allerdings klar:
       Die Unternehmen haben sich dieses Grab selbst geschaufelt.
       
       Schon der von der Kapitalseite verwendete Begriff „Fachkräftemangel“
       verdreht die Tatsachen und verstellt den Blick auf die Ursachen der Misere:
       Es gibt weniger einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften als vielmehr
       einen Mangel an guten Arbeitsbedingungen. Spätestens seit der
       Corona-Pandemie hat sich der Wind gedreht, und viele Menschen sind nicht
       länger bereit, sich für wenig Geld maximal ausbeuten zu lassen – nur um am
       Ende kurz vor dem Burn Out zu stehen und die Gasrechnung trotzdem nicht
       bezahlen zu können, während die Dividenden der Unternehmen munter weiter
       steigen.
       
       Nicht wenige Arbeiter*innen, die in Kurzarbeit die jahrelang
       selbstverständlich erschienene Last der täglichen Maloche nicht mehr tragen
       mussten, [2][überlegten sich am Ende zweimal, ob sie in einen Job
       zurückkehren], der ihnen die Lebensfreude nimmt, aber nur wenig gibt. Das
       Narrativ, dass wir nur genug arbeiten müssen, um am Ende ein Leben in
       Wohlstand zu führen, funktioniert in Zeiten, in denen die [3][Schere
       zwischen Kapital und Arbeit immer weiter auseinanderklafft], nicht mehr.
       
       So ist es wenig überraschend, dass die Branchen mit dem höchsten
       Fachkräftebedarf das Gesundheitswesen und der Pflegebereich sind. Hier ist
       die [4][Belastung besonders hoch], von einer fairen Bezahlung kann trotz
       aller Lobhudeleien durch die Politik keine Rede sein. Die Folge ist eine
       massive Abwanderung von dringend benötigten Fachkräften, was die Situation
       zusätzlich verschlimmert.
       
       Die Lösung für die Misere liegt auf der Hand: Wer im Kapitalismus ein
       schlechtes Produkt anbietet und deshalb keine Abnehmer*innen findet,
       muss das Produkt verbessern, da hilft alles Jammern nicht. Die Unternehmen
       haben es selbst in der Hand: Entweder eine schmalere Rendite oder ein
       Betrieb ohne Arbeiter*innen – ohne die sich am Ende gar kein Gewinn
       erwirtschaften lässt. Für das Gesundheitswesen wäre das ohnehin die bessere
       Lösung, denn unsere Gesundheit lässt sich nicht mit Geld aufwiegen.
       
       Doch was tun, wenn man trotz guter Arbeitsbedingungen und auskömmlichen
       Löhnen kein Personal findet? Hier ist die Politik gefragt. Noch immer sind
       Tausende Migrant*innen zum Nichtstun verdammt, weil sie keine
       Arbeitserlaubnis erhalten. Dass in Berlin mittlerweile auch [5][geduldete
       Menschen einer Arbeit nachgehen dürfen], ist ein Schritt in die richtige
       Richtung, dem allerdings weitere folgen müssen.
       
       ## Alle Geflüchteten müssen arbeiten dürfen
       
       Was für die Ukraine-Flüchtlinge gilt – sofortige Arbeitserlaubnis und
       Bewegungsfreiheit – muss für alle Geflüchteten gelten. Berufsabschlüsse
       müssen leichter anerkannt werden, damit keine syrische Ärztin oder
       afghanische Lehrerin ungelernte Hilfsjobs annehmen muss. Auch dass
       Migrant*innen mindestens [6][Deutschkenntnisse auf Niveau B1 nachweisen
       müssen], ist unnötig und kontraproduktiv.
       
       Mit Blick auf den demografischen Wandel [7][wird Deutschland nicht ohne
       Einwanderer*innen auskommen können]. Das darf allerdings nicht dazu
       führen, dass Arbeiter*innen gegeneinander ausgespielt werden. Der Kampf
       für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne muss unabhängig von
       Herkunft und Geschlecht geführt werden – und ist angesichts steigender
       Preise nötiger denn je.
       
       27 Aug 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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