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       # taz.de -- Habeck will Strom- von Gaspreis lösen: Gaskraftwerke prägen den Strompreis
       
       > An den Strommärkten definiert das teuerste Kraftwerk den Börsenpreis. Das
       > hat sich niemand ausgedacht, sondern ergibt sich zwangsläufig.
       
   IMG Bild: Wenn der Gaspreis steigt, steigen auch die Strompreise aus der Steckdose
       
       Freiburg taz | Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat angekündigt, den
       Strommarkt mittelfristig umbauen zu wollen – vor allem will er den
       [1][Strompreis] vom Gaspreis entkoppeln. Wie das geschehen soll, ist zwar
       noch offen. Klar ist aber, was Habeck dazu treibt: Es sind die
       Rekordnotierungen an der Strombörse, die bis [2][vor Kurzem undenkbar
       waren].
       
       Strom zur Lieferung im Jahr 2023 wurde am Montag in einem von großen
       Schwankungen geprägten Markt zeitweise für mehr als einen Euro je
       Kilowattstunde gehandelt. Damit hat sich der Börsenpreis binnen einem Monat
       fast verdreifacht. Für die kommenden Wintermonate wurden sogar zeitweise
       mehr als 1,40 Euro je Kilowattstunde bezahlt – und das sind nur die
       Großhandelspreise. Bis die Kilowattstunde beim Endkunden ankommt, schlagen
       noch Netzentgelte, Vertriebskosten sowie ein paar weitere kleine Posten zu
       Buche. Und dann natürlich die Umsatzsteuer.
       
       So skurril das im ersten Moment erscheinen mag – dies ist der übliche Weg
       der Preisbildung, wenn an transparenten Märkten homogene Güter gehandelt
       werden. So wie es beim Verkauf beliebiger Rohstoffe am Weltmarkt auch keine
       Rolle spielt, dass die Gewinnung identischer Rohstoffe sehr
       unterschiedliche Kosten verursachen kann; bezahlt wird – bei gleicher
       Qualität – ein einheitlicher Marktpreis, der für jede einzelne Tonne gilt.
       Und diesen setzt immer die teuerste Tonne, die nötig ist, um den Bedarf
       vollständig zu befriedigen. Nach ähnlichen Marktgesetzen funktionieren
       übrigens auch Auktionen auf Ebay.
       
       Jeder freie, transparente Markt bildet auf diesem Weg seine Preise. Das
       zeigt ein einfaches Beispiel: Auf einem Markt – also einem definierten
       Handelsplatz – werden zehn gleichwertige Äpfel angeboten. Bestimmt man nun
       zu einem fixen Termin den Verkaufspreis, dann ist dieser natürlich (weil
       die Ware identisch ist) für alle Äpfel gleich.
       
       ## Problem ist ein komplett liberalisierter Markt
       
       Nehmen wir nun an, es wird bei zehn verfügbaren Äpfeln ein elfter Apfel
       nachgefragt. Was dann passiert, ist einfachste Lehrbuchökonomie: Der Preis
       der Äpfel steigt so weit, bis eines von zwei möglichen Ereignissen
       eintritt. Entweder es springt ein Interessent ab, weil er nicht mehr bereit
       ist, diesen Preis zu bezahlen, dann werden die zehn Äpfel zum erzielten
       Preis an die nunmehr zehn Interessenten verkauft.
       
       Oder aber ein Anbieter ist angesichts des gestiegenen Preises bereit, einen
       weiteren Apfel (nun unter Inkaufnahme hoher Kosten) zu beschaffen. Dann
       gehen alle nun vorhandenen elf Äpfel zum Einheitspreis an die Kunden.
       Dieser ist – und damit ergibt sich die Parallele zum Strommarkt – definiert
       durch die Kosten, die für die Beschaffung des elften Apfels anfallen.
       
       Nichts anderes spiegelt die Strombörse in hoher zeitlicher Auflösung wider.
       In Stunden, in denen Strom aus erneuerbaren Energien en masse vorhanden
       ist, wenn also keine Gaskraftwerke und überhaupt keine fossilen Kraftwerke
       nötig sind, geht der Preis in den Keller, denn dann setzen die Erneuerbaren
       mit ihren variablen Kosten nahe null den Preis. In Zeiten, in denen aber
       Kraftwerke mit teuren Brennstoffen nötig sind, steigt der Einheitspreis für
       alle verkauften Kilowattstunden.
       
       ## Alternative: Staat steuert den Strompreis
       
       Das kann man jetzt gut finden oder schlecht – in jedem Fall ergibt sich das
       zwangsläufig, wenn man den komplett liberalisierten Markt zulässt.
       Alternativ dazu ist natürlich eine – partielle oder vollständige –
       staatliche Steuerung des Strompreises möglich.
       
       Dachten die Ampel-Parteien womöglich an ein Konzept dieser Art, als sie im
       vergangenen Herbst in ihren Koalitionsvertrag schrieben, sie wollten „ein
       neues Strommarktdesign erarbeiten“? Bis heute ist nicht klar, was die
       Koalitionäre mit dieser Formulierung meinten. Denn immer noch hat niemand
       ein anderes Modell vorgestellt, das die Funktion des europäischen
       Strommarktes weiterhin gewährleisten könnte. Damit werden die Strompreise
       auch künftig an den Gaspreisen hängen – so lange jedenfalls, wie noch
       Erdgas verstromt wird.
       
       30 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernward Janzing
       
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