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       # taz.de -- Biobauer über die Kosten der Milch: „Zu wenig kommt in Betrieben an“
       
       > Die Biomeierei „Hamfelder Hof“ hat bewusst die Preise erhöht, um noch
       > höhere Tierschutzstandards umzusetzen. Doch nun sind da Pandemie und
       > Krieg.
       
   IMG Bild: Höhere Preise machen es möglich: ein tierwohlgerechtes Leben für Kühe
       
       taz: Herr Raymann, es ist paradox: Sie haben im vergangenen Herbst die
       Preise für Ihre Milch erhöht und gewinnen neue Kundinnen und Kunden. 
       
       Janosch Raymann: Wir haben sicherlich auch einzelne Kundinnen und Kunden
       verloren, aber auf der anderen Seite konnten wir auch neue dazugewinnen. In
       der Summe hat es sich ausgeglichen. Menschen haben uns geschrieben, dass
       sie durch unser neues Konzept auf uns aufmerksam geworden sind und das
       gerne unterstützen möchten. Das Entscheidende ist, dass wir nicht einfach
       gesagt haben, wir erhöhen den Preis um 20 Cent pro Liter Milch, sondern
       eine konkrete Zielsetzung hatten.
       
       Nämlich? 
       
       Wir sehen in bestimmten Bereichen – auch in der ökologischen Landwirtschaft
       – [1][noch Herausforderungen, die wir angehen wollen]. Und dafür benötigen
       wir einen höheren Milchpreis für unsere Landwirte.
       
       Haben Sie auch denen, die geschrieben haben, uns wird das jetzt zu teuer,
       geantwortet? 
       
       Wir haben sehr viele Zuschriften bekommen und wir haben uns bemüht, allen
       zu antworten. Es gab sehr viele positive, aber einige haben zum Beispiel
       nicht geglaubt, dass das Milchgeld wirklich bei den Landwirten ankommt.
       
       Es zeigt doch ein Riesenproblem, wenn Landwirtinnen und Landwirte selbst
       mit den bisherigen Biomilchpreisen, die Tiere nicht so halten können, wie
       es ihrem eigenen Anspruch entspricht. 
       
       Das Ganze ist auch eine Entwicklung in der Art und Weise, wie man glaubt,
       Tiere richtig zu halten. Auch vor 25 Jahren haben sich die
       Bio-Landwirt:innen bemüht, die Tiere so zu halten, wie sie es für richtig
       hielten. Aber früher hat sich zum Beispiel niemand damit beschäftigt, dass
       eine Kuh es gerne kühl hat. Da wurden die Ställe deshalb eher geschlossen
       gebaut, während man heute weiß, dass Außenklimaställe besser für die Tiere
       sind. Grundsätzlich kann man sagen, dass es nicht nur im Biobereich,
       sondern allgemein ein Problem ist, dass zu wenig Geld bei den Betrieben
       ankommt. Die Landwirt:innen können nicht wirklich das umsetzen, was sie
       für richtig halten. Der Milchmarkt ist eben ein Markt, der immer sehr unter
       Kostendruck steht und das hat natürlich Auswirkungen.
       
       Geht es da primär um Ställe oder lässt sich das nicht so auf einen Punkt
       reduzieren? 
       
       Nein, das lässt sich nicht auf einen Punkt festlegen. Wichtig ist für uns
       beispielsweise, dass wir eine kuhgebundene Kälberaufzucht umsetzen.
       
       Die Kälber werden also nicht sofort von ihren Müttern oder Ammen-Kühen
       getrennt? 
       
       Genau. Es geht uns aber noch um mehr Punkte. [2][Tierhaltung ist eine sehr
       komplexe Aufgabe] und es hilft nichts, wenn ich in einem Bereich sehr gut
       bin, in anderen aber nicht. Wir haben versucht, ein ganzheitliches Konzept
       zu entwickeln: Das geht von der Beleuchtung im Winter über die Gestaltung
       der Liegeboxen bis zur Versorgung der Tiere. Es gibt
       Biodiversitätsmaßnahmen, die wir in unseren Betrieben umsetzen wollen, aber
       auch das Thema Arbeitsbedingungen.
       
       Was ist da zu tun? 
       
       Es ist in der Landwirtschaft besonders schwierig, qualifizierte
       Arbeitskräfte zu finden. Da müssen tatsächlich Betriebe aufhören. Bei uns
       glücklicherweise noch nicht, aber auch da ist es schwer. Das Problem
       beschränkt sich auch nicht auf die Höfe selbst, sondern mittlerweile auch
       auf Lohnunternehmer, die man beauftragen kann, um bei der Feldarbeit zu
       unterstützen. Im Milchviehbereich ist dieses Problem zugespitzt, weil da
       365 Tage im Jahr jemand vor Ort sein muss. Das wird gerade für die
       Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen trotz dieses Konzepts immer noch ein
       verdammt harter Job sein. Aber der geht vielleicht etwas leichter von der
       Hand, wenn man das Gefühl hat: Ich kann meinen Betrieb gut aufstellen.
       
       Auf Ihren Milchpackungen stand ein Erklärtext zur Preiserhöhung. Wie kam es
       dazu, dass Sie sich entschlossen haben, direkt mit den Kundinnen und Kunden
       zu kommunizieren? 
       
       Insgesamt haben wir dieses Konzept über drei Jahre vorbereitet, sowohl, was
       die dahinter liegenden Maßnahmen angeht, als auch, wie wir das Ganze
       kommunizieren wollen. Uns war klar, dass eine Preiserhöhung von 20 Cent pro
       Liter ein großer Schritt ist. Den hatte so bisher auch noch keiner gemacht.
       
       Wie viel war das im Vergleich zum alten Preis? 
       
       Das war eine Erhöhung des Ladenpreises um etwa 15 Prozent.
       
       Und das, obwohl klar ist, dass die Deutschen zuallererst an Lebensmitteln
       sparen? 
       
       Die Aufgabe, der wir uns da gestellt haben, bereitet unseren Betrieben
       natürlich ganz schön Kopfzerbrechen. Das ist teilweise eine komplette
       Neuaufstellung der Betriebe in einem Umfeld, das insgesamt immer sehr unter
       Kostendruck steht. Den Betriebsleiter:innen, die sowieso schon jeden Tag 16
       Stunden arbeiten, war natürlich wichtig, dass wir das sehr ausführlich
       diskutieren. Das ist schon ein Wagnis gewesen. Aber noch einmal zu der
       Beschriftung auf den Milchpackungen: Für uns war das eben die Möglichkeit,
       transparent zu machen, was wir tun und was wir dafür benötigen.
       
       Da brauchen Sie ja schon eine Käuferin oder einen Käufer, der wirklich
       genau hinguckt im Milchregal. 
       
       Ganz klar, das ist so. Natürlich hilft es uns, dass es uns schon lange gibt
       und wir da ein Vertrauen aufgebaut haben. Das ist insofern auch vielleicht
       für uns noch mal eine größere Herausforderung, weil wir eben in der Regel
       eher zurückhaltend kommunizieren. Bei uns steht zum Beispiel nicht
       „Weidemilch“ auf der Verpackung drauf. Das ist Standard im Biolandbau und
       für uns eine Selbstverständlichkeit.
       
       Als Sie die Preiserhöhungen planten, konnte niemand mit dem Ukraine-Krieg
       rechnen. Nun sparen die Deutschen nicht am Urlaub, aber an Lebensmitteln.
       Spüren Sie die Auswirkungen? 
       
       Grundsätzlich betrifft das den gesamten Biobereich. Der
       Naturkost-Fachhandel ist meines Wissens nach am stärksten betroffen von
       diesem Rückgang, wir durchaus auch. [3][Unternehmen, die überwiegend im
       Discount sind], sind vielleicht weniger betroffen, weil dort deutlich mehr
       Leute einkaufen.
       
       Wird es für Leute mit wenig Geld jetzt noch schwieriger, Bioprodukte zu
       kaufen? 
       
       Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass man nicht sagen kann, Bio kaufen
       nur die, die nicht aufs Geld achten müssen. Natürlich fällt es Menschen,
       die nicht so aufs Geld gucken müssen, leichter, Bioprodukte zu kaufen. Auf
       der anderen Seite gibt es viele Menschen, die überzeugt davon sind, dass es
       das Richtige ist. Genauso wie es Menschen mit sehr viel Geld gibt, denen
       das völlig egal ist. Von daher zählen wir zu unseren Kundinnen und Kunden
       alle Einkommensgruppen. Es hängt sehr mit dem Stellenwert zusammen, den man
       Lebensmitteln und insbesondere auch deren Erzeugung beimisst. In der
       aktuellen Situation ist es aber sicherlich so, dass es für manche leider
       noch schwieriger oder auch gar nicht möglich ist, Bioprodukte zu kaufen.
       
       Die Milchpreise steigen insgesamt. Ist das im Augenblick primär dem Krieg
       geschuldet? 
       
       Der Krieg hat die ganze Lage natürlich zugespitzt. Im Grunde genommen muss
       man sagen, dass die Auswirkungen der Pandemie natürlich auch eine Rolle
       spielen. Die Lieferketten sind überall angespannt. Verpackungsmaterialien
       sind zum Beispiel schon vorher teurer geworden. Im Kern ist der größte Teil
       der ganzen Preissteigerungen aber über kurz oder lang auf die Energiepreise
       zurückzuführen.
       
       Kommt die Preiserhöhung dann letzten Endes nicht den Bäuerinnen und Bauern
       zugute, sondern deckt nur die Kostensteigerungen in der Erzeugung? 
       
       Viele von den aktuellen Preissteigerungen tragen, im Gegensatz zu unserer
       Preisanpassung im Herbst letzten Jahres, nicht zu einer Verbesserung in der
       Landwirtschaft bei – insbesondere auf Milchviehbetrieben. Grundsätzlich
       gibt es seit vielen Jahren eine Unterdeckung, die gestopft wird durch die
       Familienarbeit. Ich hoffe natürlich, dass da auch mal was für die Betriebe
       übrig bleibt.
       
       Ist das nicht frustrierend, wenn ein Konzept, das eigentlich funktioniert,
       von Umständen, die man nicht beeinflussen kann, torpediert wird?
       
       Vor 30 Jahren hat niemand Bio gekauft – da sind wir jetzt Lichtjahre
       weiter, auch wenn immer noch der ganz überwiegende Teil der Lebensmittel
       konventionell erzeugt ist. Ich bin überzeugt, dass die jetzige
       Ausnahmesituation nicht den grundsätzlichen Wandel in der Gesellschaft zum
       Umkehren bringt. Für uns und unser Konzept ist jetzt alles noch mal
       schwieriger. Aber vielleicht ist es genau deswegen umso richtiger, diesen
       Weg weiterzuverfolgen und zu sagen: Wir gucken nicht so sehr auf dieses und
       aufs nächste Jahr, sondern in die weitere Perspektive.
       
       16 Sep 2022
       
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