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       # taz.de -- Probleme in Hamburger Feuerbergstraße: Notruf aus dem Kindernotdienst
       
       > Mitarbeitende des Kinder- und Jugendnotdienstes in Hamburg beklagen
       > Überlastung und Überfüllung. Kinder würden in einer Turnhalle
       > untergebracht.
       
   IMG Bild: Glücklich, wer nur dran vorbeiradelt: Kinder- und Jugendnotdienst in der Hamburger Feuerbergstraße
       
       Hamburg taz | Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen erreichte die taz
       ein [1][Hilferuf von Mitarbeitenden] des Kinder- und Jugendnotdienstes
       (KJND) in Hamburg-Alsterdorf. „Wir können nicht mehr und hoffen, dass sie
       uns unterstützen“, schreiben die Beschäftigten, die anonym bleiben wollen.
       Der beim Landesbetrieb Erziehung (LEB) zuständige Abteilungsleiter habe
       schon das Handtuch geschmissen. „Wir stehen allein auf weiter Flur und
       wurden angewiesen, die Turnhalle mit Kindern zu befüllen.“
       
       Es geht um das Gelände an der Hamburger Feuerbergstraße. Dort gibt es neben
       einem Mädchenhaus und einer [2][Unterbringungshilfe] für in Obhut genommen
       Kinder und Jugendliche eine Erstaufnahme für junge unbegleitete Ausländer
       (Uma) ab 8 Jahren mit 44 Plätzen. Vor allem dieser Bereich, das [3][räumte
       der Hamburger Senat bereits ein], ist in Folge des Ukrainekriegs und der
       Afghanistankrise seit Monaten überlaufen.
       
       Der erste Hilferuf erreichte uns Anfang Juli. Die Erstaufnahme „platzt aus
       allen Nähten“, hieß es dort. Den verwahrten Kindern gehe es schlecht, die
       Lage sei prekär. „Und die Sozialbehörde unternimmt nichts. Selbst die
       Heimaufsicht wird von der Behördenleitung zum Stillschweigen verdonnert“,
       so der Brief. Die Heimaufsicht habe zunächst eine Überschreitung der
       Aufnahmezahl um einige Plätze erlaubt und – als auch diese Zahl
       überschritten wurde – einen Belegungsstopp auferlegt. Den habe die Aufsicht
       „auf Ansage der Behördenleitung“ zurücknehmen müssen und einen Maulkorb
       bekommen. Es gebe eine „Zwei-Klassen-Jugendhilfe mit absolut
       kindeswohlgefährdenden Tatbeständen“ in der Unterbringungshilfe. Es gebe im
       KJND viele Polizeieinsätze, da viel Gewalt herrsche. Wir sollten mit der
       Geschäftsführung sprechen.
       
       Nur gehört der Landesbetrieb zur Sozialbehörde. Unsere Anfragen, so hören
       wir, sollen wir dort stellen. Behördensprecher Martin Helfrich beantwortete
       die Frage, ob es Beanstandungen der Heimaufsicht bezüglich der
       Uma-Erstaufnahme gab, ausweichend. Die Heimaufsicht sei vor Ort gewesen und
       habe die sehr hohe Auslastung „genehmigt“, erklärte er. Und auf Nachfrage,
       ob die Heimaufsicht einen Belegungsstopp verfügte und diesen auf Ansage der
       Behördenleitung zurücknehmen musste, schrieb Helfrich: „Die Behördenleitung
       war mit den diesbezüglichen Entscheidungen nicht befasst.“
       
       Die Linken-Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus hakte in der Sache nach
       Erscheinen eines Artikels über diesen Hilferuf in der taz [4][mit einer
       schriftlichen Anfrage] nach. Siehe da: Aus der Antwort geht hervor, dass
       die Heimaufsicht zwar im Juni für einen Monat die Aufstockung um zehn
       Plätze gestattete, aber mit Schreiben vom 23. Juni tatsächlich einen
       Aufnahmestopp aussprach, bis die genehmigte Zahl erreicht sei. Dieser
       „erlassene Aufnahmestopp“ sei dann am 5. Juli nach „rechtlicher Überprüfung
       der Sozialbehörde“ von der Aufsicht „zurückgenommen“ worden, schreibt der
       Senat. Insofern stimmte, was die Mitarbeitenden schrieben.
       
       Der Senat argumentiert, dass die Stadt gezwungen ist, alle Kinder in Obhut
       zu nehmen, hier gibt es eine „Garantenpflicht“. Deshalb sei „temporär“
       diese Ausweitung der Aufnahmekapazität des KJND „unumgänglich“. Neben dem
       Zustrom aus der Ukraine gebe es auch in Folge der [5][Belastungen von
       Familien durch die Coronapandemie] einen steigenden Bedarf an Inobhutnahmen
       der hier aufgewachsenen Kinder.
       
       Und es seien weder geeignete Fachkräfte noch Räume „am Markt kurzfristig
       verfügbar“. Immerhin eröffnete der LEB am 3. August eine neue
       Uma-Folgeeinrichtung, um die Erstaufnahme des KJND zu entlasten. Darüber
       hinaus sei die Sozialbehörde mit den bezirklichen Jugendämtern im Gespräch,
       um den Aufenthalt der jungen Menschen im KJND „möglichst kurz“ zu halten.
       
       Auch eine Quelle aus dem Umfeld der Mitarbeitenden sagt, dass die
       taz-Nachfragen „intern einiges bewegt“ hätten. Die Mitarbeitenden seien
       jetzt auch angehalten, Überbelegungen künftig gar nicht mehr der
       Heimaufsicht zu melden. Dass die Lage weiter prekär ist, geht auch aus
       weiteren Daten hervor, die die Linke abfragte. So wurden die – dürftigen –
       Betreuerstellen der Uma-Erstaufnahme zwar aufgestockt, sind aber zum Teil
       unbesetzt. Es gab längere Krankmeldungen und Ende August insgesamt 13
       „Überlastungsanzeigen“ von KJND-Mitarbeitenden. Auch stieg die Zahl
       sogenannter „Vorkommnisse“ gegenüber dem Vorjahr an. Es gab allein zwölf
       Polizeieinsätze beim KJND und 97-mal war ein junger Mensch „entlaufen“.
       
       ## Die Sozialbehörde schweigt
       
       Die taz wollte von der Sozialbehörde wissen, ob es stimmt, dass die
       Überbelegung 50 Prozent beträgt und Betreute in der Turnhalle schlafen
       müssen. Außerdem wollten wir wissen, wie viele Plätze am 3. August zur
       Entlastung geschaffen wurden. Die Behörde antwortete diesmal nicht, obwohl
       sie fünf Tage Zeit hatte und mehrfach erinnert wurde.
       
       Alle, auch die Sozialbehörde, seien angewiesen zu schweigen, schreiben uns
       die Hinweisgebenden. Dabei brauche man dringend Lösungen, um die Kinder
       woanders unterzubringen. Linken-Politikerin Boeddinghaus erwägt nun, das
       Thema im nächsten Familienausschuss der Bürgerschaft anzusprechen. Sie
       schlägt vor, eine „Krisenkonferenz“ zu machen, mit Behördenvertreten,
       Verbänden und freien Trägern, um gemeinsam kurzfristige Lösungen zu finden.
       Im Sinne der Kinder und Jugendlichen aber auch zum Erhalt der Gesundheit
       der Fachkräfte vor Ort, sagt sie, müsse man „schnellstmöglich Abhilfe
       schaffen“.
       
       12 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hilfesystem-fuer-junge-Fluechtlinge/!5864417
   DIR [2] /Hamburger-Kinder--und-Jugendnotdienst/!5773055
   DIR [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/80315/kinder_und_jugendnotdienst_als_problematischer_ort_konzeption_plaetze_und_aktuelle_belegungsquote.pdf
   DIR [4] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/80773/erstaufnahme_im_kinder_und_jugendnotdienst_missstaende_und_weiteres_leiden_fuer_gefluechtete_junge_menschen.pdf
   DIR [5] /Psychologin-ueber-Kinder-in-der-Pandemie/!5846688
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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