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       # taz.de -- Synodale über Reform katholischer Kirche: „Ich war fassungslos“
       
       > Junge Teilnehmer*innen der Synodalversammlung wie Viola Kohlberger
       > hatten Hoffnung – und wurden bitter enttäuscht. Geschlagen geben sie sich
       > nicht.
       
   IMG Bild: Protest während der vierten Synodalversammlung
       
       taz: Frau Kohlberger, am Wochenende waren Sie in Frankfurt bei der vierten
       [1][Synodalversammlung der katholischen Kirche]. Dort kam es zum Eklat: Die
       Reform der kirchlichen Sexuallehre erhielt nicht die notwendige
       Zweidrittelmehrheit der Bischöfe. Was ist da passiert? 
       
       Viola Kohlberger: Der wichtige Text zur Sexualmoral hat in der Tat nicht
       die nötige Mehrheit der Bischöfe bekommen. Jede Reform, die [2][beim
       Synodalen Weg] beschlossen wird, steht und fällt aber mit dieser Mehrheit.
       Auch wenn, wie in diesem Fall, die große Mehrheit der Teilnehmer*innen
       zu einem anderen Ergebnis kommt.
       
       Wie haben Sie diese Entscheidung vor Ort erlebt? 
       
       Ich war wirklich fassungslos, dass der Text abgelehnt wurde. Denn er ist
       nicht etwa visionär, sondern nur eine Annäherung an die Realität. Das zu
       verweigern zeugt von einer Ignoranz, die ich so nicht für möglich gehalten
       hätte. Ich war enttäuscht, voller Wut und fassungslos.
       
       Sie haben also nicht mit so einem Gegenwind gerechnet? 
       
       Ich weiß, dass wir in der katholischen Kirche sind und dass diese Ignoranz
       durchaus vorhanden ist. Ich habe es aber trotzdem nicht erwartet. Vorab
       haben wir jungen Synodalen darüber geredet, was wir machen, wenn ein Text
       abgelehnt wird. Wir hatten daher ein Banner dabei, mit dem wir schon öfter
       protestiert hatten. „Kein Raum für Menschenfeindlichkeit“ stand darauf.
       Damit haben wir uns in die Mitte des Raumes gestellt. Sehr schnell haben
       sich viele Menschen dazugestellt, das war echt krass. Das waren dann nicht
       nur wir Jungen, sondern auch Gemeinde- und Pastoralreferenten, Menschen aus
       dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Ordensleute.
       
       Was hätte sich durch den Text verändert? 
       
       Bei der erneuerten Sexualmoral geht es um mehr Selbstverantwortung der
       einzelnen Menschen. Darum, dass die Selbstbestimmtheit größer wird und eben
       nicht mehr von der Kirche in das Leben der Menschen eingegriffen wird. Also
       die Annahme von Menschen mit ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen
       Orientierungen. Und die Veränderung betrifft nicht nur queere Menschen, es
       geht zum Beispiel auch um geschiedene, wiederverheiratete Menschen.
       Insgesamt geht es also um die Frage: Selbstbestimmung oder nicht.
       
       Welche Konsequenzen hat diese Ablehnung? 
       
       Die Ablehnung des Textes hat, glaube ich, große Auswirkungen auf viele
       Menschen und hat viele Menschen sehr verletzt. Sie schreibt auch die
       strukturelle Diskriminierung in einigen Bistümern fort und unterstützt
       Menschen mit menschenfeindlicher Haltung. Nicht überall, aber an einigen
       Stellen. Ich glaube, das ist vielen nicht klar.
       
       Wem? 
       
       Ich habe nach dem Scheitern mit Menschen geredet, die gesagt haben: Ja,
       aber es gibt einfach viel mehr Frauen. Und deshalb ist es ja wichtig, dass
       wir uns jetzt erst mal um die Gleichberechtigung der Frauen kümmern. Sie
       haben gesagt, es sei nicht so schlimm, dass wir den Text abgelehnt haben,
       weil es da um viel weniger Menschen geht. Das ist eine absolut
       queerfeindliche Einstellung und menschenfeindliche Haltung und ich glaube,
       dass die einige Menschen vertreten.
       
       Der Grundtext zu „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ wurde ja
       angenommen. Ist das ein erster Schritt? 
       
       Klar ist es gut, dass der Antrag zu den Frauen angenommen wurde, aber es
       fühlt sich nicht wie ein Erfolg an. Das fühlte sich an wie eine milde
       Gnadengabe der Bischöfe. So ein: Na gut, dann schicken wir es noch mal nach
       Rom. Und dann fragen wir den heiligsten Vater noch mal, ob er nicht doch
       noch eventuell eine Überlegung starten könnte.
       
       Bei der Sexuallehre zeigten sich die Bischöfe weniger gnädig. Und das,
       obwohl der Großteil der Synodalversammlung der Reform zustimmte. Wieso gibt
       es das Vetorecht der Bischöfe? 
       
       Im Synodalen Weg gibt es das Vetorecht, weil es in der Satzung verankert
       ist und die Satzung im Vorfeld von der Deutschen Bischofskonferenz
       verabschiedet wurde. Die Vereinbarung wurde auch von dem Zentralkomitee der
       deutschen Katholiken akzeptiert. Ich als Synodale habe an der Satzung nicht
       mitgearbeitet oder ihr aktiv zugestimmt.
       
       Kann eine Erneuerung der Kirche überhaupt entstehen, wenn es das Vetorecht
       der Bischöfe gibt? 
       
       Ich denke, die Erneuerung der Kirche passiert nicht durch den Beschluss von
       Texten. Der Wunsch und das Hinwirken der Erneuerung müssen von ganz vielen
       unterschiedlichen Stellen ausgehen. Und ein Weg ist natürlich, dass Texte
       rezipiert werden. Das geht auch, wenn sie nicht offiziell beschlossen
       werden. Und das ist gut so. Es gibt einige Bischöfe, die sagen, sie wollen
       den Text zur Sexualmoral trotzdem umsetzen.
       
       Das heißt auch, dass alle beschlossenen Texte nur freiwillig umgesetzt
       werden müssen? 
       
       Genau. Ich komme [3][aus dem Bistum Augsburg]. Und sagen wir mal so, da
       sind viele sehr konservativ. Mich hat das ganze Wochenende über
       beschäftigt, was nach der Synodalversammlung passiert. Denn ich sehe wenig
       bis keinen Veränderungswillen in Augsburg. Das habe ich auch in einem
       Gespräch mit dem bayrischen Jugendbischof gemerkt. Zu ihm habe ich gesagt,
       dass ich hoffe, dass die Beschlüsse der Versammlung in Augsburg umgesetzt
       werden. Und er schaut mich an und sagt: Das hoffe ich nicht.
       
       Was hat das mit Ihnen gemacht? 
       
       Ich habe mich leer gefühlt. Ich war so verzweifelt. Ich kann diese Haltung
       nicht verstehen.
       
       Und trotzdem haben Sie danach noch einen Redebeitrag gehalten. Woher kam
       die Kraft, weiterzumachen? 
       
       Ich glaube, es war vor allem die Wut. Um allen Menschen, die sich nicht von
       der Kirche gesehen fühlen, zu sagen: Ich weiß, dass ihr da seid, und ich
       sehe euch und ich kämpfe für euch.
       
       Gerade junge Katholik*innen erleben die Grenzen der katholischen
       Kirche. Wie schwer ist das? 
       
       Wir alle kommen aktuell an unsere Grenzen. Zwei junge Synodale sind
       vorzeitig abgereist. Viele junge Erwachsene, die die Sitzung im Livestream
       verfolgten, haben mir geschrieben, dass sie fertig sind und die Sitzungen
       nicht weiterverfolgen können. Doch wir reden viel miteinander und stützen
       uns gegenseitig. Insgesamt erlebe ich eine riesige Solidarität.
       
       Hauptsächlich ging es in Frankfurt um Frauen in Diensten und Ämtern in der
       Kirche. Dennoch haben wieder Männer entschieden. Welche Rolle spielt
       Männlichkeit in der Kirche? 
       
       Eine sehr große. An den Schaltstellen sitzen Männer. Und die können dann
       überlegen, ob sie Frauen – wenn wir im binären System bleiben – Macht
       abgeben wollen. Das sieht man auch bei der Diakoninnen- und
       Priesterinnenweihe. Wir wünschen uns, dass Rom noch mal darüber nachdenkt.
       Aber auch da sitzen wieder nur Männer. Ich habe mich auf der Versammlung
       mit einem Weihbischof darüber unterhalten. Er konnte es nicht verstehen,
       warum eine Priesterinnenweihe gut wäre und ich die Entscheidungsprozesse
       unfair finde. Ich glaube, die Kirche ist zu sehr in den absolutistischen
       Strukturen verwickelt.
       
       Aber die lassen sich aufbrechen? 
       
       Ich glaube daran, dass wir diese Strukturen reformieren können. Sonst würde
       ich mich nicht so einsetzen. Aber ich weiß, dass das sehr schwierig ist und
       dauern wird. Wie mit allen Machtstrukturen. Denn die erhalten sich selbst.
       
       Wie kann es weitergehen? 
       
       Es muss sich beweisen, dass wir eine Kirche im Aufbruch sind. Das waren
       erste Minitrippelschritte. Jetzt muss sich zeigen, wie wir mit Beschlüssen
       und auch mit Nichtbeschlüssen umgehen. Was sich bereits verändert hat, ist
       die Dialogkultur. Die Art und Weise, in der miteinander ins Gespräch
       gekommen wird. Der synodale Weg kann zeigen, dass es Kirche wirklich ernst
       meint. Ich sehe gerade noch nicht, dass das passiert. Aber es wäre möglich.
       
       13 Sep 2022
       
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