URI: 
       # taz.de -- Aggressionen im Landtagswahlkampf: Bespuckt, bepöbelt, ausgebuht
       
       > In Niedersachsens Landtagswahlkampf klagen Parteien über Übergriffe.
       > Grüne und SPD verorten die Störer:innen in der Querdenken-Szene.
       
   IMG Bild: Wurde beim Wahlkampfauftakt gestört: Ministerpräsident Stephan Weil, hier nur mit Anhänger:innen
       
       Hannover taz | Plötzlich nähert sich jemand von hinten, schwarz gekleidet,
       den Schlapphut ins Gesicht gezogen. Er reißt Flyer und Materialien vom
       Stand, rennt weg und wirft sie in den nächsten Mülleimer. So erinnert sich
       eine Wahlkampfhelferin an einen Vorfall am Stand der Grünen in der
       hannoverschen Innenstadt. In diesem Artikel möchte sie anonym bleiben –
       die kleinen Übergriffe hinterlassen bei ihr ein Gefühl der Unsicherheit.
       
       In Niedersachsen wird [1][am 9. Oktober gewählt], in der Landeshauptstadt
       sind die Parteien voll in Wahlkampfstimmung. Und nicht nur die Grünen
       berichten von Aktionen gegen ihre Wahlkampfstände. Die Vermutung:
       Querdenker:innen mobilisieren gegen die Parteien.
       
       „Ich war erst mal total verblüfft“, sagt die Grüne. „Wir waren anfangs nur
       zu zweit am Stand, später dann zu dritt.“ Sie habe nicht gewusst, wie sie
       auf den Angriff reagieren solle. Als der Mann etwa eine Stunde später noch
       einmal gekommen sei und die Aktion wiederholt habe, sei ihr Kollege hinter
       ihm hergelaufen. Erwischt habe er ihn aber nicht. Insgesamt sei die
       Stimmung an diesem Tag sehr aufgeheizt gewesen: „Wir wurden viel
       beschimpft. Das war schon krass.“
       
       Der Kröpcke ist der zentralste Platz in Hannovers Innenstadt. An der großen
       Stehuhr treffen sich Menschen oder schlendern in die Geschäfte drumherum.
       Die Grüne hat hier auch in früheren Wahlkämpfen Stände betreut und mit
       Passant:innen gesprochen. Ihrem Eindruck nach haben die Anfeindungen,
       die sie dabei erlebt, in diesem Jahr eine neue Qualität.
       
       ## Angriffe aus Querdenker:innen-Szene
       
       Mathis Weselmann, Geschäftsführer des Stadtverbandes der Grünen in
       Hannover, bestätigt das: „Wir sehen [2][Anzeichen dafür, dass die Angriffe
       aus der Querdenker-Szene kommen].“
       
       „Kriegstreiber“ sei eine der häufigsten Beleidigungen. Gänzlich unbekannt
       sei der Partei ein solcher Gegenwind allerdings nicht. Früher hätten die
       Grünen oft Anfeindungen erlebt, sagt Weselmann. Da seien die vergangenen,
       ruhigeren Jahre fast eher eine Ausnahme gewesen.
       
       Doch auch die SPD berichtet von Störer:innen bei ihren
       Wahlkampfveranstaltungen, die sie dem Spektrum der Querdenker:innen
       zuordnet. „Im letzten Wahlkampf war das für uns kein Thema, es kommt aber
       nicht unerwartet“, sagt Vivien Werner, Pressesprecherin des
       niedersächsischen Landesverbandes der SPD. Wahlkämpfe in anderen
       Bundesländern hätten bereits erahnen lassen, dass es auch in Niedersachsen
       zu Protesten kommen könnte.
       
       Die Störungen bezögen sich vor allem auf große Wahlkampfveranstaltungen,
       bei denen der niedersächsische Ministerpräsident [3][Stephan Weil]
       auftritt, und richteten sich weniger gegen ehrenamtliche
       Wahlkampfhelfer*innen.
       
       Handyvideos zeigen eine solche Aktion beim Wahlkampfauftakt Weils im
       Biergarten „Lister Turm“ Ende August. Der Ministerpräsident tritt in Jeans
       und Poloshirt freundlich winkend auf die Bühne, wird dort ausgebuht und
       muss dann gegen „Weil muss weg“-Rufe anreden. Kritik sei legitim, sagte er.
       „Was nicht legitim ist, ist der Versuch, andere Meinungen
       niederzuschreien.“ Unter die mit roten Klatschpappen ausgestatteten
       SPD-Fans hatte sich eine größere Gruppe Querdenker:innen gemischt. Die
       Polizei führte sie weg.
       
       ## Erstmals Sicherheitsfirma engagiert
       
       Die Proteste sind allerdings nicht auf Hannover beschränkt. „Wir bereiten
       uns immer darauf vor, vor allem um die Zuschauerinnen und Zuschauer bei
       unseren Veranstaltungen zu schützen“, sagt SPD-Pressesprecherin Werner. Für
       die Wahlkampfveranstaltungen in Niedersachsen hätten sie in diesem Jahr
       erstmals eine private Sicherheitsfirma engagiert, auch die Polizei sei
       immer vor Ort.
       
       Anne Wellhöner, Pressesprecherin der Polizei, bestätigt, dass es zu
       Protesten gekommen sei, die aber „grundsätzlich friedlich“ abgelaufen
       seien. „Eine grundlegende Veränderung der Proteste im Vergleich zu
       vergangenen Wahlkämpfen ist aus polizeilicher Sicht nicht erkennbar.“
       
       CDU und Grüne berichten dennoch von einer Zunahme an zerstörten Plakaten im
       Vergleich zu anderen Wahlkämpfen. Bereits Anfang August wurden
       Ehrenamtliche der CDU in Hannover beim Plakatieren angegriffen. In einer
       Nacht von Freitag auf Samstag hätten sie mit dem Plakatieren begonnen, sagt
       Jakob Wiedekind, Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Linden-Limmer. Dabei
       seien sie zu zweit unterwegs gewesen und von einer Gruppe junger
       Erwachsener erst beleidigt, dann angegriffen worden.
       
       ## Mit Bierdosen beworfen
       
       Nachdem Bierdosen nach ihnen geworfen wurden, hätten sie das Plakatieren
       abgebrochen. Dem Querdenken-Spektrum ordnet er den Angriff nicht zu, auch
       war vermutlich Alkohol im Spiel. Dennoch ist Wiedekind insbesondere darüber
       beunruhigt, dass solche Attacken Ehrenamtliche treffen, die sich
       demokratisch engagieren.
       
       Das bereitet auch Greta Garlichs, der Vorsitzenden des
       Grünen-Stadtverbandes Hannover, Sorgen. Beim Wahlkampfauftakt der Grünen
       Ende August mit der Bundesvorsitzenden Ricarda Lang gab es eine Gegendemo –
       bei der es laut Garlichs zu einem tätlichen Angriff kam. Die
       Querdenker*innen hätten „vehement gestört“ und sich unter die
       anwesenden Leute gemischt. Es sei zu Handgreiflichkeiten in der Menge
       gekommen. Das sei insbesondere für neue Mitglieder und interessierte
       Bürger*innen einschüchternd.
       
       Zwar sei die Stimmung insgesamt gut, aber „es ist bedenklich und
       demokratiezersetzend, sollten sich Leute deshalb nicht mehr trauen,
       Wahlkampf zu machen“, sagt Garlichs. Erst vergangene Woche wurde sie selbst
       bei einem Wahlkampfstand am Lindener Marktplatz in Hannover angespuckt. Nur
       knapp habe sie der Angreifer verfehlt. Sie sagt, die Angriffe hätten in der
       Breite zwar nicht zugenommen, „die einzelnen Anfeindungen sind aber
       aggressiver geworden“.
       
       15 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Landtagswahl-in-Niedersachsen/!t5359125
   DIR [2] /Verfassungsschutz-zum-Heissen-Herbst/!5874829
   DIR [3] /Stephan-Weil/!t5018911
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Josephine von der Haar
       
       ## TAGS
       
   DIR Landtagswahl in Niedersachsen
   DIR "Querdenken"-Bewegung
   DIR Wahlkampf
   DIR Demokratie
   DIR SPD-Basis
   DIR Landtagswahl in Niedersachsen
   DIR Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wahlkampf in Niedersachsen: Unverdrossen auf verlorenem Posten
       
       Auf dem Land fühlt sich Wahlkampf anders an als in der Landeshauptstadt.
       Unterwegs mit Besian Krasniq und seinen Jusos im Osnabrücker Hinterland.
       
   DIR Landtagswahl in Niedersachsen: Kein Job für Feiglinge
       
       In der Schulpolitik in Niedersachsen ist die Zeit der Grundsatzdebatten
       vorbei. Der Lehrermangel überschattet alles andere.
       
   DIR Hässlicher Wahlkampf: Niedersachsens CDU schnorrt bei AfD
       
       Niedersachsens CDU wirbt mit rassistischer Hetze gegen „Clans“ für die
       Landtagswahl. Die Plakate sind jenen der Hamburger AfD zum Verwechseln
       ähnlich.