URI: 
       # taz.de -- Jean-Luc Godards Tod durch Sterbehilfe: Die Schlussszene
       
       > Der französische Regisseur Jean-Luc Godard hat den sogenannten
       > assistierten Suizid gewählt. Thematisiert wird das kaum.
       
   IMG Bild: Jean-Luc Godard 1963 in Italien
       
       Ganz am Ende, als Jean-Paul Belmondo schon mit einer Kugel im Rücken durch
       Paris torkelt, bis er zusammenbricht auf dem Pflaster, da dreht er sich
       noch einmal um, lässt, nicht mit dem letzten Atemzug, aber fast, den Rauch
       der letzten Zigarette aus seinem Mund entweichen, zieht noch ein paar
       Grimassen und sagt zu Jean Seberg, dass er sie zum Kotzen findet.
       
       Und dann? Dann fährt er sich selbst mit der Hand übers Gesicht, schließt so
       die Augen und stirbt.
       
       Das ist [1][die Schlussszene des Films „Außer Atem“], mit dem 1960 nicht
       nur die Schauspieler:innen Belmondo und Seberg, sondern auch der
       Regisseur Jean-Luc Godard Kultstatus erlangten. Am Dienstag ist er im Alter
       von 91 Jahren gestorben.
       
       So lapidar steht es auch in den zahlreichen Nachrufen, die in deutschen
       Zeitungen erschienen sind und die Godard zu Recht als wegweisende Figur in
       der Welt des Kinos feiern, die er als Teil der Nouvelle Vague geprägt hat.
       Nur hier und da wird erwähnt, wie er zu Tode kam. Verschämt wirkt das,
       ratlos auch. [2][Wie soll man über den Tod reden?] Soll man überhaupt, ist
       es nicht pietätlos? Nein, ist es nicht. Erst recht nicht in diesem Fall.
       Denn natürlich ist der Tod immer eine Privatangelegenheit, aber hier gilt
       wie kaum sonst die alte Parole: Das Private ist politisch.
       
       „Herr Godard hat die in der Schweiz legale Hilfe zu einem freiwilligen
       Abschied in Anspruch genommen“, hatte ein Berater Godards mitgeteilt. Mit
       anderen Worten: Er hatte den sogenannten assistierten Suizid gewählt, bei
       dem Sterbewillige eine tödliche Substanz bekommen, die sie dann selbst
       einnehmen. [3][Eine Form der Sterbehilfe, die in der Schweiz seit Langem
       legal ist] und praktiziert wird.
       
       „Er war nicht krank, er war einfach nur erschöpft“, [4][zitierte die
       französische Zeitung Liberation ] einen Angehörigen der Familie. „Also traf
       er die Entscheidung, es zu beenden. Es war seine Entscheidung und es war
       ihm wichtig, dass sie bekannt wurde.“ Also sollte man darüber auch reden.
       
       Zufälligerweise starb Godard an dem Tag, an dem Frankreichs Präsident
       Emmanuel Macron eine gesellschaftliche Debatte über „ethische Fragen zu
       Situationen am Lebensende“ ankündigte. Kurz zuvor hatte sich der
       französische Ethikrat vorsichtig für aktive Sterbehilfe unter strengen
       Auflagen ausgesprochen. In Frankreich ist dies bislang verboten.
       
       Zufälligerweise starb Godard in dem Sommer, [5][in dem auch der deutsche
       Bundestag sich anschickt], der Sterbehilfe eine neue gesetzliche Grundlage
       zu geben. In der Debatte wird hart darum gerungen, was es heißt, in Würde
       selbstbestimmt zu sterben. Sterben zu dürfen. Zu können. Ob es angesichts
       der Endgültigkeit dieser Entscheidung nicht angebracht ist, die Hürde noch
       viel höher zu legen. Eine Beratung zwingend vorzuschreiben. Oder den Weg so
       weit wie möglich frei zu machen für diejenigen, die gehen wollen.
       
       Gerade weil diese Debatte so schwerfällt, gerade weil sie abstrakt kaum zu
       führen ist, ist es umso wichtiger, dass über prominente Beispiele wie jetzt
       bei Jean-Luc Godard geredet wird. Klar, offen, ohne falsche Scham. Nur so
       können sie zum Gradmesser werden – auch für staatliche Entscheidungen für
       oder gegen die weitere Legalisierung der Sterbehilfe.
       
       Der Fall Godard zeigt auch, dass Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch
       nehmen, nicht vorschnell entscheiden. Godard hatte schon 2014 öffentlich
       darüber geredet, dass Sterbehilfe für ihn ein denkbarer Ausweg sein könne.
       Erst acht Jahre später hat er sich nun als Regisseur seines Lebens ganz am
       Ende quasi mit der Hand übers Gesicht gefahren und sich getötet.
       Selbstbestimmt, weil er es konnte. Unterstützt von Angehörigen, weil sie es
       durften.
       
       – FIN –
       
       Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
       können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111
       oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.
       
       14 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=GNskNX_agrQ
   DIR [2] /Ueber-Sprache-und-Sterbehilfe/!5876085
   DIR [3] https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/gesetzgebung/archiv/sterbehilfe/formen.html
   DIR [4] https://www.liberation.fr/culture/jean-luc-godard-est-mort-20220913_LLEGXZFQSFDC3FBJCP7AWXSYWI/
   DIR [5] /Bundestag-debattiert-ueber-Sterbehilfe/!5852601
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
       ## TAGS
       
   DIR Jean-Luc Godard
   DIR Filmemacher
   DIR Regisseur
   DIR Beihilfe zum Suizid
   DIR Ärztlich assistierter Suizid
   DIR Nouvelle Vague
   DIR GNS
   DIR Alain Delon
   DIR Jean-Luc Godard
   DIR Jean-Luc Godard
   DIR Sterbehilfe
   DIR Interview
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Tod des Schauspielers Alain Delon: Weniger Engel als Bandit
       
       Der jüngst verstorbene Schauspieler Alain Delon sah nicht nur gut aus,
       sondern war auch höchst kontrovers. Als Männlichkeitsideal ist er passé.
       
   DIR Herbst in Altona: Gelbe Blätter und „Für Elise“
       
       Ein Fußballspiel, Föhns, ein toter Filmregisseur und Beethoven. Die
       Kolumnistin weiß, das geht ein bisschen durcheinander. Aber so lebt man nun
       mal.
       
   DIR Suizid von Jean-Luc Godard: Aktiv bis zum letzten Atemzug
       
       Der französische Regisseur hat den in der Schweiz legalen Weg zum
       assistierten Suizid in Anspruch genommen. Das bestätigen Angehörige und
       Berater.
       
   DIR Über Sprache und Sterbehilfe: Einmal Jenseits und zurück
       
       Unsere Gesellschaft forciert eine Enttabuisierung des Todes. Zugleich will
       sie ihn durch sprachliche Verharmlosung unter Kontrolle bringen.
       
   DIR DGHS-Präsident über Sterbehilfe: „Lebenssattheit akzeptieren“
       
       Der Bundestag debattiert am Freitag über die Sterbehilfe. Robert Roßbruch,
       Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), berichtet
       aus der Praxis.