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       # taz.de -- Verfassungsbeschwerde von Papierlosem: Angst vorm Arztbesuch
       
       > Ein papierloser Kosovare klagt auf medizinische Versorgung. Bisher führen
       > Anträge auf Kostenübernahme zur Abschiebung – das könnte sich ändern.
       
   IMG Bild: Angst vor Abschiebung: Illegalisierte sind auf ehrenamtliche Sprechstunden wie diese angewiesen
       
       Freiburg taz | Auch Menschen ohne Aufenthaltsrecht sollen Zugang zu
       ärztlicher Versorgung haben – ohne Angst abgeschoben zu werden. Deshalb hat
       ein 52-jähriger Kosovare, der ohne geregelten Aufenthalt in Deutschland
       lebt, jetzt Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er muss allerdings kämpfen,
       dass er überhaupt klagen kann. Die 126-seitige Klage liegt der taz vor.
       
       Der Mann aus dem Kosovo kam 1993 als junger Mann nach Deutschland,
       arbeitete auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Er heiratete und wurde
       geschieden. Eigentlich hätte er Anspruch auf festen Aufenthalt, ja sogar
       auf eine Einbürgerung gehabt.
       
       Doch dann versäumte er, seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen,
       und teilte der Ausländerbehörde auch einen Umzug nicht mit. Plötzlich hatte
       er kein Aufenthaltsrecht mehr und wurde 2017 abgeschoben. Da er aber im
       Kosovo keine Familie und Freunde mehr hatte, war er bald wieder in
       Deutschland und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Seitdem lebt
       und arbeitet er illegal in Deutschland.
       
       Im Vorjahr erlitt der Kosovare bei der Arbeit einen Herzinfarkt und wurde
       notoperiert. Vermutlich ist noch eine Bypassoperation notwendig. Dafür
       bräuchte er aber vom Sozialamt in Frankfurt am Main einen
       Behandlungsschein, da er keine Rücklagen hat, um den medizinischen Eingriff
       selbst zu bezahlen. Das Sozialamt müsste ihn jedoch laut Gesetz beim
       Ausländeramt melden, und er würde dann abgeschoben.
       
       ## Meldepflicht zur Abschiebung
       
       Dass alle Behörden illegalisierte Personen [1][dem Ausländeramt melden
       müssen], wurde 1990 eingeführt. Seit 2011 gibt es immerhin eine Ausnahme
       für Schulen und Kindergärten. Die Meldepflicht für Sozialämter blieb aber
       bestehen. Nur bei Eilfällen am Feierabend oder am Wochenende können Ärzte
       und Kliniken die Kosten mit dem Sozialamt abrechnen, ohne dass eine
       Meldepflicht ausgelöst wird.
       
       Mit seiner Verfassungsbeschwerde will der Kosovare nun gegen die
       Meldepflicht in [2][Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes] vorgehen. Die
       Meldepflicht verstoße gegen sein Grundrecht auf das „gesundheitliche
       Existenzminimum“, einen Unterfall der Menschenwürde. Die Gesellschaft für
       Freiheitsrechte (GFF), die die Klage unterstützt, sieht gute
       Erfolgsaussichten. Schon 2012 entschied das Bundesverfassungsgericht: „Die
       Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
       
       Außerdem stützt sich der Kosovare auf das Grundrecht auf Datenschutz
       („informationelle Selbstbestimmung“). Die Weitergabe seiner Daten an das
       Ausländeramt sei ein unverhältnismäßiger Eingriff und schon im Ansatz
       ungeeignet. Da Illegale aufgrund der Meldepflicht so gut wie nie beim
       Sozialamt Behandlungsscheine beantragen, werden so auch keine Illegalen
       entdeckt; die Meldepflicht diene nur der Schikane und Abschreckung.
       
       Bisherige Klagen des Kosovaren wurden von den hessischen
       Verwaltungsgerichten allerdings ohne jede Prüfung seiner Argumente
       abgewiesen. Grund: Der Kosovare will weder Name noch ladungsfähige Adresse
       angeben, denn auch Gerichte seien zur Meldung von Illegalen verpflichtet.
       In seiner Verfassungsbeschwerde beruft sich der Mann deshalb auch auf das
       „Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz“.
       
       Außerdem hat er in Karlsruhe einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung
       gestellt. Zumindest mit einer vorläufigen Entscheidung dürfte also schon in
       wenigen Wochen zu rechnen sein.
       
       Denkbar ist auch noch eine politische Lösung. So heißt es im
       Ampel-Koalitionsvertrag: „Die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere
       wollen wir überarbeiten, damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich
       behandeln zu lassen.“ Zuständig ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD).
       Bisher hat sie aber noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt.
       
       14 Sep 2022
       
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