URI: 
       # taz.de -- Tschechiens Regierung in der Krise: Null Charisma trifft null Rückhalt
       
       > Der deutsche Kanzler kann in Tschechien nicht begeistern. Das ist
       > misslich für Premier Petr Fiala. Dessen Koalition gerät schon an ihre
       > Grenzen.
       
   IMG Bild: Kein Glanz, der auf Fiala abstrahlen könnte: Olaf Scholz am Montag in Prag
       
       Prag taz | Die europäische [1][Grundsatzrede], die Kanzler Olaf Scholz zu
       Wochenanfang an der Prager Karls-Universität gehalten hatte, traf in
       Tschechien kaum auf Anklang: schwach und unüberzeugend, titelte die Presse,
       wobei Scholz vor allem dadurch auffalle, dass er über gar kein Charisma
       verfüge. Seine Vision, die EU unter deutscher Führung weiter zu einen und
       zu reformieren, hat die Befürchtungen der EU-skeptischen Hälfte des Landes
       wie auch altgediente Vorurteile gegenüber Deutschland nur befeuert.
       
       Selbst [2][Ministerpräsident Petr Fiala], der sich politisch als Vertreter
       einer weiteren europäischen Einigung versteht, reagierte eher verhalten auf
       den Auftritt des Kanzlers in Prag. Dabei könnte Fiala etwas
       außenpolitischen Glanz gut gebrauchen. Denn auf der heimischen Bühne
       schwindet seine Legitimität immer weiter, und das nur zehn Monate nach
       seinem ohnehin knappen Wahlsieg.
       
       Die [3][Koalition aus fünf Parteien] hat von Anfang an nichts anzubieten
       gehabt außer einer gemeinsamen Plattform gegen den Oligarchen Andrej Babiš.
       Der gegenwärtigen Krise stehen Fiala und seine Truppe ziemlich hilflos
       gegenüber. Umso mehr, als die Krise in der Energieversorgung offenlegt, wie
       sehr Tschechien von Deutschland abhängig ist.
       
       So wird Gas zum Beispiel nicht direkt aus Russland importiert, sondern über
       Deutschland. Ein Umweg, der eigentlich längerfristigen Verträgen und
       mangelnden Gasspeichern geschuldet ist. Dass die Regierung Fiala es trotz
       aller Solidaritätsappelle bislang nicht geschafft hat, Deutschland Zusagen
       für eine Gaspreisbremse oder einen Austausch gegen Atomstrom abzuringen,
       wird ihr von einer steigenden Anzahl von Wählerinnen und Wählern als
       Schwäche angerechnet.
       
       ## Die Regierung wirkt arrogant gegenüber der Bevölkerung
       
       Hinter Fialas wohlkalkuliertem wie gepflegtem Image als gutbürgerlicher
       Akademiker und Erbe des inzwischen zum Mythos verklärten Dichterpräsidenten
       Václav Havel lässt sich nur wenig an politischer Substanz und Prinzipien
       erkennen. Umso mehr geben sich Fiala und seine Kabinettsmitglieder als
       abgehoben bis verächtlich gegenüber den Ängsten der Bevölkerung.
       
       Da helfen auch keine Durchhalteparolen mehr, die darauf bauen, dass
       jegliche Einschränkung im Kampf gegen das Böse geschieht, wie die
       tschechische Regierung sich gegen Russland und Putin positioniert. Die
       undurchsichtigen Geschäfte seiner Koalitionspartner, denen gegenüber Fiala
       eher hilflos dasteht, helfen nicht unbedingt, den Ruf der Regierung zu
       stärken.
       
       Die steigenden Energiepreise und dazugehörige Unsicherheit am Markt treffen
       schon jetzt immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen, die allein
       angesichts ihrer voraussichtlichen Stromkosten im kommenden Jahr lieber die
       Schotten dichtmachen. Die Befürchtungen des Durchschnittstschechen vor dem
       nächsten Winter werden von Regierungsseite arrogant abgehakt: zieht halt
       einen extra Pulli an, riet die Vorsitzende der Regierungspartei TOP 09,
       Markéta Pekarová Adamová.
       
       Ähnlich arrogante Ratschläge über den gesundheitlichen Nutzen schlecht
       beheizter Räume oder Pläne, auch privaten Stromverbrauch unter
       Strafandrohung einzuschränken, kommen beim Wähler nicht unbedingt an.
       
       Einer Umfrage nach gilt Fiala als der unbeliebteste Regierungschef
       europaweit: ganze 71 Prozent der Wähler sind mit seiner Politik
       unzufrieden. Die Rechnung kommt spätestens Ende des Monats, wenn in
       Tschechien Kommunalwahlen stattfinden.
       
       1 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Europa-Rede-von-Bundeskanzler-Scholz/!5877472
   DIR [2] /Tschechiens-neuer-Ministerpraesident/!5821006
   DIR [3] /Neues-Regierungsbuendnis-in-Tschechien/!5814374
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
       ## TAGS
       
   DIR Tschechien
   DIR Olaf Scholz
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Energiekrise 
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Tschechien
   DIR Kolumne Der rote Faden
   DIR Olaf Scholz
   DIR Tschechien
   DIR Tschechien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Milliarden für Russland: Tschechische Geschäfte mit russischem Öl und Gas
       
       Der Öl- und Gassektor ist die wichtigste Einnahmequelle Moskaus. Zu den
       wichtigsten Käufern zählt die Tschechische Republik.
       
   DIR Großdemonstration in Tschechien: Zehntausende in Weiß-Rot-Blau
       
       In Prag gehen Rechte und verunsicherte Bürger wegen hoher Energiepreise auf
       die Straße. Zudem sind sie gegen die Ukraine-Politik der Regierung.
       
   DIR Baerbocks und andere Ausrutscher: Egal, was die Leser*innen denken
       
       Vorausschauen ist eine Kunst, die klappt, wenn Selbstbild und Realität
       nicht zu weit auseinander klaffen. Das musste auch die Außenministerin
       lernen.
       
   DIR Europa-Rede von Bundeskanzler Scholz: Zeitenwende auf Europäisch
       
       In einer Grundsatzrede stellt Kanzler Olaf Scholz seine Reformvorschläge
       für die EU vor. Fünf Jahre nach dem Vorstoß von Frankreichs Präsident
       Macron.
       
   DIR Tschechiens neuer Ministerpräsident: Der Eiertanz
       
       In der Fünf-Parteien-Koalition in Tschechien knirscht es gleich zu Beginn.
       Der Akademiker Petr Fiala muss zwischen EU und Nationalstaat balancieren.
       
   DIR Neues Regierungsbündnis in Tschechien: Breite Koalition in Prag
       
       In Tschechien hat der liberalkonservative Petr Fiala den Auftrag zur
       Regierungsbildung erhalten. Zuvor machten andere Spekulationen die Runde.