URI: 
       # taz.de -- Energiewende in Hamburg: Proteste gegen Holzverbrennung
       
       > Der Hamburger Senat will angeblich „klimaneutrale“ Fernwärme aus Holz
       > erzeugen. Umweltorganisationen protestieren gegen die Pläne.
       
   IMG Bild: Fingerzeig für den Hamburger Senat und das Europaparlament: Projektion am Kraftwerk Tiefstack
       
       Hamburg taz | Holz statt Kohle zu verbrennen hilft aus Sicht von
       Umweltverbänden beim Klimaschutz nicht weiter. Gegen entsprechende Pläne
       des Hamburger Senats protestierten die Deutsche Umwelthilfe, der
       Naturschutzbund (Nabu) und Robin Wood mit einer Video-Aktion am
       Kohlekraftwerk Tiefstack.
       
       In der Nacht zu Freitag projizierten sie Botschaften wie „Wälder retten,
       nicht verheizen“ an die Wand des Kraftwerks. Adressaten der Aktion waren
       der Hamburger Senat, der das Kraftwerk zum Teil auf Holzfeuerung umstellen
       will, sowie die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die am 13.
       September über eine Novellierung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie
       abstimmen sollen.
       
       Das Kraftwerk Tiefstack spielt eine Schlüsselrolle bei den Plänen des
       rot-grünen Hamburger Senats, die Fernwärmeversorgung klimafreundlich zu
       machen. 2030 soll das Kraftwerk gar kein Kohlendioxid (CO2) mehr ausstoßen.
       [1][Das Konzept dafür stellte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am 17.
       Juni vor].
       
       Demnach soll die Wärme am Tiefstack vor allem mit zwei
       Flusswasserwärmepumpen gewonnen werden. Die Pumpen würden die Hälfte der
       460 Megawatt Erzeugungsleistung des Kraftwerks bereitstellen. Darüber
       hinaus soll die Abwärme umliegender Industriebetriebe genutzt und eine
       Power-to-Heat-Anlage gebaut werden, die durch Windstrom Wärme produziert.
       
       ## Auch Biomasse erzeugt CO2
       
       Ein Viertel der Leistung soll allerdings weiterhin durch Verbrennung von
       Kohlenstoff, entweder [2][Biomasse] oder Gas, gestellt werden. „Ohne
       Biomasse geht`s nicht“, sagte Kerstan bei dem Termin im Juni.
       
       Insbesondere in Spitzenzeiten und im Winter benötige Hamburg eine
       Wärmequelle, die eine zuverlässige und bezahlbare Fernwärmeversorgung
       ermögliche. Die geplanten Flusswasserwärmepumpen wären in einem sehr kalten
       Winter nur eingeschränkt nutzbar, und auch bei Industrieabwärme kann es zu
       einem Ausfall kommen.
       
       Die Umweltverbände sagen, das sei zu kurz gesprungen: „Die Verbrennung von
       Holz setzt mindestens ebenso viele Treibhausgase frei wie die Verbrennung
       fossiler Brennstoffe.“ Der Ausgleich dieser Belastung dauert Jahrzehnte bis
       Jahrhunderte – nämlich so lange, bis die gefällten Bäume wieder
       nachgewachsen sind.
       
       Der akuten Klimakrise könne so nicht begegnet werden. „Das Schlimmste, was
       man tun kann“, sagt Jana Ballenthien von Robin Wood, „ist, einen langsam
       wachsenden Baum in wenigen Minuten zu verbrennen und das CO2 freizusetzen“.
       
       ## Behörde verspricht Biomassekodex
       
       Das Umweltbundesamt schrieb dem Hamburger Energietisch (HET), der sich
       zivilgesellschaftlich [3][um die Energiewende kümmert], dass allenfalls
       „biogene Rest- und Ersatzstoffe“ für eine Verbrennung in Frage kämen, „die
       nachweislich keiner weiteren stofflichen oder chemischen Nutzung zugeführt
       werden können“. Der Nachweis sei nicht leicht zu führen und werde bei Holz
       oft nicht eingefordert. Rest- oder Schadholz werde zu häufig einfach
       verbrannt, statt zuvor etwa verbaut oder zu Papier verarbeitet zu werden.
       
       Die Hamburger Umweltbehörde will dem mit einem Biomassekodex begegnen, „der
       strenge Nachhaltigkeitskriterien speziell für das zukünftige Einsatzgut in
       Tiefstack definiert“. Dieser werde derzeit von unabhängigen Gutachtern in
       Zusammenarbeit mit der Behörde und den Hamburger Energiewerken (HEnW)
       erarbeitet.
       
       „Für den Biomasseeinsatz werden keine gesunden Bäume gefällt“, versichert
       die Behörde. Stattdessen kommen etwa Reste aus Sägewerken zum Einsatz, die
       gerade nicht anders verwertet werden könnten, entweder weil es keinen
       Bedarf oder keine Kapazitäten dafür gebe.
       
       Die vielen Bäume, die in jüngster Zeit durch die Trockenheit und den
       Borkenkäfer abgestorben sind, sollten dafür aber nicht verwendet werden,
       warnt Robin Wood. „Im Wald gibt es keine Reste“, sagt Waldreferentin Jana
       Ballenthien.
       
       ## Wie totes Holz nützt
       
       Der Verband plädiert dafür, die abgestorbenen Bäume stehen oder liegen zu
       lassen, damit sich der Wald auf naturnahe Weise regenerieren kann. Das tote
       Holz spende Schatten, sagt Ballenthien. Es speichere Feuchtigkeit, spende
       Nährstoffe, schütze den Boden gegen Erosion und junge Pflanzen vor
       Wildverbiss.
       
       Wie sehr der Wald unter Druck kommt, entscheidet in wenigen Tagen auch das
       Europaparlament. Gemeinsam mit einer internationalen Koalition von
       Nichtregierungsorganisationen (NGO) appellieren die drei deutschen Verbände
       an die Abgeordneten, gegen das industrielle Verheizen von Holz zu votieren.
       
       Die EU dürfe das [4][Verbrennen von Holz] in ihrer Richtlinie nicht mehr
       als erneuerbare Energie einstufen und fördern. „Es wird allerhöchste Zeit,
       dass das EU-Parlament diese enorme Fehleinschätzung korrigiert“, sagt
       Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH.
       
       3 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hamburger-Energieversorgung-ohne-Kohle/!5861846
   DIR [2] /Biomasse-Plantagen/!5486227
   DIR [3] /Klimaschutz-in-Hamburg/!5813984
   DIR [4] /Brandbrief-der-Umweltorganisationen/!5754572
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
       ## TAGS
       
   DIR Energiewende
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Holz
   DIR Schwerpunkt Klimasabotage
   DIR Kunst im öffentlichen Raum
   DIR Holz
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Kohleausstieg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR EU-Subventionen für Pellets: Europa auf dem Holzweg
       
       In Europas Kohlekraftwerken werden immer mehr Pellets verbrannt –
       subventioniert durch die EU. Dass das so bleibt, dafür sorgt auch die
       Holzlobby.
       
   DIR Kunstprojekt an Hamburger Kohlekraftwerk: Denkmal fürs Verbrennungszeitalter
       
       Gegenüber dem Heizkraftwerk Tiefstack kündigt ein Schild den Bau eines
       Mahnmals an. Es soll das Ende des fossilen Zeitalters spekulativ
       vorwegnehmen.
       
   DIR Heizen mit Holz: Kamine müssen auf den Prüfstand
       
       Kaminöfen und Pelletheizungen sind umweltschädlicher als gedacht. Die
       Regierung muss dringend ihre Einschätzung und ihren Kurs korrigieren.
       
   DIR Schwedens Umgang mit Waldgebieten: Land der übernutzten Wälder
       
       Schweden will der erste fossilfreie Wohlfahrtsstaat werden. Nur: Die
       riesigen Waldgebiete werden jetzt für Biotreibstoffe gerodet.
       
   DIR Energieversorgung in Bremen: Kraftwerk auf dem Holzweg
       
       Der Bremer Kohlemeiler wird abgeschaltet. Die Betreiber wollen künftig
       Restholz verfeuern. Kritiker*innen halten das nicht für klimaneutral.