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       # taz.de -- Wasserkrise und Rassismus in den USA: Braune Tropfen aus dem Wasserhahn
       
       > Starkregen hat die Wasserversorgung der Stadt Jackson zusammenbrechen
       > lassen. Klimaaktivisten sprechen von „umweltpolitischen Rassismus“.
       
   IMG Bild: In Jackson, Mississippi, gab es Wasser viele Tage lang nur noch abgepackt
       
       New York taz | Aus den meisten Hähnen in Jackson tropft seit Sonntag wieder
       Wasser. Was heraus kommt, ist zwar braun und muss vor der Benutzung
       abgekocht werden. Aber es ist eine Verbesserung gegenüber der
       vorausgegangenen Woche, als Zigtausende Bewohner der 150.000
       Einwohner-Stadt überhaupt kein Leitungswasser hatten.
       
       Nach einer Überschwemmung der Wasserwerke war die Wasserversorgung der
       Hauptstadt von Mississippi zusammen gebrochen. Wasser für alles –
       Zähneputzen, Duschen, Kochen und Toilettenspülungen – musste von außen
       geliefert werden, Betriebe machten zu, die Universität Jackson State
       University schickte ihre gerade erst für das neue Semester angereisten
       Studenten wieder nach Hause, und auch der Feuerwehr fehlte das Wasser, um
       Brände zu löschen. Auch nach ersten Reparaturen warnt die Chefin der
       US-Katastrophenschutzbehörde FIMA, Deanne Criswell, vor Optimismus. Nach
       einem Besuch vor Ort sagte sie, es sei „zu früh, von einer Rückkehr zur
       Normalität zu sprechen“.
       
       Jacksons Bürgermeister Chokwe Antar Lumumba hatte die Katastrophe kommen
       sehen. Schon vor mehr als einem Jahr prognostizierte er: „Unsere
       Wasserversorgung wird zusammenbrechen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann
       es passiert.“
       
       Wie seine Amtsvorgänger hat er sowohl bei der Spitze des Bundesstaates als
       auch bei der Bundesregierung vergeblich um finanzielle Hilfe für die
       Infrastruktur von Jackson ersucht. Den Zustand seiner Stadt nennt er eine
       Folge „absichtlicher Vernachlässigung“.
       
       ## „Systemischer, umweltpolitischer Rassismus“
       
       Im zurückliegenden Juli konnten die maroden Wasserwerke den sintflutartigen
       Regenfällen, die in Zeiten der Klimakrise häufiger werden, nicht
       standhalten. Als der Pearl Fluss über die Ufer trat, wurde die „O.B. Curtis
       Water Treatment Plant“ überschwemmt. Wenig später versagten die Pumpen. Das
       Leitungswasser in Jackson versiegte.
       
       Zusätzlich zu der veralteten Infrastruktur und zu der Klimakrise erschweren
       in Jackson politische und rassistische Ressentiments die Situation.
       Klimaaktivisten sprechen von „systemischem, umweltpolitischem Rassismus“.
       Mehr als 80 Prozent der Einwohner von Jackson sind Afroamerikaner. Und mehr
       als 25 Prozent von ihnen leben in Armut. Mit der „White Flight“ von der
       Mitte des letzten Jahrhunderts floh die weiße Mittelschicht, unterstützt
       vom Bau von Interstate Highways und von Wohnungsbauförderungen, von denen
       Afroamerikaner ausgeschlossen waren. Das hat die demographische Situation
       der Stadt radikal verändert.
       
       Seither sinken die Steuereinnahmen. Und seither wachsen die
       Feindseligkeiten zwischen der weißen, republikanischen Führung des
       Bundesstaates und der schwarzen, demokratischen Spitze der Stadt.
       
       Bürgermeister Lumumba nennt sich einen Sozialisten. Gouverneur Tate Reeves
       ist ein Republikaner vom rechten Flügel und stemmt sich gegen sämtliche
       demokratischen Reformen: von der Gesundheitspolitik bis zum Recht auf
       Abtreibungen und auf Verhütungsmethoden (sic!). Als Lumumba im Jahr 2017
       zum ersten Mal zum Bürgermeister gewählt wurde, versprach er, seine Stadt
       werde die „radikalste des Planeten“.
       
       ## Linker Bürgermeister gegen rechten Gouverneur
       
       Der Sozialist im Rathaus und der Gouverneur tun sich schwer miteinander.
       Ihre Pressekonferenzen in der Wasserkrise halten sie getrennt ab. Bei dem
       Besuch der Fima-Chefin bei den Wasserwerken gehen sie in mehreren Schritten
       Abstand voneinander.
       
       Für die Wasserkrise machen sie sich gegenseitig verantwortlich. Der
       Gouverneur wirft der Stadt „schlechtes Management“ vor. Der Bürgermeister
       klagt nicht nur über den Rassismus, sondern auch darüber, dass Mississippi
       trotz dringend nötiger Infrastrukturmaßnahmen die Steuern gesenkt hat.
       
       „Wir sind unterversorgt. Die ärmsten Teile der Stadt bekommen gerade genug,
       um zu überleben“, sagt Imani Olugbala Aziz von der Bürgerinitiative
       „Cooperation Jackson“, die seit letzter Woche landesweit Geld für Wasser
       für Jackson sammelt. Ihr Kollege Kali Akuno vergleicht die Situation von
       Jackson mit der anderer mehrheitlich schwarzer Städte wie [1][Flint in
       Michigan] und Newark in New Jersey, in denen jahrzehntelange
       Vernachlässigung ebenfalls zu Wasserkatastrophen geführt hat. Wie an den
       anderen Orten hatte auch Jacksons Leitungswasser schon Jahre vor der
       aktuellen Krise eine miserable Qualität. Fast jeden Monat erhielten die
       Verbraucher die Mahnung: vor Gebrauch muss das Wasser abgekocht werden. Die
       300 Dollar teuren Filter konnten sich nur wenige leisten.
       
       Hilfe für Jackson ist in den letzten Tagen von zwei benachbarten
       Großstädten gekommen, die ebenfalls Erfahrungen mit Wasserkatastrophen
       haben. Houston, Texas, und New Orleans, Louisiana, haben Laster voller
       Wasser nach Jackson gebracht. Der Gouverneur von Mississippi hat eine Hilfe
       von drei Millionen Dollar bewilligt. Zusätzlich will die US-Umweltbehörde
       75 Millionen Dollar in die Renovierung der bleihaltigen Rohre investieren.
       Beides sind Tropfen auf ein marodes System. Um es nachhaltig zu reparieren,
       sind nach Angaben von Bürgermeister Lumumba fast eine Milliarde Dollar
       nötig.
       
       6 Sep 2022
       
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