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       # taz.de -- Energetische Sanierung: Warme Wohnung, heiße Miete
       
       > Viele Wohnhäuser müssen dringend energetisch saniert werden. Was das für
       > die Mieter*innen bedeuten kann, zeigt ein Beispiel aus Berlin.
       
   IMG Bild: Maja Eisner in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg
       
       Der Zitronenbaum steht auf einem Baugerüst weit oben im fünften Stock
       zwischen drei kleineren Grünpflanzen. Das Gerüst umrahmt Maja Eisners
       Balkon, darum herum ist ein dünnes Netz gespannt. Jugendliche und
       Tourist*innen klettern gerne mal hoch, nachts lässt Eisner die Balkontür
       deswegen nicht mehr auf. Doch damit hat sie sich abgefunden. Das Gerüst
       steht seit über einem Jahr. Jetzt nutzt sie es als sonnigen Platz für ihre
       Pflanzen. „Meine größte Sorge ist, dass sie nicht genug Licht bekommen“,
       sagt Eisner leicht im Scherz.
       
       Eisner wohnt in der Winsstraße in Berlin-Prenzlauer Berg. Die meisten
       Häuser hier stammen aus der Gründerzeit, ihre Fronten sind meist verziert.
       Von der Fassade an Eisners Haus sieht man derzeit wenig, es ist komplett
       eingerüstet. Das Gebäude wird saniert, die Bewohner*innen haben eine
       lange Liste mit Modernisierungen zugesandt bekommen. Im Hinterhaus sollen
       Balkone angebracht, außerdem Fassade und Dach gedämmt werden. Obendrauf
       soll ein neues Stockwerk entstehen. Nachverdichtung im eng besiedelten
       Prenzlauer Berg und vor allem: energetische Sanierung. Wenn es denn eine
       ist.
       
       Als Maja Eisner 2009 mit ihrem Ehemann einzog, waren die 1.250 Euro
       Kaltmiete für rund 125 Quadratmeter schon nicht gerade günstig.
       Mittlerweile zahlt man in Prenzlauer Berg eher das Doppelte. Auch Eisner
       soll wegen der Sanierung künftig etwa ein Drittel mehr zahlen und käme dann
       auf 1.625 Euro kalt. Leisten könnte sich das Paar das: Sie ist
       Psychotherapeutin, er Architekt. Schmerzen würde es trotzdem. Eisner heißt
       eigentlich anders, doch sie will nicht, dass ihre Patient*innen zu viel
       Privates über sie erfahren. „Die googeln alles.“
       
       Eisner hält viele der Maßnahmen für sinnlos, bei anderen bezweifelt sie,
       dass sie sie als Mieterin bezahlen muss. Deshalb wehrt sie sich.
       
       Etwa 16 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland gehen auf
       Gebäude zurück. Bis 2030 sollen die Emissionen um 68 Prozent gegenüber dem
       Jahr 1990 sinken. So steht es im [1][Klimaschutzprogramm 2030 der
       Bundesregierung]. Mit der richtigen Sanierung – Wärmedämmung, neue Heizung,
       neue Fenster – ließe sich viel Energie sparen. Sie kostet aber auch. Und in
       der Regel müssen nicht die Hausbesitzer*innen, sondern die Mieter*innen
       zahlen.
       
       Wohnen ist in den vergangenen Jahren sowieso schon teuer geworden, in
       letzter Zeit auch wegen stark ansteigender Energiepreise. Die treffen vor
       allem ärmere Haushalte, da diese einen hohen Anteil ihres Einkommens für
       Energiekosten aufbringen müssen. Machen energetische Sanierungen arme
       Mieter:innen noch ärmer? Oder sind sie in Zeiten steigender
       Energiepreise ihre Rettung?
       
       ## Doppelte Miete durch Modernisierung
       
       38 Grad im Schatten, es ist der heißeste Tag des Jahres. Im gleichen Haus,
       ein paar Stockwerke tiefer, kocht Marita Schütz Espresso. Hier in ihrer
       Dreiraumwohnung in der Winsstraße hat sie Jahrzehnte verbracht und drei
       Kinder großgezogen. Dank ihres alten Vertrags zahlt sie eine günstige
       Miete. Erst im vergangenen Jahr wurde sie erhöht, doch wegen der
       Modernisierung hatte sie nun erneut eine Mieterhöhung im Briefkasten – und
       soll bald fast doppelt so viel zahlen wie bisher. „Das war erst einmal ein
       Schock.“
       
       Klar könnte sie eine kleinere Wohnung suchen – aber selbst wenn sie auf
       Berlins überlastetem Wohnungsmarkt eine fände, würde sie vermutlich mehr
       zahlen als jetzt. Eine ehemalige Kollegin sei gerade nach Brandenburg
       umgezogen, hier habe sie sich nichts mehr leisten können. Alleine neu
       anfangen, weit weg von Freund*innen, ihrer Familie – das droht Schütz, wenn
       sie die Mieterhöhung tatsächlich zahlen müsste.
       
       Auch sie heißt eigentlich anders. Sie hofft, sich mit der Hausverwaltung
       einigen zu können, und will die Gespräche nicht gefährden. Deshalb will sie
       auch nicht allzu viele Details preisgeben. Ihre genaue Miethöhe, wo sich
       die Wohnung im Haus befindet – all das würde sie identifizierbar machen.
       
       Einen Teil der Geschichte, die sie mit ihrer Wohnung verbindet, können wir
       dennoch erzählen: In den 80er Jahren lag Prenzlauer Berg noch in der DDR,
       Schütz bekam eine Wohnung in der Winsstraße zugeteilt. Wie üblich im Altbau
       wurde mit Kohle geheizt. Im Kiez gab es ein dichtes Netz an
       Kohlenhandlungen, erzählt Schütz. Gegen ein Trinkgeld schleppte der
       Lieferant die Pakete in den Keller. Jeden Morgen brachte die damals junge
       Mutter die Asche nach unten, holte neue Briketts und entfachte die Öfen.
       Eine Stunde dauerte es, bis die Wohnung warm war. Dann weckte sie die
       Kinder, machte Frühstück, brachte sie in Krippe und Schule und ging zur
       Arbeit. „Heute frage ich mich, wie ich das als Alleinerziehende damals
       geschafft habe.“
       
       In „ordentlichen Wintern“, wenn es richtig kalt war, etwa zum Jahreswechsel
       1986/87, erinnert sich Schütz, musste sie nachts noch mal nachheizen.
       Immerhin, in jenem Winter bekam die Familie einen sogenannten
       Außenwandheizer. Einen. Er kam ins Wohnzimmer, wo sich alle tagsüber
       versammelten. „Der war für uns so wertvoll wie Goldstaub“, sagt sie. Er
       lief mit Gas und leitete die Abgase nach draußen ab. Das war praktisch.
       „Aber auch ganz schön laut.“ Für den Außenwandheizer wurde ein
       Wanddurchbruch gemacht, und der Straßenlärm landete mitten in der Wohnung.
       
       In der Küche konnte man gar nicht heizen. Noch dazu gab es einen
       sogenannten Berliner Kühlschrank unter dem Fenster: einen Einbauschrank aus
       Holz, wo man Lebensmittel kühlhalten konnte – weil er kaum Abdichtung nach
       außen hatte. Was die Küche im Winter noch kälter machte.
       
       In den 80er Jahren wurde das Haus dann saniert. Neue Elektrik und Gasrohre
       wurden verlegt, nicht für die Heizungen, sondern zum Kochen. Energetische
       Sanierungen waren damals kein Thema. Kurz vor der Wende bekam Schütz das
       Angebot, in einen Neubau zu ziehen. Sie lehnte ab. Krippe, Schule, Arbeit
       waren in der Nähe, auch mit den Nachbar*innen verstand sie sich gut.
       
       ## Auch selbst sanieren ist möglich
       
       Henning Ellermann ist Gebäudeexperte bei der Deutschen
       Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff). In diesem Jahr
       wird er von Anfragen zu explodierenden Energiekosten geradezu überrollt.
       „Die eigentliche soziale Frage ist die jahrelange Nichtsanierung“, sagt er.
       „Denn wer jetzt in einem Gebäude der schlechtesten Effizienzklassen wohnt,
       hat dieses Jahr ein richtiges Problem.“
       
       Gebäude werden in die Kategorien A (gut) bis H (schlecht) eingeteilt, je
       nachdem, wie viel Energie sie verbrauchen. Neubauten fallen in die
       Energieeffizienzklassen A und B. Ältere Gebäude schneiden deutlich
       schlechter ab. Doch seit etwa einem Jahrzehnt stagniert die Sanierungsrate
       bei rund 1 Prozent. Das größte Problem sind die Bauten der Nachkriegsjahre.
       „Erst in den 70ern wurden Energiestandards eingeführt“, sagt Ellermann. Die
       ungedämmten Beton- oder Ziegelbauten machten heute etwa 40 Prozent der
       Wohnungen in Deutschland aus. „Häufig sind das Wohnungen mit relativ
       niedrigen Mieten, in denen Menschen wohnen, die nicht so viel Geld haben,
       aber jetzt auf ihre Kaltmiete von etwa 5 Euro pro Quadratmeter noch mal 5
       Euro Heizkosten draufzahlen müssen.“
       
       Das Haus in der Winsstraße ist ein Altbau, doch zum Teil trifft das, was
       Ellermann sagt, auch hier zu. Viele Bewohner*innen leben seit
       Jahrzehnten in ihren Wohnungen und zahlen eine günstige Miete. Als sie noch
       jung waren und Kinder hatten, trafen sie sich oft im Hof. „Das war so ein
       Zille-Hof: ein paar Bäume, die sich selbst ausgesät hatten, Mülltonnen,
       sonst nichts“, erzählt Marita Schütz. Um es schöner zu haben, bewarben sie
       sich nach der Wende um Senatsgelder für Mieter*innen und begrünten
       gemeinsam den Innenhof. Und wenn man gemeinsam etwas mache, dann rede man
       auch miteinander, sagt Schütz.
       
       In den 90er Jahren erfuhr sie von Nachbar*innen, dass es auch
       Senatsförderungen für Mieter*innen gebe, um Kohleöfen gegen
       Gasetagenheizungen auszutauschen. Schütz stellte einen Antrag und bekam, so
       erinnert sie sich, 5.000 Mark. 7.000 musste sie selbst auftreiben. „Das
       habe ich mir von meinen Eltern geborgt. Ich hatte kein Geld übrig.“ Mit den
       12.000 Mark ließ sie Rohre verlegen und Heizkörper installieren – auch in
       der Küche. Der Außenwandheizer kam weg, das Loch in der Wand wurde
       geschlossen.
       
       Die sogenannte Mietermodernisierung der 90er Jahre war Teil des Programms
       „Soziale Stadterneuerung“. Heute werden Fördergelder vornehmlich an
       Vermieter*innen vergeben. Die rufen sie aber nur selten ab. Der Grund:
       Der damit verbundene Aufwand rentiert sich für sie nicht, weil die späteren
       Einsparungen hauptsächlich den Mieter*innen zugutekommen. Das bestätigte
       kürzlich eine [2][Studie des Berliner Instituts für ökologische
       Wirtschaftsforschung (IÖW) und des Freiburger Öko-Instituts].
       
       Marita Schütz mistet aus, geht Papiere durch, häuft sie zu Stapeln, wirft
       andere weg. Die Unterlagen zur Modernisierung hat sie auf den
       „Schlimm-Stapel“ gelegt. „Ich habe mich gezwungen, alles Zeile für Zeile zu
       lesen.“ Teil der Ankündigung ist eine Tabelle, aus der hervorgeht, welche
       „umlagefähigen“ Modernisierungen wie viel kosten und was davon auf die
       einzelnen Mietparteien entfällt. Ein staatlicher Zuschuss wird dort nicht
       erwähnt.
       
       Schütz geht die Mappe durch, versucht sich zu erinnern. Im Juni 2021
       erhielt sie die Ankündigung, dass ein Gerüst gebaut werden sollte. Es
       dauerte Wochen, bis die ersten Arbeiter kamen und Schilder aufstellten,
       dann wieder Wochen, bis sie das Gerüst zu bauen anfingen. Irgendwann wurden
       nach und nach die undichten Böden der Balkone erneuert. Dann ging es ans
       Dach. Wieder stockte es.
       
       Es gibt drei Arten von Sanierungen: Instandsetzungen wie Fassadenanstriche,
       deren Kosten Vermieter*innen zahlen müssen; Modernisierungen, die der
       Verbesserung der Wohnverhältnisse dienen, etwa das Anbringen von Balkonen
       oder der Einbau von Fahrstühlen; und schließlich energetische
       Modernisierungen, die Energie einzusparen helfen, zum Beispiel Fassaden-
       und Dachdämmung. Dämmen kann die Nebenkosten senken, wenn die
       Mieter*innen die Investitionen nicht selbst stemmen müssen. Bei
       Modernisierungen und energetischen Sanierungen dürfen
       Hauseigentümer*innen 8 Prozent der Kosten dauerhaft auf die
       Jahresmiete umlegen. Allerdings darf dadurch die monatliche Miete um
       lediglich 2 oder 3 Euro – je nach bisheriger Miethöhe – pro Quadratmeter
       steigen. Die Sanierung in der Winsstraße reizt diese Obergrenze wohl gerade
       so aus.
       
       Im Eingangsbereich des Hauses ist der Boden gefliest, die Decke mit Stuck
       verziert. Die Holztreppe ist mit Teppich ausgelegt. Oben im fünften Stock
       bittet Maja Eisner ins Arbeitszimmer. Ein großer Arbeitstisch steht in der
       Mitte des Raums, zwei menschenhohe Palmen recken sich neben der Balkontür
       in die Höhe, ein paar Regalbretter mit Büchern, viel mehr gibt es nicht zu
       sehen. Außer zwei Rissen an der Decke.
       
       Darüber liegt der Dachboden. Er soll zu einem Dachgeschoss ausgebaut
       werden. Arbeiter haben Metallträger in die Decke eingesetzt. Seitdem sei
       nichts passiert. Abgesehen davon, dass in Eisners Wohnung Risse entstanden
       seien und im Flur sogar ein tellergroßes Loch. „Wir waren arbeiten, beim
       Heimkommen habe ich den unten liegenden Putz und dann das Loch gesehen. Man
       konnte in den Dachstuhl blicken“, erzählt Eisner und zeigt Fotos.
       Geschlossen wurde alles bisher nicht, nur eine Plane über das Loch geklebt.
       
       Die Modernisierungsankündigung hat Eisner in einen Ordner abgeheftet. Sie
       blättert, findet den Brief, es sind 13 Seiten. Nicht alles, was als
       energetische Sanierung angekündigt worden sei, sei eine, sagt Eisner. Zum
       Beispiel die Fenster. „Das ist Quatsch. Als wir einzogen, waren gerade
       doppelt verglaste Fenster eingebaut worden. Sie jetzt noch einmal
       auszutauschen, wäre energetischer Unsinn.“ Andere Modernisierungen soll sie
       bezahlen, obwohl sie sie nicht betreffen. „Jede Wohnung hier ist anders.
       Unsere wurde umfassend saniert, bevor wir eingezogen sind. Die wissen
       einfach nicht, wie die Wohnungen hier aussehen.“
       
       Eisner will das alles nicht einfach so hinnehmen. Die Fassade im Hof sei
       seit Jahrzehnten nicht gestrichen worden, wenn jetzt gemalert und gedämmt
       werde, sei die Farbe eine „normale Instandsetzung“. Da wolle sie auch
       nichts für das Gerüst zahlen. Und das Dach? „Natürlich dämmt das. Aber das
       Ziel ist der Ausbau, um mehr Wohnungen einbauen zu können.“
       
       Eisner hatte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Die bezahlt ihr
       einen Anwalt. „Die Hausverwaltung bombardiert uns mit Papier. Wir
       bombardieren zurück“, sagt sie bestimmt.
       
       ## Nachbar*innen ziehen aus
       
       Viele Mieter*innen schüchtern seitenlange Modernisierungsankündigungen
       und die Aussicht auf steigende Mieten ein. Sie kündigen und suchen sich
       eine neue Wohnung, sagt Carola Handwerg. Sie war bereits Mietrechtsanwältin
       in Prenzlauer Berg, als es hier noch vorwiegend Kohleofenheizungen gab.
       Dann erlebte sie die „zweite oder dritte Sanierungswelle“: Balkone
       anbringen, Fahrstühle einbauen – alles, was noch nicht gemacht war und
       womit sich die Miete erhöhen ließ. Die dreisteste Mieterhöhung, die sie zu
       Gesicht bekam, betrug 12 Euro mehr pro Quadratmeter, eine Verdreifachung
       der Gesamtmiete.
       
       Mit der [3][Gesetzesänderung von 2019] hörte das erst einmal auf. Dass nur
       noch 2 oder 3 Euro Mieterhöhung pro Quadratmeter erlaubt wurden, war vielen
       Hauseigentümer*innen offenbar zu wenig. Handwerg bekam kaum noch
       Anfragen zur anwaltlichen Beratung wegen Sanierungsvorhaben. Das Gesetz
       hatte seinen Zweck erfüllt. „Man konnte Mieter*innen nicht mehr mit
       Forderungen von 10 Euro mehr pro Quadratmeter verschrecken“, sagt Handwerg.
       
       Bei denen weckten Modernisierungen oft die Hoffnung auf sinkende
       Heizkosten. „Wenn dann nach einer energetischen Sanierung die
       Heizkostenabrechnung kommt, sind die meisten Mieter*innen enttäuscht.“
       Denn oft sei die neue Heizung teurer als die alte. Die Anwältin erklärt:
       Wer eine Gasetagenheizung in der Wohnung hat und den Zähler vor der Nase,
       achtet eher auf den eigenen Verbrauch. Wenn man nach der Sanierung an die
       zentrale Fernwärme angeschlossen werde, erhöhe sich der Verbrauch oft. Noch
       dazu ist der Bezug von Fernwärme – obwohl sie ebenfalls überwiegend durch
       Gas erzeugt wird – doppelt so teuer wie Gas aus der Therme in der eigenen
       Wohnung.
       
       Hinzu kommt: Die meisten Mietshäuser werden laut Deneff-Gebäudeexperte
       Henning Ellermann „wahnsinnig schlecht betrieben“. Die Heizungen
       verbrauchten 5 bis 20 Prozent zu viel Energie, weil sie falsch eingestellt
       seien. Der Gesetzgeber habe nun endlich gegengesteuert. Nach der neuen
       Energieverordnung müssten alle Vermieter*innen in den nächsten zwei
       Jahren ihre Heizungen optimieren. „Auch das werden die Mieter im Geldbeutel
       merken.“
       
       Trotz Coronapandemie, Ukrainekrieg und Materialmangel werde seit etwa
       einem halben Jahr wieder mehr saniert, auch energetisch, beobachtet Carola
       Handwerg. Zum Nachteil der Mieter*innen. „Es ist die einzige Möglichkeit,
       die Miete außerhalb der eigentlich erlaubten Dreijahresfrist zu erhöhen.“
       Klimaschutz sei selten der tatsächliche Grund. Wenn die Mieter*innen
       können, ziehen sie immer noch aus. „Oder fangen zumindest an, sich
       umzusehen.“
       
       Corinna Kodim vertritt bei diesem Thema die andere Seite. Sie ist
       Energieexpertin bei Haus und Grund. Dem Verband gehören private
       Kleinvermieter*innen an, die zwei Drittel aller Mietwohnungen in
       Deutschland besitzen. „Mieter*innen wünschen sich, dass warmmietenneutral
       energetisch saniert wird. Das ist nicht möglich. Die Investitionskosten
       sind zu hoch“, sagt Kodim. „Vermieter*innen werden nur sanieren, wenn sie
       am Ende nicht draufzahlen.“ Daher könne zumeist nur das gemacht werden, was
       gesetzlich vorgegeben sei.
       
       Als Maja Eisner im vergangenen Jahr die Ankündigung für den Dachausbau
       bekam, zogen sie und ihr Mann aus. Allerdings nur temporär. Sie einigten
       sich mit der Hausverwaltung auf eine Mietminderung um 90 Prozent. Vom
       Ersparten kamen sie wochen- oder monatsweise in kleineren Wohnungen unter,
       die fast so viel wie ihre eigene kosteten. Im April reichte es Eisner mit
       dem Hin und Her. Nun wohnen sie wieder in der Winsstraße. Mit der
       Hausverwaltung haben sie sich geeinigt, bis auf Weiteres 50 Prozent der
       Miete zu zahlen und erst wieder auszuziehen, sobald tatsächlich
       weitergebaut wird.
       
       Einigen Nachbar*innen war schon die Ankündigung einer Mieterhöhung
       genug: Marita Schütz weiß von allein fünf Mietparteien, die deshalb
       ausgezogen sind. Die Wohnungen ständen nun leer und würden saniert. „Damit
       hat die Verwaltung erreicht, was sie wollte“, sagt Schütz. Sie glaubt, die
       Wohnungen sollten nun fit gemacht werden, um sie als Eigentumswohnungen
       verkaufen zu können.
       
       Seit 2014 ist das Winsviertel als soziales Erhaltungsgebiet ausgewiesen,
       auch Milieuschutzgebiet genannt. Ziel ist es, die
       Bewohner*innenstruktur im Kiez zu erhalten, Mietsteigerungen und
       Umwandlung in Wohneigentum einzuschränken. In Milieuschutzgebieten gelten
       etwas strengere Regeln für Modernisierungen. Eigentümer*innen müssen
       diese beim Bezirksamt beantragen. Das informiert dann wiederum die
       Mieter*innen und bietet kostenfreie Rechtsberatung an. Die meisten
       Modernisierungen kann der Milieuschutz allerdings nicht verhindern. So
       werde die Verdrängung nur verzögert, meint Schütz.
       
       Etwa Anfang 2020 erhielten die Mieter*innen ihres Hauses einen Brief vom
       Bezirksamt, das sie zu einer Informationsveranstaltung einlud. Der
       Eigentümer hatte Sanierungen angemeldet: Fahrstühle einbauen, Dachgeschoss
       ausbauen und Balkone im Hof anbringen. Auf den Fahrstuhl hatte sich Schütz
       erst gefreut: „Ich dachte, wenn ich meinen Lebensabend hier verbringen
       will, dann ist es praktisch, mit dem Fahrstuhl zur Wohnung fahren zu
       können.“ Doch der Aufzug soll auf halber Treppe halten. „Das nutzt mir doch
       nichts, wenn ich dann immer noch Treppen steigen muss.“ Im Juni kam dann
       ein Brief, dass das Haus wieder verkauft worden war. Der neue Vermieter aus
       München übernahm die Genehmigungen für die Sanierung. Doch in der
       Modernisierungsankündigung wurden nicht nur Balkone, Dach und Fahrstühle
       aufgelistet, sondern noch eine Reihe anderer Maßnahmen. Unter anderem soll
       Schütz’ Gasetagenheizung raus – ihr Eigentum. Sie soll an die
       Zentralheizung im Keller angeschlossen werden. Ihr Gas- soll durch einen
       Elektroherd ersetzt werden. Dafür stellt die Hausverwaltung rund 1.000 Euro
       in Rechnung. „1.000 Euro für einen Herd? Ich kann mir einen für 300
       kaufen.“
       
       ## Kein Theater, kein Konzert, kein Kino
       
       Im Durchschnitt geben Berliner Haushalte etwa ein Drittel ihres Einkommens
       für Wohnen und Energie aus. Und: Wer weniger hat, zahlt anteilig mehr. Bei
       Haushalten mit unter 1.500 Euro Einkommen sind es über 40 Prozent, bei 900
       Euro sogar 53 Prozent.
       
       „Die Sanierungsrate muss deutlich steigen, und gleichzeitig soll Wohnen
       bezahlbar bleiben. Daraus ergeben sich Zielkonflikte“, schreiben
       Forscher*innen des IÖW und des Öko-Instituts. Sie haben sich angeschaut,
       wie eine „sozialverträgliche Wärmewende“ in Berlin gelingen könnte und
       welche Kosten auf arme Haushalte in Mietshäusern zukommen oder was sie
       sogar einsparen könnten.
       
       Als Worst Case bezeichnen sie es, wenn Vermieter*innen die Kosten in
       größtmöglichem Umfang auf die Mieter*innen umlegen und keinerlei
       Förderungen in Anspruch nehmen. Den Berechnungen zufolge stiegen die
       Ausgaben von armen Haushalten für Wohnen und Energie auf 50 bis 60 Prozent
       ihres Einkommens. Im sogenannten Best Case, wenn Vermieter*innen nur
       einen Teil der Kosten auf die Mieter*innen umlegen und umfangreiche
       Fördermittel in Anspruch nehmen, könnten die Wohnkosten für
       Geringverdiener*innen sogar leicht sinken. Sie betrügen dann aber
       immer noch über 40 Prozent ihres Einkommens. Mehr ist offenbar nicht drin –
       im besten Fall werden die Wohnkosten nicht wesentlich gesenkt, aber
       immerhin auch nicht erhöht.
       
       Solange man Vermieter*innen nicht noch stärker verpflichtet,
       energetisch zu sanieren, müssen Anreize helfen. Sibylle Braungardt,
       Energieexpertin des Öko-Instituts, unterstützt einen politisch diskutierten
       Vorschlag dazu. Bisher können Vermieter*innen 8 Prozent der
       Modernisierungskosten dauerhaft auf die Mieter*innen umlegen. Diese
       Modernisierungsumlage, fordert Braungardt, könnte gesenkt und befristet
       werden. Dadurch würde die Sanierung für Vermieter*innen teurer und
       könnte ihr Interesse an einem staatlichen Zuschuss wecken. „Aktuell ist es
       für Vermieter*innen oft unattraktiv, eine Förderung zu beantragen, weil
       sie dadurch keine Einsparungen haben“, sagt Braungardt. Würden die Gelder
       ganz oder teilweise bei den Vermieter*innen verbleiben, wäre das
       anders. Dann hätten sowohl sie als auch die Mieter*innen weniger Kosten.
       Zusätzlich könnte ein sogenanntes Teilwarmmietenmodell helfen, wobei sich
       beide Parteien die Heizkosten teilten. Auch so würden beide von
       Einsparungen profitieren. Die Bundesregierung will das Modell laut
       Koalitionsvertrag prüfen. Braungardt ist jedoch skeptisch, dass es in
       dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. „Sie schreiben nichts vom
       Umsetzen, sondern vom Prüfen – das ist schon ein Indiz.“
       
       Corinna Kodim von Haus und Grund hält wenig vom Teilwarmmietenmodell. Die
       Kosten für Vermieter*innen würden steigen. „Ohne Förderung rechnet sich
       das nicht.“ Diese müsse daher gesetzlich verankert werden.
       
       Während die Preise an den Energiebörsen explodieren, senden viele Versorger
       ihren Kund*innen dieser Tage Briefe, in denen sie [4][höhere Abschläge]
       ankündigen. Je höher die Energiepreise, desto wichtiger werden energetische
       Sanierungen. Und desto mehr rechnen sie sich auch für Mieter*innen. Die
       Ergebnisse von IÖW und Öko-Institut zeigen: Ob Mieter*innen von
       energetischen Sanierungen profitieren oder darunter leiden, kommt ganz
       erheblich darauf an, wie die Kosten verteilt werden. Und das ist vor allem
       eine Frage politischer Steuerung.
       
       Auch Maja Eisner aus der Winsstraße hält energetische Sanierungen für
       wünschenswert – „wenn sie nicht nur so deklariert werden, um uns die Miete
       zu erhöhen“. Sie geht davon aus, die meisten Maßnahmen abwenden zu
       können,weil ihre Wohnung längst modernisiert ist. Auch hinsichtlich Dach
       und Fassade setzt sie auf ihren Anwalt, damit letztlich nur ein geringerer
       Anteil der Kosten auf ihre Miete umgelegt wird. Eisners Vorauszahlungen für
       die Heizkosten dagegen sind von 100 auf 180 Euro monatlich gestiegen. Um
       die Jahresabrechnung muss sie sich dennoch wenig Sorgen machen: Bisher
       haben sie und ihr Ehemann jedes Jahr etwa 300 Euro zurückbekommen.
       Sicherlich auch, weil sie zum Jahreswechsel immer für etwa vier Wochen nach
       Südostasien fahren. „Mein Mann würde sofort den ganzen Winter bleiben, aber
       ich muss ja in Berlin arbeiten“, sagt Eisner.
       
       Bei ihrer Nachbarin Marita Schütz sieht das anders aus. Sie hofft, dass die
       Hausverwaltung nachgibt und sie wenigstens keinen teuren Herd zahlen muss.
       Ihre monatlichen Vorauszahlungen für Gas haben sich verdreifacht. „Da ich
       Rentnerin bin, ist das nicht einfach. Vermutlich werde ich auf Kultur
       verzichten müssen. Kein Theater, kein Konzert, kein Kino.“ Sie überlege
       auch, weniger zu heizen, sich wärmer anzuziehen, vielleicht im Winter den
       Balkon als eine Art Außenkühlschrank zu nutzen. Schütz findet energetische
       Sanierungen trotz allem richtig. „Aber wenn die Wohnung dadurch so teuer
       wird, dass ich sie mir nicht mehr leisten kann, dann nützen sie mir
       nichts.“
       
       17 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzprogramm-2030-1673578
   DIR [2] https://ecornet.berlin/ergebnis/sozialvertraegliche-waermewende-berlin
   DIR [3] https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-13-modernisierung-in-der-mietwohnung-und-am-wohngebaeude-ihre-rechte-als-mieter.htm
   DIR [4] /Gaskrise-in-Deutschland/!5872195
       
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   DIR Johanna Treblin
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