URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Klarstellung über eine Frau
       
       > Ein Prüfungsbericht über eine geheimnisvolle Person wird von fragwürdigen
       > Prüfern erstellt, deren Oberbekleidung Obskures verbirgt.
       
       Um Missverständnissen sowie sich daraus eventuell ergebenden falschen
       Erwartungen gleich zu Beginn entgegenzutreten, sei hiermit Folgendes
       klargestellt: Dies ist kein Text über eine Frau, die unter dem Dach des
       Mehrfamilienhauses, in dem sie zur Miete wohnt, zwecks Aufbewahrung
       diverser, nicht mehr in ihre Wohnung passender Gegenstände wie Aktenordner,
       Bücher, Koffer etc. eine Kammer anmietet und später feststellt, dass
       anscheinend jemand diesen Raum nutzt, um darin seltsame Bilder zu malen.
       
       Ebenso wenig geht es hier um eine Person, die geburthaft aus dem
       zugemauerten Hauptbahnhof hervorgegangen ist und, weil sie eine Unterkunft
       braucht, von einem dubiosen Institut in der teilweise überschwemmten
       Innenstadt zum Kaufhaus Gleisen geschickt wird, weil es dort hinter der
       Herrenoberbekleidungs-Abteilung im zweiten Obergeschoss eine geheime
       Wohnung für geburthaft aus dem zugemauerten Hauptbahnhof hervorgegangene
       Personen gibt, wobei die Wohnung ausschließlich durch die Verkaufsräume
       erreicht werden könnte, weshalb das Kaufhaus immer geöffnet wäre.
       
       Nichts von alledem! Vielmehr soll an dieser Stelle abschließend auf den
       Prüfungsbericht vom (Datum unbekannt) eingegangen werden. Der erste Teil
       dieses Berichts, die Seiten 1 bis 27, gilt – im Unterschied zur
       Schriftprobe – als verschollen. Eine Rekonstruktion, zumal auf der
       Grundlage der Schriftprobe, wird inzwischen nicht mehr für möglich
       gehalten.
       
       Überlebende Prüflinge, die Jahre später noch hatten ermittelt werden
       können, machten bei Befragungen stark von einander abweichende Aussagen.
       Von einer „angespannten Situation“, ja, von „Angst und Schrecken“ war die
       Rede, doch auch davon, dass jede beliebige Antwort akzeptiert worden sei.
       Einige Zeugen bezeichneten den seinerzeit amtierenden Prüfer, an dessen
       Namen sich bemerkenswerterweise niemand erinnern konnte oder wollte, als
       „Teufel in Menschengestalt“, andere als „wohlwollend“ und „eine wirklich
       gute Wahl“.
       
       Übereinstimmung herrschte lediglich in einem Punkt. Sämtliche Befragten
       erwähnten, dass sich in den vielen Falten der von dem Prüfer getragenen
       Oberbekleidung „vielleicht eine zweite Person verborgen“ hatte.
       Möglicherweise habe aber auch eine körperliche Anomalie bewirkt, dass ein
       dritter Arm aus seiner Brust herauszuhängen schien. Dieser Arm sei „voll
       entwickelt“ gewesen, doch „schlanker als die beiden übrigen“, und „auch die
       deutlich kleinere Hand könnte eher die einer Frau gewesen sein“.
       
       Alle Zeugen gaben an, sie hätten wahrgenommen, dass die zusätzliche
       Extremität nie aus eigener Kraft agiert habe, sondern mittels der rechten
       oder linken Hand bewegt worden sei. Unter den vorstehend genannten
       Umständen erscheint es sinnvoll, den überlieferten zweiten Teil des
       Berichts, die Seite 28, zu vernichten. Eventuell noch bestehende Fragen
       werden unter der Telefonnummer 4 beantwortet.
       
       20 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eugen Egner
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Groteske
   DIR Prüfung
   DIR Frau
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Groteske
   DIR Büro
   DIR Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: In der Abfahrtstation
       
       Warten im Wartehäuschen. Gemeinsam mit drei oder vier älteren Herren. Und
       einer geheimnisvollen Frau, die als einzige helfen kann …
       
   DIR Die Wahrheit: Das Fehlen der Schrift
       
       Einem Schriftsteller geht das Wichtigste verloren. Und er weicht auf die
       Musik aus. Doch auch ein Doppelgänger kann das Verschwindende nicht finden.
       
   DIR Die Wahrheit: Die Personenverfolgung
       
       Wenn es so ist, dass Gegenstände verschwinden, also auch Menschen, und das
       vor den Augen des Betrachters, und andere erscheinen von selbst: was dann?
       
   DIR Die Wahrheit: Die Kästen am Hauptbahnhof
       
       Wer mit dem Zug fahren will, gerät an ein obskures Hindernis. Es wird von
       einer alten, ärmlich gekleideten Frau bewacht.
       
   DIR Die Wahrheit: Die Arbeitsplatzverweigerung
       
       Ein ehemaliger Beschäftigter, der die Firma schleichend ruiniert, ist
       heikel. Unerledigtes bleibt hier unerledigt, die Dinge nehmen ihren Lauf …
       
   DIR Die Wahrheit: Busfahrt des Grauens
       
       Im Nirgendwo geschieht das Unausdenkliche: Mit einem Linienbus soll ein
       Vortragsreisender an einen unbekannten Ort am Stadtrand gefahren werden …