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       # taz.de -- Parlamentswahlen in Italien: Was wählen und wenn ja, wie viele?
       
       > Am Sonntag wird in Italien ein neues Parlament gewählt. Unsere
       > deutsch-italienische Autorin lebt in Deutschland und fragt: Lohnt sich
       > Wählen überhaupt?
       
   IMG Bild: „Bereit, um Italien wieder zu beleben“: Wahlplakat der rechten Politikerin Giorgia Meloni nahe Rom
       
       Wieder liegt ein dicker Umschlag im Briefkasten. Absender: Italienisches
       Generalkonsulat. Ich öffne ihn und lege den Inhalt auf den Küchentisch. Ein
       blauer und ein grauer Bogen, ein gelber und ein weißer Umschlag. Einen der
       Bögen falte ich auseinander, lese [1][„Salvini, Berlusconi, Meloni“] auf
       grün-weiß-rotem Hintergrund, und möchte am liebsten alles wieder einpacken.
       
       Ich bin Halbitalienerin und besitze die doppelte Staatsbürgerschaft. Damit
       darf ich sowohl in Deutschland als auch in Italien wählen. Ich halte den
       Bogen mit den bunten Logos der verschiedenen Parteien in der Hand und bin
       überfordert. Wem soll ich meine Stimme geben? Soll ich überhaupt wählen,
       obwohl ich nicht in Italien lebe? In diesem Moment, in dem sich mein
       Italienischsein in Form von Wahlunterlagen bemerkbar macht, realisiere ich,
       wie wenig Ahnung ich von italienischer Politik – vielleicht sogar von
       Italien selbst – habe.
       
       Staatsbürgerin in zwei Ländern zu sein, gefiel mir schon immer sehr.
       Komisch, denn reale Vorteile hatte ich dadurch nie. Doch irgendetwas in mir
       regt sich, wenn ich ein Formular ausfülle und bei „Staatsangehörigkeit“
       deutsch-italienisch schreiben kann. Sicherlich auch, weil ich in 25 Jahren
       so gut wie nie schlechte Erfahrungen mit meiner italienischen Identität in
       Deutschland machen musste. Es sind meine Tanten und Onkel, die mir noch von
       anderen Zeiten erzählen.
       
       Mein „nonno“, mein italienischer Opa, kam in den 1950er Jahren vom
       sizilianischen Land als Gastarbeiter nach Baden-Württemberg. Meine Oma
       folgte ihm – mit neun Kindern. Der Jüngste von ihnen war mein Vater. Ich
       bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und konnte, bis ich 18 war,
       nicht flüssig Italienisch sprechen.
       
       Nach dem Abitur absolvierte ich einen Freiwilligendienst in Italien, um das
       zu ändern. Im Sprachkurs warnte die Lehrerin mich und andere
       Kursteilnehmer:innen vor der Lega Nord, wie die rechtspopulistische
       Lega damals noch hieß. Wirklich einordnen konnte ich die Partei da noch
       nicht, geschweige denn ahnen, dass sie in ein paar Jahren an der Regierung
       beteiligt sein würde.
       
       ## Versuche, die italienische Politik zu verstehen
       
       Es ist nicht so, als hätte ich nie versucht, das politische Geschehen in
       Italien zu verfolgen. Immer wieder starte ich einen neuen Anlauf. Im Kopf
       bleiben mir einzelne Namen, die ich – werde ich auf die Politik im
       Herkunftsland meines Vaters angesprochen – abspule: Berlusconi, Renzi,
       Conte, Draghi, Salvini, Meloni. Peinlicherweise kann ich nur zu denen mehr
       sagen, die wegen ihrer Skandale und unmöglichen Aussagen in der
       Öffentlichkeit stehen.
       
       Ich höre mich bei meiner Familie um. Die meisten behielten ihre
       italienische Staatsbürgerschaft oder haben – wie ich – den Doppelpass. In
       der Whatsapp-Gruppe mit den Cousinen und Cousins frage ich: „Wer will mit
       mir über die Wahlen in Italien reden?“ Die Begeisterung hält sich in
       Grenzen. Eine Cousine schreibt, sie empfinde sich als Außenstehende, die
       nicht viel dazu sagen könne.
       
       „Nein zum Trio infernale Meloni, Salvini und Berlusconi“, schreibt mein
       Cousin Giuseppe. Wir telefonieren. Er erzählt, dass er sich seit einigen
       Jahren dafür interessiere, was politisch in Italien los ist. [2][Die
       angekündigten Steuerentlastungspakete des rechtskonservativen Trios] seien
       leere Versprechen. „Ich wähle auf jeden Fall“, sagt er. Auch meine Tante
       schreibt, sie habe bereits gewählt. Trotzdem sagt sie: „Gina, auch wir
       haben Schwierigkeiten. Wir verfolgen die italienische Politik nicht so
       sehr.“
       
       Das gibt mir zu denken. Ist das, was meine Cousine, meine Tante und ich
       fühlen, Politikverdruss? [3][Der scheinbar ständige Regierungswechsel in
       Italien] überfordert mich. Das Draghi-Kabinett war das 69. nach 1945. Zum
       Vergleich: Das Scholz-Kabinett ist das 24. seit Adenauer.
       
       Ich beginne, mehr Artikel zur italienischen Wahl zu lesen, schaue nach, was
       Menschen schreiben, die schon lange ein Auge auf die Entwicklungen in
       Italien haben. Lese ich über den Zuspruch, den die Faschistin Giorgia
       Meloni bekommt, schnürt sich mir die Kehle zu. Die Prognosen sehen sie
       eindeutig vorne. „Dieses Jahr wähle ich!“, entscheide ich.
       
       Wird meine Stimme den Unterschied machen? Wahrscheinlich nicht. Dennoch
       steigt in mir das Bedürfnis, am demokratischen Prozess teilzunehmen und
       Meloni nicht den haushohen Wahlsieg zu gönnen.
       
       ## Auslandsitaliener durften nicht wählen
       
       Um letzte Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen, rufe ich eine Expertin an.
       [4][Edith Pichler ist gebürtige Italienerin] und forscht an der Universität
       Potsdam zu den Themen Migrationspolitik und interkulturelles Zusammenleben.
       „Lange Zeit durften Auslandsitaliener gar nicht wählen“, sagt sie. Zu groß
       war die Angst vor Wahlmanipulation.
       
       Nicht ganz zu Unrecht, wie der Fall von Nicola di Girolamo zeigt. Nach
       seiner Wahl zum Senator im Jahr 2008 vermutete man Wahlbetrug, begangen von
       der kalabrischen Mafiaorganisation ’Ndrangheta. Sie soll Blankowahlzettel
       von migrierten Italiener:innen im Raum Stuttgart aufgekauft und
       zugunsten di Girolamos ausgefüllt haben.
       
       Das Wahlrecht für Auslandsitaliener:innen gehe auf den Politiker
       Mirko Tremaglia zurück, erklärt Edith Pichler. Tremaglia war seinerzeit
       Mitglied der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano und später
       in deren Nachfolgeparteien. Von 2001 bis 2006 war er unter Silvio
       Berlusconi „Minister für die Italiener in der Welt“. Die Gesetzesänderung
       war eine seiner größten Errungenschaften.
       
       Seit 2001 dürfen Auslandsitaliener:innen zwölf Mitglieder in die
       Abgeordnetenkammer und sechs Senator:innen wählen. Mit dem
       Verfassungsreferendum 2020 zur Verkleinerung des Parlaments sind es nur
       noch acht Abgeordnete und vier Senator:innen. Ich habe einem Faschisten zu
       verdanken, dass ich eine Stimme gegen Faschist:innen abgeben darf.
       
       ## Komplizierte Wahlunterlagen
       
       „Die Wahlbeteiligung der Auslandsitaliener ist aber sehr gering“, sagt
       Pichler. Bei der letzten Parlamentswahl 2018 beteiligten sich nur knapp 30
       Prozent. Auffällig ist die hohe Zahl ungültiger Stimmen: Elf Prozent der
       Stimmen von Auslandsitaliener:innen waren nach Angaben des
       italienischen Innenministeriums vor vier Jahren nicht gültig.
       
       Mit Blick auf meine Wahlunterlagen wundert mich das nicht. Zwar ist ein
       Schreiben beigelegt, das in genauen Schritten erklärt, was zu tun ist, aber
       selbst nach mehrmaligem Lesen bin ich immer noch verunsichert, wo genau ich
       mein Kreuz setzen soll.
       
       Erst nachdem mir eine italienische Freundin in einer zweiminütigen
       Sprachnotiz erklärt, dass ich das Kreuz auf das Parteisymbol setzen und die
       Nachnamen der Abgeordneten auf die Linie daneben schreiben muss, ist alles
       klar.
       
       Edith Pichler spricht noch ein weiteres Problem an: „Deutsch-Italiener sind
       nicht präsent in der deutschen Politik.“ Zwar dürfen die migrierten
       Italiener:innen wie mein Vater und seine Geschwister an den
       italienischen Wahlen teilnehmen, aber um in Deutschland über die
       Kommunalwahlen hinaus wählen oder gar selbst kandidieren zu können,
       brauchen sie die deutsche Staatsbürgerschaft.
       
       Seit 2002 können sich Italiener:innen einbürgern lassen, ohne die
       italienische Staatsbürgerschaft zu verlieren, erklärt Pichler. Dafür müssen
       sie mindestens acht Jahre in Deutschland leben, 255 Euro zahlen, vorweisen,
       dass sie keine Sozialleistungen beziehen und einen Einbürgerungstest
       bestehen.
       
       Diesen Schritt gingen viele Italiener:innen nicht. „Einige fragen sich,
       wozu sie den Aufwand betreiben sollen, wenn sie sonst keine Nachteile hier
       in Deutschland haben“, sagt Pichler. Vor allem unter
       Gastarbeiter:innen gebe es die Haltung: Warum soll ich Geld dafür
       zahlen, um Bürger:in in dem Land zu werden, für das ich so viel geleistet
       habe?
       
       ## Letzte Zweifel
       
       „Es ist auch eine gewisse Frage der Würde“, sagt die Wissenschaftlerin.
       „Die Gastarbeitergeneration hat verpasst, politisch aktiv zu werden“,
       ergänzt sie. Es gebe aber auch Ausnahmen. Besonders in Gegenden wie
       Wolfsburg und Saarbrücken, in denen viele Gastarbeiter:innen ankamen,
       engagierten sich Italiener:innen in Gewerkschaften und der SPD.
       
       Endlich, in der Woche vor der Frist, falte ich die ausgefüllten Wahlbögen
       zusammen und stecke sie in den kleinen weißen Umschlag und diesen dann mit
       dem Wahlschein in den größeren gelben Umschlag.
       
       Während ich zum Briefkasten laufe, melden sich noch einmal letzte Zweifel.
       Beteilige ich mich an einer Wahl, die gar nicht meine Wahl ist? Die
       Gesichter von Meloni, Berlusconi und Salvini tauchen vor meinem inneren
       Auge auf. Ich denke an Geflüchtete und Schutzsuchende, die auf Anweisung
       von Matteo Salvini tagelang auf einem Schiff im Hafen von Catania ausharren
       mussten.
       
       Ich denke an den korrupten Silvio Berlusconi, der wissentlich die
       Prostitution Minderjähriger förderte. Ich denke an Giorgia Meloni und ihre
       Behauptung in einem Interview 1996, dass der Faschistenführer Benito
       Mussolini ein „guter Politiker“ gewesen sei. Die Zweifel verfliegen und
       mein Umschlag fällt durch den Briefkastenschlitz.
       
       22 Sep 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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