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       # taz.de -- Kriterium für Abschiebung fällt weg: Erleichterung für queere Geflüchtete
       
       > Die Regierung hat entschieden: Keine Abschiebungen mehr mit dem Hinweis,
       > ein „diskretes Leben im Herkunftsland“ sei möglich.
       
   IMG Bild: Christopher Street Day in Berlin, Juli 2021
       
       Berlin taz | [1][Queere] Geflüchtete dürfen nicht mehr mit dem Hinweis auf
       ein „diskretes Leben im Herkunftsland“ [2][abgeschoben] werden. Das gab die
       Bundesregierung am Dienstagnachmittag bekannt. Zukünftig muss das Bundesamt
       für Migration und Flüchtlinge [3][(Bamf)] davon ausgehen, dass die Menschen
       im Herkunftsland ihre sexuelle Identität „offen“ ausleben.
       
       Auch die sogenannte [4][Verhaltensprognose] fällt weg. Diese ist Teil eines
       zweistufigen Prozesses, in dem das Bamf bewertet, ob einer asylsuchenden
       Person im Heimatland Verfolgung droht. In der ersten Stufe überprüft das
       Bundesamt, wie sich Geflüchtete bei einer Rückkehr im Herkunftsland
       „verhalten“ würden.
       
       Zweitens, wie staatliche oder nichtstaatliche Akteure auf dieses Verhalten
       reagieren. Und diese Überprüfung konnte bis dato zu einer Ablehnung des
       Asylantrags führen, mit dem Hinweis, sich „diskret“ zu verhalten. Ab 1.
       Oktober soll nun die Bundesregierung Betroffenen Schutz bieten – egal, ob
       sie ihre Sexualität offen oder heimlich ausleben. Damit will die Regierung
       klarstellen, dass auch bei diskretem Verhalten Gefahr im Heimatland drohen
       kann.
       
       ## Überfällige Entscheidung
       
       Politiker:innen der SPD und Grünen sowie Vertreter:innen von
       Interessenverbänden begrüßen die Entscheidung der Bundesinnenministerin
       [5][Nancy Faeser] (SPD). „Dies ist ein wichtiger und längst überfälliger
       Schritt“, kritisieren SPD-Politiker Dirk Wiese und Falco Droßmann jedoch
       den Zeitpunkt der Bekanntgabe.
       
       Patrick Dörr, Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD),
       ist glücklich und erleichtert, dass die Prognoseentscheidungen abgeschafft
       wurden. Er betont, dass die Aufforderung nach einer „diskreten“ Lebensweise
       im Heimatland schon 2013 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für
       rechtswidrig erklärt wurde: „Trotzdem fand das sogenannte
       ‚Diskretionsgebot‘ bis heute Anwendung in der Bescheidungspraxis des Bamf.“
       
       ## Forderung nach Korrektur
       
       Die jetzige Entscheidung der Bundesregierung, das sogenannte
       Diskretionsgebot abzuschaffen, erfolgt auf Grundlage des
       [6][Koalitionsvertrags]. Hier wurde festgeschrieben, dass die
       Ampelregierung Asylverfahren für queere Verfolgte überprüfen wolle. Eine
       Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigt dies gegenüber der taz.
       
       Von den Grünen fordern die Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Ulle
       Schauws: „Wir erwarten, dass unmittelbar auf alle noch laufenden
       behördlichen Verfahren die Bescheide entsprechend korrigiert werden. Auch
       sollten in einschlägigen gerichtlichen Verfahren, in denen bereitsim Sinne
       der queeren Geflüchteten entschieden wurde, mit sofortiger Wirkung auf
       weitere Rechtsmittel verzichtet beziehungsweise diese zurückgezogen
       werden.“
       
       Zuletzt gab es im August Kritik am Frankfurter Verwaltungsgericht, das
       einem offen homosexuell lebenden Algerier vermehrt kein Asyl gewährte, wie
       [7][die taz berichtete]. Der 34-jährige Abdelkarim Bendjeriou Sedjerani
       betonte vor Gericht, das Leben für einen Homosexuellen sei in Algerien
       lebensgefährlich. Sedjerani kritisierte öffentlich im deutschen Fernsehen
       und auf CSD-Veranstaltungen die Homofeindlichkeit in Algerien. Sein Richter
       empfahl ihm schon 2020, sein Leben „unauffällig“ zu gestalten. Dieses Jahr
       wurde dies wiederholt, mit der Begründung, dass öffentliche Zuneigungen
       auch bei heterosexuellen Paaren in Algerien „verpönt“ seien.
       
       21 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Frieda Müller
       
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