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       # taz.de -- Streit um neues Kraftwerk in Bremen: Der Schlamm soll brennen
       
       > Eine Bürgerinitiative in Ostfriesland hat eine Klärschlammverbrennung in
       > den Niederlanden vorerst gestoppt. Bremen baut gerade eine ähnliche
       > Anlage.
       
   IMG Bild: Bremens Stadtteil Oslebshausen hat es eh schwer. Jetzt soll auch noch Abfall hier verbrannt werden
       
       Bremen taz | Bremens Hoffnung kommt aus Ostfriesland. Zumindest die von
       Dieter Winge und der „Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu“. Die kämpft
       gegen eine [1][Klärschlammverbrennungsanlage] im Bremer Westen, in einem
       vom Industrie, Lärm und Gestank schon jetzt besonders belasteten Stadtteil;
       sogar der Bremer Knast ist hier. 2023 soll sie in Betrieb gehen. Im Grunde
       ist es also schon viel zu spät, um das Vorhaben noch zu verhindern. Doch
       nun hat Winge ein [2][Urteil aus den Niederlanden] in der Hand, erstritten
       von der [3][Bürgerinitiative „Saubere Luft Ostfriesland“].
       
       Die hat mit Unterstützung der Stadt Borkum erfolgreich gegen eine ganz
       ähnliche [4][Anlage im niederländischen Delfzijl] geklagt: Die 2020
       erteilte Genehmigung wurde im Sommer annulliert. Der Grund: Die
       prognostizierten Quecksilberemissionen und deren Berechnung. Die Initiative
       hatten auf die sogenannte „Minimalisierungspflicht“ für besonders
       besorgniserregende Stoffe nach EU-Recht verwiesen – und sich damit
       durchgesetzt.
       
       Die Kritiker:innen befürchten, dass die Gifte unter anderem das
       Naturschutzgebiet Wattenmeer und die Insel Borkum belasten. Die Anlage soll
       2024 in Betrieb gehen und dann bis zu 185.000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr
       verarbeiten, um Energie zu gewinnen und Phosphat zu recyclen.
       
       Das Urteil der [5][Rechtbank Noord-Nederland in Groningen] basiert nicht
       auf niederländischem, sondern auf europäischem Recht – und das gilt ja auch
       in Bremen. Zwar glaubt man hier nicht mehr, das neue Kraftwerk noch
       verhindern zu können, es ist ja fast fertig gebaut. Strittig ist aber, wie
       viel Gift es in die Luft blasen darf: „Uns geht es darum, dass wir in
       Bremen größtenteils wesentlich schlechtere Schadstoffwerte haben als in
       Delzijl“, sagt Winge – auch beim Quecksilber.
       
       „Das führt dazu, dass Vogelarten wie Flussseeschwalbe und Austernfischer
       besonders stark belastet werden.“ Zudem sei die nächste Wohnbebauung nur
       250 Meter von dem neuen Kraftwerk entfernt.
       
       Und das OSPAR genannte „[6][Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt und
       des Nordatlantiks“] gelte auch an der Weser in Bremen – das Bundesland wäre
       also verpflichtet, bei der neuen Klärschlammverbrennungsanlage niedrigere
       Schadstoffwerte etwa für Quecksilber oder das krebserregende Benzo(a)pyren
       durchzusetzen, argumentiert Winge: Bremen missachte das „Minimierungsgebot“
       für besonders gefährliche Stoffe. „Weder der Bremer Bevölkerung noch der
       Umwelt sind derartig hohe Schadstoffkonzentrationen zuzumuten“, sagt Winge.
       Die Bremer Bürgerinitiative prüft nun, ob sie noch gegen die örtliche
       Anlage vorgehen kann.
       
       Im von den Grünen regierten Bremer Umweltressort hegt man „keine
       Befürchtung“, dass die umstrittene Anlage noch gestoppt werden könnte, sagt
       Sprecher Jens Tittmann. Ob die Emmissionswerte in Bremen höher lägen als in
       Delfzijl oder nicht, sei auch „vollkommen egal“ – denn sie lägen alle im
       Rahmen des rechtlich Zulässigen. Rein juristisch kommt es allerdings nicht
       nur auf die Einhaltung absoluter Grenzwerte an, sondern auch darauf, ob die
       Anlagen dafür die momentan „besten verfügbaren Techniken“ ausreichend
       nutzen.
       
       Die erlaubten Grenzwerte zumindest würden in Bremen „massiv
       unterschritten“, sagt Tittmann mit Verweis auf ein Gutachten des TÜV Nord.
       So werde der Staubniederschlagsgrenzwert der Anlage um den Faktor 50
       unterschritten, der darin enthaltene Wert für Quecksilber sogar um den
       Faktor 1.000. Das alles sei im Genehmigungsverfahren „sehr intensiv
       geprüft“ worden, sagt Tittmann – eine Klage gegen die Anlage sei jetzt
       ohnehin nicht mehr möglich.
       
       Im Ressort verweist man darauf, dass auch der Nabu und der BUND auf
       Einwendungen verzichtet hätten. Das stimme zwar, heißt es beim Nabu,
       bedeute aber nicht, dass die beiden Naturschutzverbände zustimmen: „Wir
       wurden seinerzeit beteiligt, haben aber mangels Expertise keine
       Stellungnahme abgegeben“, so der Nabu. „Wir prüfen just, ob wir die
       Gewerbeaufsicht darauf ansetzen“, auch eine Klage auf der Basis des Urteils
       aus Groningen werde geprüft.
       
       Ähnliches ist beim BUND zu hören: „Wir hatten und haben keine Kapazitäten,
       uns damit im Detail zu beschäftigen“, sagt der Bremer Landesvorsitzende
       Klaus Prietzel. Dieter Winge findet es „sehr unglücklich“, dass die
       Fachverbände kein Personal haben, um derartige Verfahren „vernünftig zu
       begleiten“.
       
       Derweil wirbt der [7][Betreiber der Bremer Klärschlammverbrennungsanlage]
       für seinen Neubau: „Wir setzen höchste Umweltschutzstandards“, sagt Oliver
       Ladeur von Hansewasser. „Durch die moderne und hocheffektive
       Rauchgasreinigungsanlage ist sichergestellt, dass keine Schadstoffe oder
       Gerüche emittiert werden.“
       
       Außerdem werde das Kraftwerk in Bremen in einem Industrie- und nicht in
       einem Naturschutzgebiet gebaut. Bei der Suche nach dem Standort habe dieser
       hier am Industriehafen in Bremen „aus ökologischer und ökonomischer Sicht
       am besten abgeschnitten“.
       
       Ladeur verweist in diesem Zusammenhang auch auf den geplanten
       Kohleausstieg: Schließlich werden über das [8][Kohlekraftwerk in Bremen]
       bisher viele Haushalte nicht nur mit Strom, sondern auch mit Fernwärme
       versorgt. Wenn es stillgelegt wird, könnte die neue
       Klärschlammverbrennungsanlage einen Teil dieses Strom und dieser Fernwärme
       liefern. Am Ende werde an diesem Standort eine Million Tonnen weniger
       Kohlendioxid emittiert, verspricht Ladeur. Außerdem reduziere sich der
       Feinstaub deutlich, und die Klärschlammtransporte mit dem Lastwagen nach
       Hamburg oder Nordrhein-Westfalen fallen dann auch weg.
       
       Die Reststoffe, die auch die neue Anlage noch in Bremen hinterlassen wird,
       sollen in einer unterirdischen Reststoffdeponie in Südniedersachsen
       endgelagert werden.
       
       26 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Archiv-Suche/!5743377&s=kl%C3%A4rschlammverbrennung&SuchRahmen=Print/
   DIR [2] https://www.umweltschutzverein.de/neuigkeiten.html
   DIR [3] http://bi-saubere-luft-ostfriesland.de/08-07-2022-eew-klaerschlammverbrennungsanlage-4-linie-genehmigung-annuliert/#more-1828
   DIR [4] https://www.zfk.de/wasser-abwasser/abwasser/umweltgenehmigung-fuer-eew-anlage-in-delfzijl-annulliert
   DIR [5] http://bi-saubere-luft-ostfriesland.de/wp-content/uploads/saubere-luft-friesland-.-bk.pdf
   DIR [6] https://www.bfn.de/abkommen-richtlinie/uebereinkommen-zum-schutz-der-meeresumwelt-des-nordost-atlantiks-oslo-paris
   DIR [7] https://www.kenow-nordwest.de/
   DIR [8] /Energieversorgung-in-Bremen/!5785570
       
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