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       # taz.de -- Tafeln in Hamburg und Niedersachsen: Zu wenig Lebensmittel
       
       > Hamburger Tafeln rufen zu Spenden von Privatpersonen auf. In
       > Niedersachsen werden Ehrenamtliche bald in Deeskalation geschult.
       
   IMG Bild: Volle Regale, wie hier vor drei Jahren bei der Hamburger Tafel, gibt es heute nur noch selten
       
       Bremen taz | Die [1][Not ärmerer Menschen] infolge der Inflation zeigt sich
       bereits seit Monaten auch an den Ausgabestellen der Tafeln. Sie stoßen an
       ihre Grenzen. Das Problem ist nicht nur der Andrang – sondern vor allem der
       Rückgang von Lebensmittelspenden aus dem Handel. Die Tafel Hamburg bittet
       nun um Lebensmittelspenden von Privatmenschen und nimmt diese am kommenden
       Donnerstag in drei Einkaufspassagen an.
       
       Auch am 27. Oktober und 24. November wollen die Ehrenamtlichen von 12 bis
       18 Uhr in der Europa Passage, im Alstertal- sowie im Elbe-Einkaufszentrum
       stehen. Es geht um haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel. „Nudeln, Reis,
       Pastasaucen – diese Art von Lebensmitteln kriegen wir derzeit gar nicht
       mehr“, sagt Julia Bauer von der Hamburger Tafel.
       
       Erfahrung habe man damit nicht, sagt Bauer. „Aber die Ehrenamtlichen sind
       motiviert – die sehen ja selbst bei ihren Touren zu den Supermärkten, dass
       sie nicht mal mehr die Hälfte dort abholen wie sonst.“ Vor zwei, drei
       Jahren, so Bauer, habe man nicht angemeldete Bedürftige noch vertrösten
       können: „Kommt später wieder, dann könnt ihr den Rest haben.“ Diese Reste
       gebe es schon lange nicht mehr. „Wir müssen eher gucken, dass es für die
       Angemeldeten reicht.“
       
       Rund 80 Prozent der 31 Ausgabestellen könnten derzeit keine Menschen mehr
       aufnehmen – teilweise schon seit Anfang Sommer. „Wir haben versucht, die
       Flüchtlinge aus der Ukraine noch zu verteilen, dann war aber Ende.“ 2020,
       so Bauer, habe man in Hamburg und Umland rund 40.000 Menschen pro Woche
       unterstützt. Inzwischen seien es „locker 45.000“, schätzt sie.
       
       ## Sammelaktion bedeutet viel Arbeit für Ehrenamtliche
       
       Im Gegensatz zu den Hamburger*innen hat Uwe Lampe vom Landesverband der
       Tafeln in Niedersachsen und Bremen Erfahrung mit solchen Sammelaktionen.
       „Das macht viel Arbeit.“ Lampe sieht die Aktion in Hamburg als Indiz dafür,
       dass es wirklich eng ist. „Normalerweise ist die Versorgung in den
       Großstädten besser, auch in Bremen. Es ist schon bedeutsam, wenn Hamburg
       solche Aktionen durchführt.“
       
       Diese Menschen, die sich Lebensmittel bei der Hamburger Tafel abholen,
       seien trotz allem immer noch sehr dankbar, nur manchmal ein bisschen
       „traurig oder enttäuscht“ über die Menge, sagt Bauer. Sie wüssten, dass es
       eben nur Spenden sind und alle ehrenamtlich arbeiten. Einzig bei Menschen,
       die wie die Ukrainer*innen noch nicht lange in Deutschland leben und
       direkt ins Sozialleistungssystem rutschen, gebe es Aufklärungsbedarf.
       „Leider sagen die Behörden oft: ‚Wenn du sonst noch was brauchst, geh zur
       Tafel.‘“ Man müsse dann erklären, dass die [2][Tafeln nicht Teil des
       staatlichen Hilfesystems] sind.
       
       Während die Abholungen in Hamburg friedlich verlaufen, erzählt Lampe von
       Konflikten. „Natürlich sehen wir hier soziale Spannungen, wenn wir weniger
       Ware zu verteilen haben, aber teilweise 30 bis 40 Prozent mehr Kundschaft.“
       Der Anspruch an die Kolleg*innen, für einen geordneten Ablauf zu sorgen,
       sei damit gestiegen. Deswegen wolle man nun Schulungen in Deeskalation
       anbieten.
       
       Das niedersächsische Innenministerium habe bereits grünes Licht dafür
       gegeben, dass die Polizei ein Konzept entwickeln kann, um den Tafeln zu
       helfen. „In Tagesseminaren können sich Ehrenamtliche informieren oder in
       Rollenspielen üben.“ Wie und in welchem Rahmen genau die Polizei das
       umsetzt, werde nun erarbeitet, so Lampe.
       
       ## Niedersachsen plant Verteilzentren für die Tafeln
       
       Auch an Standorten in Hannover gebe es seit ein paar Wochen einen
       Aufnahmestopp, sagt Lampe. Die Lebensmittel seien auch hier knapp. Als
       Grund nennt er Rabatt-Aktionen der Supermärkten. Ware, die in der
       Vergangenheit schnell aussortiert wurde, würde in den letzten Monaten
       vermehrt vergünstigt angeboten – und auch gekauft. „Ich will das gar nicht
       kritisieren, das ist normales Geschäftsgebahren, aber in der Folge bekommen
       nachgewiesene Bedürftige weniger“, sagt Lampe.
       
       Auch Bauer vermutet hinter Rabatten einen Grund für die Knappheit bei den
       Tafeln. Und durch die gestiegenen Preise würden gerade haltbare Produkte,
       nach denen die Tafel nun händeringend sucht, Zuhause gehortet. Die
       Supermärkte kalkulierten inzwischen auch noch genauer, weswegen am Ende
       weniger für die Tafel bleibt. „Natürlich sind wir gegen
       Lebensmittelverschwendung“, sagt Bauer, „andererseits leben wir ja von der
       Überproduktion.“
       
       Um künftig mehr Spenden zu bekommen, sollen in Niedersachsen sogenannte
       Verteilzentren entstehen. Das hat [3][Sozialministerin Daniela Behrens
       (SPD) Mitte September zugesagt]. Dort könnten dann, erklärt Lampe, auch
       große Ladungen direkt vom Großhandel entgegen genommen werden. Zum Beispiel
       gelber Erdbeerjoghurt oder falsch etikettierte Ware. „Die Produkte sind gut
       und schmackhaft, nur schlecht zu verkaufen.“ 2020 habe man bereits 400
       solcher LKW-Ladungen bekommen. „Wir gehen davon aus, dass wir dieses
       Geschäft so noch stärker machen können.“
       
       In anderen Bundesländern gebe es diese Logistikzentren bereits. Die finale
       Entscheidung von der Politik zur Finanzierung der Zentren falle aber erst
       nach der anstehenden Landtagswahl am 9. Oktober, sagt Lampe. Bereits
       übergeben ist dagegen der Förderbescheid vom Land: Statt 8.000 gibt es für
       das laufende Jahr nun 50.000 Euro für den Verband.
       
       27 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Explodierende-Kosten/!5879772
   DIR [2] /Kritik-an-Niedersachsens-Sozialpolitik/!5873671
   DIR [3] https://www.ms.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/land-unterstutzt-landesverband-der-tafeln-in-energiekrise-forderung-fur-2022-wird-auf-50-000-euro-erhoht-auch-logistikzentren-sollen-kommen-215262.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Götz
       
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