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       # taz.de -- Forscher über Lichtverschmutzung: „Gerade ändert sich viel“
       
       > Forscher Christopher Kyba erklärt, warum Zugvögel von Stromsparmaßnahmen
       > profitieren. Und wie wir den Spaß an Licht neu entdecken können.
       
   IMG Bild: Hell, heller am hellsten – in Europa sind viele Regionen auch bei Nacht gut beleuchtet
       
       taz: Vom Pariser Louvre über den [1][Berliner Fernsehturm] bis hin zu
       zahlreichen Werbetafeln – in vielen Städten brennt durch die
       Energiesparmaßnahmen derzeit weniger Licht in der Nacht. Welche
       Auswirkungen hat das, Herr Kyba? 
       
       Christopher Kyba: Abgesehen von den offensichtlichen Auswirkungen, also
       dass wir Strom und Geld sparen, nimmt der Lichtsmog ab. Das ist aktuell
       sogar ein besonders gutes Timing: Wir kommen nämlich gerade in die Zeit, in
       der die Zugvögel ihre Reise nach Süden antreten. Und Zugvögel haben
       Probleme mit beleuchteten Fassaden – sie fliegen dagegen. Das bekommen die
       meisten Menschen gar nicht mit. Die Vögel ziehen nachts. Und selbst wenn da
       mehrere gegen Fassaden fliegen – bis sich Menschen über die toten Vögel auf
       dem Boden wundern würden, sind die längst von Füchsen oder anderen
       Raubtieren aufgefressen worden.
       
       Kann man beziffern, wie viel weniger Licht gerade nachts in den Himmel
       gestrahlt wird? 
       
       Das ist leider gar nicht so einfach. Das liegt vor allem daran, dass wir
       noch nicht einmal wissen, wie viel Licht ohne die aktuellen Maßnahmen in
       die Atmosphäre gestrahlt wird. Das ist unheimlich schwer zu messen, weil es
       so viele unterschiedliche Lichtquellen gibt und diese in unterschiedliche
       Richtungen strahlen.
       
       Häufig werden Satellitenbilder dafür verwendet. 
       
       Ja, das kann man machen. Aber damit erfasst man nicht die Lichtglocke.
       
       Was ist das? 
       
       Licht leuchtet in alle Richtungen. Das, was nach oben strahlt, wird zum
       Teil zurückgestreut, etwa von den Wolken, und strahlt wieder auf den Boden
       zurück. Diese Helligkeit ist aus großer Entfernung noch zu sehen. Wir haben
       also für die Organismen auf der Erde die Helligkeit der Lichtglocke plus
       die direkten Lichtemissionen. Was ebenfalls kaum erforscht ist, sind die
       Verursacher. Man kann sagen, dass die Straßenbeleuchtung, zumindest auf
       Großstädte bezogen, nur einen kleinen Teil des Lichts ausmacht, deutlich
       weniger als die Hälfte. Aber welchen genauen prozentualen Beitrag
       Werbetafeln liefern, Fassadenlichter, Flutlichter in Stadien,
       Bauwerkbeleuchtung, Licht aus Fenstern – das wissen wir nicht. Dabei wäre
       das elementar, wenn man Lichtsmog möglichst zielgerichtet verringern
       möchte.
       
       Wie kann es sein, dass es nach all den Jahrzehnten darauf immer noch keine
       Antworten gibt? 
       
       Ich glaube, das liegt daran, dass die Folgen von Lichtsmog, aber auch von
       Kunstlicht im Allgemeinen für Menschen in der Regel unsichtbar sind. Was
       paradox ist, weil Licht ja sehr sichtbar ist. Aber nehmen wir die ans
       Fenster geflogenen Zugvögel: Wenn die morgens schon aufgefressen sind,
       nimmt niemand das Problem wahr. Andere Arten von Verschmutzungen sind viel
       einfacher zu bemerken: Bei Wasser weiß man, dass es blau sein sollte, und
       wenn es gelb ist oder grün, ist da ein Problem. Mikroplastik können wir
       messen. Müll sehen wir, wenn er auf der Erde liegt. Selbst
       Luftverschmutzung sehen oder riechen wir häufig.
       
       Macht das Licht nicht auch etwas mit den Insekten? 
       
       Ja, dass Insekten ein Problem haben mit dem ganzen Licht, das ist noch
       einigermaßen wahrnehmbar, wenn man sieht, wie sie bei Dunkelheit ständig in
       die Lampen fliegen. Aber was man eben nicht sieht: Sie tun dadurch andere
       Dinge nicht. Sie suchen keine Nahrung, sie paaren sich nicht. Kunstlicht
       ist – neben [2][Pestiziden] und abnehmender Artenvielfalt – eine Ursache
       für das [3][Insektensterben].
       
       Gewöhnen sich Organismen an das in Großstädten ja nun schon so lange
       permanente Licht? 
       
       Für die Evolution ist das ein extrem kurzer Zeitraum. Deshalb gehe ich
       davon aus, dass wir stark unterschätzen, wie groß der Einfluss des
       Kunstlichts auf Organismen aller Art ist. Es gibt Berichte, die
       beschreiben, welche Massen an toten Insekten Forscher unter einer einzigen
       Lampe gefunden haben, als es vor mehr als 100 Jahren losging mit der
       elektrischen Beleuchtung.
       
       Sie haben vorhin gesagt, Zahlen sind schwierig, aber es gibt sogar eine
       Zahl aus [4][Ihrer Forschung]: Satellitenbildern zufolge wird es pro Jahr
       etwa 2 Prozent heller auf der Erde. Gibt es mehr leuchtende Flächen oder
       leuchten die vorhandenen Flächen heller? 
       
       Das stimmt. Wir haben Daten aus den Jahren 2012 bis 2016 ausgewertet. Dabei
       haben wir zwei Dinge gesehen. Erstens: Die beleuchtete Fläche wuchs um etwa
       2 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig wurden die Orte, die schon beleuchtet
       waren, um jährlich 2 Prozent heller.
       
       Wie lässt sich dieser Trend stoppen? 
       
       Momentan sind wir in einer Phase, wo sich viel ändert – und es könnte in
       beide Richtungen gehen. Einerseits wird Beleuchtung immer noch effizienter.
       Häusergroße Werbetafeln waren noch vor 100 Jahren fast nicht existent –
       weil sie extrem aufwendig und energieintensiv waren. Jetzt sind sie zu
       vergleichsweise geringen Kosten realisierbar. LEDs waren da ein echter
       Gamechanger. Andererseits kommt langsam bei der Bevölkerung und in der
       Politik an, dass Lichtsmog ein Problem ist. Aber eben nur langsam.
       
       Es gibt zum Beispiel zwei US-amerikanische Städte, Cheyenne und Flagstaff.
       Beide sind sehr ähnlich, was die örtlichen Gegebenheiten, die Bevölkerungs-
       und Infrastruktur angeht. Aber die eine hat Regeln zu Licht und die andere
       nicht. Was man sieht und messen kann: Der Himmel über Cheyenne ist über
       zehnmal heller als der über Flagstaff, wo es Regeln für den Umgang mit
       Licht gibt.
       
       Regeln helfen also? 
       
       Na ja, es kommt darauf an. Es gibt zum Beispiel eine EU-Regelung zur
       Straßenbeleuchtung. Deutschland hat sie nicht umgesetzt, zum Glück. Denn
       diese Regelung sieht eine Mindestbeleuchtung vor – und keine
       Höchstbeleuchtung. In den Ländern, die die Regeln umgesetzt haben, ist es
       daher heller.
       
       Also was könnte denn nun tatsächlich helfen? 
       
       Bevor wir eine Beleuchtung installieren oder nutzen, sollten wir über vier
       Punkte nachdenken: Wer braucht sie? Zu welcher Uhrzeit? Wie viel Licht ist
       nötig? Und wohin soll es strahlen? Es geht nicht darum, Licht, das wir etwa
       aus Sicherheitsgründen brauchen, abzuschalten. Aber ein Negativbeispiel
       sind digitale Werbetafeln. Die leuchten etwa an Bushaltestellen rund um die
       Uhr, auch wenn die Haltestelle gar nicht angefahren wird.
       
       Städte, Werbetreibende und alle anderen Akteure sollten sich auch dessen
       bewusst werden: Was alltäglich ist, wird langweilig. Ein Bauwerk, eine
       Sehenswürdigkeit, die 365 Tage im Jahr beleuchtet ist – keine Attraktion.
       Aber das gleiche Bauwerk 360 Tage im Jahr nicht beleuchtet und 5 Tage schon
       – das ist eine Attraktion. Oder: Fassadenbeleuchtung brauchen wir nicht
       jeden Abend – aber vielleicht Freitag und Samstag. Das ist eine andere Art,
       das Licht zu nutzen. Denn Licht macht ja auch Spaß. Und diesen Spaß sollten
       wir wiederentdecken.
       
       27 Sep 2022
       
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