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       # taz.de -- Wirklichkeit und Wunschdenken zu China: Putschgerüchte aus der Blackbox
       
       > Über einen Coup in Peking wird wild in sozialen Medien spekuliert. Das
       > zeigt, wie wenig die Außenwelt mittlerweile von Chinas Machtapparat
       > mitbekommt.
       
   IMG Bild: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sitzt fest im Sattel
       
       Peking taz | Am Wochenende hat die China-Blase im Kurznachrichtendienst
       Twitter Alarm geschlagen: Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping
       befinde sich womöglich unter Hausarrest. Das Militär habe gegen den
       69-Jährigen geputscht. Li Qiaoming, ein mächtiger General der
       Volksbefreiungsarmee, habe die Macht übernommen.
       
       Was sich liest, als wäre einem Hollywood-Drehbuchautor die Fantasie
       durchgegangen, verbreitete sich in den sozialen Medien millionenfach. Bei
       Twitter war der Hashtag #chinacoup eines der meistdiskutierten Themen.
       
       Renommierte Professoren ließen sich auf Spekulationen ein, seriöse Medien
       wie die britische Tageszeitung [1][Guardian] griffen die Sache auf und auch
       ein indischer Ex-Minister ließ seine über zehn Millionen Follower daran
       teilhaben.
       
       Der Zeitpunkt liefert tatsächlich Anlass für Spekulationen: Xi Jinping
       reiste letzte Woche nach Zentralasien, trat aber seit seiner Heimkehr von
       [2][seinem ersten Auslandstrip nach Ausbruch der Pandemie] überhaupt nicht
       mehr in der medialen Öffentlichkeit auf.
       
       ## Xi Jinpings Griff nach dritter Amtszeit ist umstritten
       
       Zudem findet ab dem 16. Oktober der historische 20. Parteikongress in
       Peking statt. Bei dem wird Xi höchstwahrscheinlich seine dritte Amtszeit
       deklarieren. In China ist dies eine höchst umstrittene Angelegenheit,
       schließlich hatte die Parteiführung nach dem Tod von Mao Zedong
       beschlossen, dass sich eine derart verhängnisvolle Konzentration
       politischer Macht nicht mehr wiederholen darf. Bereits jetzt ist Xi Chinas
       mächtigster Parteichef seit Mao.
       
       Auch ist klar, dass es innerhalb der Parteielite brodelt. Erst letzte Woche
       wurden mehrere führende [3][Kader des Sicherheitsapparats zu lebenslangen
       Haftstrafen verurteilt]. Nicht nur, weil sie korrupt waren, sondern ihnen
       wurde auch vorgeworfen, eine „politische Clique“ gebildet zu haben, die
       sich gegen Xi positioniert hat.
       
       Dass der amtierende Staatschef innerhalb der Elite Hass auf sich zieht,
       scheint mehr als plausibel: Schließlich hat er in den letzten Jahren mit
       seiner Antikorruptionskampagne sowie den harschen Regulierungen gegen
       führende Privatunternehmen sehr viel Wohlstand vernichtet.
       
       Trotzdem sind die jetzigen Putsch-Gerüchte hanebüchen. Bei näherer
       Betrachtung hätten allein bei der Quellenlage alle Alarmglocken schrillen
       müssen: So waren es vor allem im Ausland lebende Chinesen, die der
       Falun-Gong-Sekte nahestehen, die in den sozialen Medien die Gerüchte
       gestreut haben. Als Belege führten sie an, die Hauptstadt sei angeblich
       vollständig abgeriegelt. Dazu zeigten sie einen Panzerkonvoi in der
       umliegenden Provinz Hebei.
       
       ## „Beweise“ sind leicht zu widerlegende Halbwahrheiten
       
       Doch handelt es sich bei den „Beweisen“ um leicht zu widerlegende
       Halbwahrheiten: Die Flug- und Zugverbindungen nach Peking sind tatsächlich
       stark reduziert, was im Zuge der [4][radikalen Null-Covid-Maßnahmen] immer
       wieder vorkommt. Abgeriegelt ist die Hauptstadt hingegen nicht. Und vor Ort
       lassen sich keine Hinweise finden, die auf einen Umsturz hindeuten.
       
       Die ganze Angelegenheit ist dennoch überaus interessant. Sie zeigt, wie
       nach zweieinhalb Jahren geschlossener Grenzen, einem Exodus an
       ausländischen Korrespondenten und einem zunehmend intransparenten
       chinesischen Machtapparat die Informationslage derart prekär geworden ist,
       dass sich selbst substanzlose Onlinegerüchte tagelang halten können.
       
       Immer schwieriger wird es, die Informationen vor Ort zu überprüfen. Bisher
       zumindest kannte man ein solch mediales Kaffeesatzlesen nur von Nordkorea.
       Nun scheint auch die Volksrepublik China zunehmend zu einer Blackbox zu
       werden.
       
       27 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.theguardian.com/world/2022/sep/26/china-becomes-hothouse-of-intrigue-ahead-of-crucial-communist-party-congress
   DIR [2] /Pekings-diplomatische-Initiative/!5881516
   DIR [3] /Saeuberungswelle-in-Chinas-KP/!5883490
   DIR [4] http://:%20Neue%20Chinesische%20Mauer
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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