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       # taz.de -- Studie zu digitalem Unterricht: Auf halber Strecke
       
       > Langsam kommt die Digitalisierung an Schulen voran. Eine breit angelegte
       > Elternbefragung zeigt jedoch, wie groß die Unterschiede in den Ländern
       > sind.
       
   IMG Bild: Nicht die Regel: Tablets im Unterricht
       
       Berlin taz | Für die Digitalisierung der Schulen hat der Bund in den
       vergangenen Jahren viel Geld bereitgestellt: 5 Milliarden für den
       Digitalpakt Schule. In der Pandemie sind noch einmal 1,5 Milliarden Euro
       dazugekommen, je 500 Millionen für Schuladministrator:innen,
       Lehrer:innenlaptops und mobile Endgeräte für bedürftige Schüler:innen.
       Mit den Mitteln der Länder stehen insgesamt mehr als 7 Milliarden Euro
       parat.
       
       Doch auch im dritten Corona-Schuljahr ist ein Großteil des Geldes immer
       noch nicht an den Schulen angekommen. Bis zum 31. Juni 2022 waren gerade
       mal 1,5 Milliarden Euro der Bundesmittel ausgegeben – nicht mal ein
       Viertel. Die Folge: Von den rund 40.000 Schulen in Deutschland hat bislang
       nur etwa die Hälfte vom Digitalpakt profitiert.
       
       Angesichts der Zahlen, die das Bundesbildungsministerium und die
       Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte September vorstellten, wäre Euphorie
       wohl fehl am Platze. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zieht
       eine gemischte Bilanz: „Das Tempo stimmt noch nicht“, räumte sie ein.
       „Deshalb wollen wir den Digitalpakt weiter beschleunigen.“ Die
       FDP-Politikerin verwies dabei auf den intensiven Austausch mit Ländern und
       Kommunen über Best Practices und Beratungsangebote für Schulträger.
       
       Stark-Watzinger erkennt aber auch Fortschritte. So seien beispielsweise die
       zusätzlichen Tablets und Laptops aus den Sonderprogrammen für
       Schüler:innen und Lehrer:innen fast vollständig in den Schulen
       angekommen. Auch KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU) lobt die Entwicklung.
       Aus den jüngsten Daten liest sie, dass der Digitalpakt „eine entscheidende
       Schubkraft für die Digitalisierung unserer Schulen“ entwickelt habe.
       
       ## Im Unterricht überwiegend private Geräte
       
       Eine [1][am Dienstag veröffentlichte Studie] zeigt nun, dass dieser Schub
       nicht in allen Bereichen spürbar ist – und dass er für die einzelnen
       Bundesländer und Schulformen sehr unterschiedlich ausfällt. So sind
       beispielsweise Schulen in Bremen und Berlin deutlich häufiger ans Internet
       angeschlossen als in Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Bei der Ausstattung der
       Schulen mit Laptops und Tablets liegen bundesweit die Gymnasien vorne – und
       die Grundschulen (verständlicherweise) ganz hinten. Und in Rheinland-Pfalz
       oder Schleswig-Holstein ist die fehlende IT-Kompetenz der Lehrkräfte ein
       größeres Problem als im Rest der Republik. Zumindest aus Sicht der Eltern.
       
       Für die Studie hat das Netzwerk für die digitale Gesellschaft (Initiative
       D21), eine Partnerschaft aus Wirtschaft und Politik, mehr als 2.400
       Erwachsene mit schulpflichtigen Kindern zum Stand der Digitalisierung in
       den Schulen befragt. Das generelle Bild, das dabei entstanden ist, lautet:
       Vielerorts sind die Schulen heute deutlich besser ausgestattet als vor der
       Pandemie. Auch kommen digitale Geräte häufiger zum Einsatz. Allerdings, das
       stellen die drei D21-Autorinnen auch klar, baue „dieser Schub auf einem
       sehr niedrigen Ausgangsniveau auf“.
       
       Und nicht alle Entwicklungen sind nur positiv. So stützt sich der
       Unterricht zwar häufiger auf digitale Elemente – drei Viertel der Befragten
       sagen, dass digitale Geräte und Anwendungen mittlerweile im Unterricht
       ihres Kindes zum Einsatz kommen. Gleichzeitig stellen die Schulen kein
       geeignetes mobiles Endgerät zur Verfügung, kritisieren zwei Drittel der
       Eltern. Das führt zu der Situation, dass viele Bundesländer zwar
       Smartboards oder alte PCs zur Verfügung stellen, im tatsächlichen
       Unterricht dann aber vor allem die Tablets und Smartphones der
       Schüler:innen zum Einsatz kommen. Also private Geräte.
       
       Ob Schüler:innen am digitalen Unterricht teilnehmen können, hängt auch
       im Jahr 2022 maßgeblich davon ab, ob sich die Eltern die digitalen
       Endgeräte leisten können. Nur Bremen hat seine Schüler:innen
       flächendeckend mit Tablets ausgestattet.
       
       ## Pandemie verschärfte Bildungsungerechtigkeit
       
       Aus Sicht der Chancengleichheit sei das ein Problem, sagt Birgit
       Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn.
       „Wir haben gesehen, dass die Ausstattung der Kinder und Jugendlichen zu
       Hause sehr unterschiedlich ist“. Deshalb sei sie froh, dass der Digitalpakt
       in der Pandemiezeit noch einmal aufgestockt wurde, um auch Endgeräte für
       bedürftige Schüler:innen zu finanzieren. Eickelmann warnt aber davor, es
       bei dieser einmaligen Investition zu belassen.
       
       „So wie früher die Schulbücherfinanzierung müssen nun endlich auch digitale
       Lernmaterialien, Endgeräte und Inhalte im Bildungsetat berücksichtigt sein.
       Das ist eine zentrale Frage von Bildungsgerechtigkeit.“ Dazu gehört ihrer
       Meinung auch: die Verfügbarkeit und der Zugang zu mobilen Daten. „Klingt
       trivial, ist uns aber in der Pandemiezeit erst richtig aufgefallen“, so
       Eickelmann. Ein Endgerät alleine reiche nicht zum Arbeiten in einer
       digitalen Lernumgebung. Da könne Deutschland viel von Ländern wie Dänemark
       lernen, die sowohl Endgeräte als auch eine gute Internetverbindung für alle
       Schüler:innen bereitstellten.
       
       Dass die Pandemie die Bildungsungerechtigkeit im Land [2][noch weiter
       verschärft hat,] stellte kürzlich auch der Nationale Bildungsbericht 2022
       fest. Mit Blick auf den offensichtlichen Digitalisierungsschub an Schulen
       rieten die Bildungsforscher:innen, jetzt die Weiterbildung des Personals in
       Angriff zu nehmen und die „Digitalität“ in den entsprechenden Curricula zu
       verankern.
       
       Dass in beiden Bereichen Luft nach oben ist, schreiben auch die Autorinnen
       der D21-Studie: „Die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur und
       Ausstattung mit digitalen Endgeräten ist ein erster wichtiger Schritt für
       eine zeitgemäße Schulbildung in der digitalen Welt“. Digitale Geräte und
       Anwendungen müssten aber auch medienpädagogisch sinnvoll in den Unterricht
       integriert werden, um die Schüler:innen auf das Leben und Arbeiten in
       der digitalen Welt vorzubereiten.
       
       ## Suche nach Gesamtstrategie
       
       Glaubt man den befragten Eltern, sind die Schulen hiervon noch meilenweit
       entfernt. In ihrer Wahrnehmung spielt digitales Lernen nach wie vor keine
       große Rolle im Unterricht – mehr als ein Drittel der Befragten macht dafür
       die fehlenden IT-Kenntnisse der Lehrkräfte verantwortlich. Aus den Schulen
       hört man allerdings, dass sich seit Beginn der Pandemie sehr viele
       Lehrkräfte in diesem Bereich fortgebildet hätten. Aber auch, dass
       vereinzelte Lehrkräfte sich davor verschließen.
       
       Bildungsforscher Andreas Schleicher erkennt beim digitalen Unterricht ein
       grundlegendes Problem: „In Deutschland werden digitale Technologien noch zu
       häufig eingesetzt, um bestehende pädagogische Praxis zu konservieren“, sagt
       Schleicher zu den Ergebnissen der D21-Studie. Die Politik müsse aber eine
       „Gesamtstrategie“ vorlegen. Dazu bedürfe es einer „radikale[n] Neuplanung
       dessen, was Lehren und Lernen sein kann, wenn es durch Technologie
       unterstützt“ werde.
       
       Wie so eine Gesamtstrategie aussehen könnte, beschäftigt die Politik seit
       Jahren. Zuletzt 2021 haben die Kultusminister:innen definiert, was
       die Schulen in Sachen Digitales so alles drauf haben sollten. Dass das
       allein noch nicht reicht, legt [3][ein Gutachten der Ständigen
       Wissenschaftlichen Kommission (SWK)] nahe, das vergangene Woche vorgestellt
       worden ist.
       
       Darin fordern die 16 in der SWK vertretenen Bildungsforscher:innen die
       Politik auf, die Vermittlung digitaler Kompetenzen sowie Informatik stärker
       in den jeweiligen Bildungsplänen zu verankern und Zentren für digitale
       Bildung einzurichten, die entsprechende Schulmaterialien und
       Fortbildungsprogramme für Lehrkräfte erstellen.
       
       ## Und wer zahlt das?
       
       Es könne nicht sein, dass jede einzelne Lehrkraft Materialien erstellen und
       dabei didaktische Fragen ebenso berücksichtigen müsse wie Fragen des
       Datenschutzes und der Urheberrechte, kritisiert die Direktorin des
       Leibniz-Instituts für Wissensmedien, Ulrike Cress. Sie hat am Gutachten
       mitgeschrieben. In ihren Augen sollten alle Lehrkräfte auf geprüfte und
       didaktisch sinnvolle Materialien zugreifen können.
       
       Weiter empfiehlt die SWK den Ländern, künftig alle Lehrkräfte in Sachen
       Digitaler Unterricht auszubilden und länderübergreifende
       Ausbildungsstandards für Studierende, Referendare und fortzubildende
       Lehrkräfte aufzubauen. Dass dies alles zusätzliches Geld kosten würde, ist
       den Forscher:innen bewusst. Von allen Akteur:innen erwarten sie eine
       „enorme Kraftanstrengung“ sowie „hohe Investitionen“, um das Bildungssystem
       erfolgreich für die Anforderungen einer digitalisierten Welt aufzustellen.
       „Perspektivisch wird sich das auch in der Grundfinanzierung des
       Bildungssystems widerspiegeln müssen“, heißt es in dem SWK-Gutachten.
       
       Wie bereit die Länder zu diesen Schritten sind, ist nicht ganz klar. Im
       Namen der Länder bedankten sich die Bildungsminister aus Hamburg, Ties Rabe
       (SPD), und aus Hessen, Alexander Lorz (CDU), für das „wichtige“ Gutachten.
       Beide deuteten aber auch an, dass sie einige der Vorschläge für schwer
       umsetzbar halten – zum Beispiel ein Schulfach Informatik. „Bei neuen
       Unterrichtsinhalten und -angeboten stellt sich aber stets die Frage, auf
       welche anderen wir stattdessen verzichten können“, sagte Lorz knapp und
       spielte den Ball zurück. Man erwarte sich da „Empfehlungen der
       Wissenschaft, da man nicht alles, was Schule künftig leisten soll, immer
       noch obendrauf packen kann.“
       
       Und die Finanzierung? Auch kein beliebtes Thema. Die Ampelkoalition hat
       immerhin zugesichert, dass der Bund die Schulen auch nach Ende der
       Förderdauer 2024 mit einem „Digitalpakt 2.0“ fördern will – sofern die
       Schuldenbremse dann nicht auch diesem Bildungsversprechen im Weg steht.
       
       27 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://initiatived21.de/studien-und-publikationen/21st-century-schools-lagebild-des-digitalen-schulunterrichts-in-den-16-bundeslaendern/
   DIR [2] /Folgen-von-Corona-fuers-Bildungssystem/!5859851
   DIR [3] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2022/SWK-2022-Gutachten_Digitalisierung.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
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