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       # taz.de -- Lecks an Nord-Stream-Pipelines: Es brodelt
       
       > Die Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 waren sehr wahrscheinlich
       > Sabotage. Nun tritt Gas in die Ostsee aus. Die wichtigsten Fragen und
       > Antworten.
       
   IMG Bild: Vor der Küste der dänischen Ostseeinsel Bornholm tritt am Dienstag Pipelinegas an die Oberfläche
       
       Berlin/ Stockholm taz | An drei Lecks der Pipelines Nord Stream 1 und 2
       tritt Gas in die Ostsee aus. Was ist passiert?
       
       Am Montag registrierten seismische Messstationen in Dänemark, Schweden,
       Polen und Deutschland zwei Erschütterungen in der Ostsee. Die erste
       Detonation, gemessen um 2.03 Uhr, hatte einen Wert von 2,2 auf der
       Richterskala, eine zweite um 19.03 Uhr einen Wert von 2,1. Die Orte, an
       denen die seismischen Bewegungen gemessen wurden, stimmen mit denen
       überein, an denen später sichtbare Lecks durch Gasaustritt an der
       Meeresoberfläche festgestellt worden waren. Zunächst bei Nord Stream 2 und
       dann rund 70 Kilometer entfernt auch bei Nord Stream 1. Nach Einschätzung
       des dänischen geologischen [1][Instituts GEUS] „ähneln die Signale der
       Erschütterungen nicht denen von Erdbeben“. „Sie sind stattdessen mit den
       Signalen vergleichbar, die bei Explosionen zu sehen sind.“
       
       Geschätzt wird, dass die beschädigten, gut 1.200 Kilometer langen Stränge
       von Nord Stream 1 und 2 mit je rund 150 Millionen Kubikmetern Gas gefüllt
       waren. ExpertInnen gehen davon aus, dass der Gasaustritt noch mehrere Tage
       anhalten wird.
       
       Wer könnte hinter dem mutmaßlichen Anschlag auf die Röhren stecken? 
       
       Eine offizielle Schuldzuweisung seitens der betroffenen Staaten gibt es
       bislang nicht. Lediglich die Ukraine sprach offiziell von einem „von
       Russland geplanten Terrorakt“. Unterhalb offizieller Ebenen [2][hielten
       Experten in Schweden, Dänemark und mehreren Nato-Staaten am Mittwoch aber
       einen russischen Sabotageakt für die einzige plausible Erklärung]. Beide
       Nord-Stream-Pipelines wurden von russischen Firmen durch die Ostsee
       verlegt, genaue Kenntnisse der Verhältnisse am Meeresboden sind daher in
       Russland angesiedelt. Die Explosionen sind nach amtlichen Angaben
       hochprofessionell und sehr präzise durchgeführt worden, was militärische
       Fähigkeiten nahelegt. Als mögliche Militäreinheit mit entsprechenden
       Kapazitäten werden die „Hydronauten“ des russischen Direktorats für
       Tiefseeforschung (GUGI) genannt, eine in St. Petersburg angesiedelte
       Einrichtung des russischen Verteidigungsministeriums, das unter anderem
       ferngesteuerte Tauchboote entwickelt und mit Forschungsschiffen weltweit
       Unterseekabel in der Tiefsee ausspionieren soll.
       
       Viele Beobachter betonen aber, dass theoretisch auch andere Akteure zu
       solchen Aktionen in der Lage sein könnten. Welche Schiffe und
       Marinekapazitäten zum Zeitpunkt der Erschütterungen an den jeweiligen Orten
       unterwegs waren, dürfte der Nato-Seeaufklärung bekannt sein, denn die
       Ostsee gehört zu den bestüberwachten Gewässern der Welt. Doch sind noch
       keine Angaben veröffentlicht worden. Genaue Untersuchungen am Meeresboden
       in bis zu 80 Metern Tiefe können nach dänischen Angaben erst unternommen
       werden, wenn das Gas aus den Pipelines geströmt ist.
       
       Wie reagieren die norwegischen Gaslieferanten auf die aktuellen
       Entwicklungen? 
       
       Als Reaktion auf die mutmaßlichen Sabotagehandlungen wurden in Norwegen die
       [3][Maßnahmen zur Sicherheit der Öl- und Gasförderanlagen] sowie der
       Transportinfrastruktur verstärkt. Die Polizei kündigte am Mittwoch die
       erhöhte Präsenz und Bewachung von Gas- und Ölinstallationen an. Dies auch,
       weil man seit längerer Zeit Drohnenaktivitäten in der Nähe einiger Anlagen
       bemerkt habe. Nach Einschätzung von Geir Hågen Karlsen, Forscher an der
       norwegischen Militärhochschule, ist „die norwegische Gasinfrastruktur
       derzeit wahrscheinlich das größte und strategisch wichtigste Sabotageziel
       in ganz Europa“.
       
       Was bedeuten die Lecks für den Schiffsverkehr auf der Ostsee? 
       
       Schweden und Dänemark haben Sperrzonen um die Lecks eingerichtet. Schiffe
       dürfen diese in einem Radius von 5 Seemeilen (knapp 9,3 Kilometer) nicht
       passieren. „Wenn sich Schiffe aus dieser Zone heraushalten, besteht kein
       Risiko für die Besatzung“, sagte ein Sprecher der schwedischen Küstenwache.
       Da so viel Gas in den Leitungen sei, könne es noch eine oder zwei Wochen
       dauern, bis wieder ausreichend Ruhe in der Ostsee herrscht.
       
       Welche Auswirkungen hat das aus den Röhren austretende Gas für die Ostsee? 
       
       Für die Tiere, die sich in unmittelbarer Nähe befinden, kann das
       ausströmende Erdgas zum Tod führen: Wenn sie nicht schnell fliehen können,
       ersticken sie, heißt es von Nadja Ziebarth, die das Meeresschutzbüro des
       BUND leitet.
       
       Hinzu kommt, dass Erdgas vor allem aus Methan besteht. Somit hat das Leck
       nicht nur [4][Auswirkungen auf die lokale Umwelt, sondern auch auf das
       Klima]. Verglichen mit dem Treibhausgas Kohlendioxid kann man sagen, dass
       die Treibhauswirkung von Methan über einen Zeitraum von 100 Jahren 28-mal
       stärker ist als die von Kohlendioxid. Teilweise löst sich das Gas im Meer
       auf, es sprudelt aber auch nach oben. „Sobald das gasförmige Methan über
       die Meeresoberfläche in die Atmosphäre aufsteigt, trägt es massiv zum
       Treibhauseffekt bei“, warnt deshalb Sascha Müller-Kraenner, Chef der
       Deutschen Umwelthilfe.
       
       Was bedeuten die Lecks in den Pipelines für den russischen Eigentümer
       Gazprom? 
       
       Der Betreiber von Nord Stream 2 sprach von einem „Riesenriss“ in der
       Pipeline: Ökonomisch bedeuten die drei Lecks für ihren Eigentümer, den
       russischen Staatskonzern Gazprom, also wahrscheinlich einen Totalschaden.
       Allerdings: Beide Pipelines waren aktuell nicht in Betrieb. Die 1.230
       Kilometer lange Doppelröhre Nord Stream 2 war im vergangenen Jahr zwar mit
       Kosten in Höhe von rund 10 Milliarden Euro fertiggestellt worden. Doch
       setzte die Bundesnetzagentur die Zertifizierung im November wegen des sich
       bereits abzeichnenden Konflikts mit Russland aus.
       
       Bei den etwa parallel verlaufenden Pipelines von Nord Stream 1 wurde die
       erste 2011 in Betrieb genommen, die zweite 2012. Sie sollten laut Gazprom
       Europa mindestens 50 Jahre lang mit Gas versorgen. Investitionskosten
       damals: 7,4 Milliarden Euro. Ende August wurden die bereits gedrosselten
       Lieferungen durch Nord Stream 1 wegen angeblicher technischer Probleme
       komplett eingestellt. Der Westen hielt diese Begründung für vorgeschoben.
       Die Pipeline-Betreiber schlossen eine Reparatur am Mittwoch nicht aus –
       aber wer in Europa kauft jemals wieder Erdgas aus Russland?
       
       Welche Auswirkungen haben die Lecks für die Gasversorgung in Europa? 
       
       Keine, da kein Gas mehr durch die Pipelines kam. Trotzdem laufen die
       Gasspeicher in Deutschland weiter voll. Derzeit erhält Deutschland Erdgas
       über Pipelines aus Norwegen, die Niederlande und Belgien. Die deutschen
       Speicher waren am Mittwoch laut Bundesnetzagentur zu 91,3 Prozent gefüllt.
       Eine weitere Entlastung der Versorgungslage wird für den Jahreswechsel
       erwartet: durch die geplante Inbetriebnahme von drei Terminals an Nord- und
       Ostseeküste zur Anlandung von verflüssigtem Erdgas (LNG).
       
       28 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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