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       # taz.de -- Universitäten in Estland: Kein Zugang für russische Studis
       
       > Estlands Unis nehmen keine russischen und belarussischen Studierenden
       > mehr auf. Ukrainische Studierende werden gefördert.
       
   IMG Bild: Eindeutig positioniert: Die Universität in Estlands zweitgrößter Stadt Tartu
       
       Berlin taz | Keine Woche nach Beginn des [1][russischen Angriffskrieg in
       der Ukraine] entschied der Senat der Universität Tartu in einer
       Sondersitzung, russische und belarussische Student*innen im Schuljahr
       2022/23 nicht willkommen zu heißen. Das fand nicht nur Zuspruch: Über 2.000
       Unterschriften wurden gesammelt, um den Beschluss rückgängig zu machen.
       Vergebens.
       
       Und die Universität Tartu ist nicht allein. Im September hat in Estland das
       neue Universitätsjahr angefangen und es sind inzwischen fünf der sechs
       Universitäten im Land, die keine Student*innen aus Russland und Belarus
       aufnehmen. Im August wurde einzig Inhaber*innen von Pässen dieser
       Länder, die bereits in Estland studieren, ihr Visa für ein Jahr verlängert.
       
       „Wir wollen unsere Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck bringen und
       auch Konflikte zwischen den Studierenden vermeiden“, erklärte Kristi Kerge,
       Leiterin der Abteilung für internationale Zusammenarbeit an der Universität
       Tartu, der taz. Es gebe aber auch praktische Gründe. „Wir wollen nicht
       riskieren, dass Studierende aufgrund von nicht funktionierenden
       Kreditkarten oder Bankproblemen ihre Kost und Logis nicht bezahlen können.“
       Deshalb habe man schon im März eine Entscheidung treffen müssen.
       
       Kerge sieht diese durch die neuen Richtlinien der EU-Außen- und
       Verteidigungsminister bestätigt. „Unsere Universität möchte sich mit den
       anderen demokratischen westlichen Ländern solidarisieren, die ein
       [2][umfassendes Sanktionspaket gegen Russland] und Belarus verhängt haben.
       Unabhängig davon, ob die Student*innen aus Aggressorstaaten für oder
       gegen das Regime stehen.“
       
       ## 2.500 Euro pro Semester für Ukrainer*innen
       
       Nur die estnische Kunstakademie in Tallinn hat dieses Verbot nicht
       verhängt. „Wir haben in diesem Schuljahr vier Student*innen aus Russland
       aufgenommen, die im Frühling erfolgreich die Aufnahmeprüfungen bestanden
       haben“, erzählt der dortige Professor Mart Kalm. Die Aufnahmebedingungen
       seien dabei geändert worden: Wer nach westlichen Werten studieren möchte,
       der dürfe das. Kalm sieht hinter der Entscheidung der meisten estnischen
       Universitäten „eine Art Selbstschutz aus Angst vor einem russischen Angriff
       auch auf die estnische Bevölkerung“.
       
       Auf der anderen Seite fanden bereits im Sommer mehrere Sommerschulen und
       Seminare auf Ukrainisch statt. In diesem Unijahr bilden die
       Ukrainer*innen 35 Prozent der ausländischen Studierenden in Estland – im
       Vorjahr waren es 7 Prozent. Die estnische Regierung stellt dieser Gruppe
       2.500 Euro pro Semester für Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung und
       hat ihnen die Semestergebühren gestrichen.
       
       Das ist keine Selbstverständlichkeit: Anfang September gingen estnische
       Student*innen auf die Straße, um gegen die hohen Lebenskosten und die
       geringe Anzahl von verfügbaren Stipendien im Land zu demonstrieren.
       
       Rund 25 Prozent der estnischen Bevölkerung gehören zur
       [3][russischsprachigen Minderheit]; etwas weniger als zwei Drittel davon
       besitzen entweder einen russischen Pass oder den sogenannten „grauen“ Pass,
       den ehemalige sowjetische Bürger*innen, die weder die russische noch die
       estnische Staatsangehörigkeit haben, erhalten. Die Frage nach dem Umgang
       mit der sowjetischen Vergangenheit, die seit Jahren für Spannungen in
       Estland sorgt, stellt sich nun nochmal verschärft.
       
       Michael Cole, britischer Doktorand an der Universität Tartu, der über
       Identitätsbildung im postsowjetischen Raum forscht, erklärt, dass der
       Alltag aber „viel ruhiger“ sei, als die Medien berichten. „Ukrainer*innen
       und Russ*innen leben friedlich zusammen. Ich glaube nicht, dass
       Ausschreitungen wie im Jahr 2007 ausbrechen.“ Und Cole bedauert auch, dass
       an den Universitäten Inhalte und Lehrprogramme durch den Krieg „stark
       geändert“ wurden.
       
       Auch Kooperationen mit russischen Universitäten wurden seit Anfang März
       ausgesetzt. „Es bleiben nur die Einzelgänger*innen, die ihre
       Kooperationsforschungen auf persönlicher Ebene weiter pflegen“, so Mart
       Kalm von der Kunstakademie Tallinn.
       
       8 Sep 2022
       
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