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       # taz.de -- Verstörende Rede im Bundestag: Rechte entzückt über Wagenknecht
       
       > Sahra Wagenknecht wirft Deutschland einen Wirtschaftskrieg gegen Russland
       > vor. Die Linksfraktion klatscht gemeinsam mit der AfD.
       
   IMG Bild: Sahra Wagenknecht am Donnerstag im Bundestag
       
       Berlin taz | Es war ein Eklat mit Ansage – und ein Affront gegen die eigene
       Partei. Ausgerechnet Sahra Wagenknecht bot die Linksfraktion für die
       Bundestagsdebatte um den Wirtschafts- und Klimaschutzetat als Rednerin auf.
       Und sie lieferte, was von ihr zu erwarten war.
       
       „In Deutschland bahnt sich eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe
       an“, begann Wagenknecht ihre knapp sechsminütige Rede. Von diesem
       Ausgangspunkt aus spannte sie den Bogen: Zunächst bescheinigte die
       Ex-Linksfraktionsvorsitzende der Ampelkoalition eine „völlige
       Rückgratlosigkeit gegenüber den Absahnern und Krisenprofiteuren“ und
       prangerte an, dass es in der Bundesrepublik nicht längst einen
       Energiepreisdeckel und eine Übergewinnsteuer gibt. Das bewegte sich noch
       ganz auf der Linie ihrer Partei.
       
       Doch etwa zur Hälfte ihrer Rede wechselte Wagenknecht über zu [1][ihrem
       Lieblingsthema]: „Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen
       beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten
       vom Zaun zu brechen“, giftete sie in Richtung Regierungsbank – zur Freude
       der heftig applaudierenden AfD. Wenn Deutschland ein Industrieland bleiben
       wolle, dann brauche es russische Rohstoffe und auf absehbare Zeit auch noch
       russische Energie. „Und deshalb Schluss mit den fatalen
       Wirtschaftssanktionen!“, forderte sie. „Verhandeln wir in Russland mit
       Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen!“
       
       Zum Abschluss attackierte Wagenknecht dann noch frontal [2][den grünen
       Wirtschaftsminister Robert Habeck]: „Mag ja sein, dass Ihnen auch egal ist,
       was Ihre deutschen Wähler denken, aber Sie haben nicht das Recht, Millionen
       Menschen, die Sie mehrheitlich nicht gewählt haben, ihren bescheidenen
       Wohlstand und ihre Zukunft zu zerstören“, ereiferte sich Wagenknecht. „Und
       deshalb treten Sie zurück, Herr Habeck, denn Ihre Laufzeitverlängerung, die
       führt mit Sicherheit zum Super-GAU der deutschen Wirtschaft.“
       
       ## Streit schon im Voraus
       
       Die Antworten auf die Rede Wagenknechts folgten prompt. Die „oberste
       Kremllobbyistin“ in dieser Debatte reden zu lassen, sei eine „dumme Idee“
       gewesen, attestierte der unmittelbar nach Wagenknecht ans Pult getretene
       Grüne Felix Banaszak der Linksfraktion. Seine Fraktionskollegin Claudia
       Müller sprach Linksfraktionschef Dietmar Bartsch direkt an: „Dass du die
       einzige Redezeit eurer Fraktion hergegeben hast für eine
       Täter-Opfer-Umkehr, für populistische und falsche Argumente“, das sei auch
       der Linksfraktion „nicht würdig“. Wagenknecht habe [3][einem
       Kriegsverbrecher] das Wort geredet.
       
       Die Mehrzahl der anwesenden Abgeordneten der Linkspartei klatschte
       Wagenknechts Rede hingegen brav bis frenetisch Beifall. Das ist nicht
       verwunderlich. Denn es war nur etwa die Hälfte da – und von den gerade mal
       19 Linksparlamentarier:innen, die Wagenknechts Rede im Plenum verfolgten,
       gehörten die meisten zu ihrer Anhänger:innenschaft, wie beispielsweise
       Sevim Dağdelen oder Klaus Ernst.
       
       Ebenso viele Linke-Abgeordnete fehlten hingegen, darunter fast alle
       scharfen Wagenknecht-Kritiker:innen, die aus Protest gegen die
       Entscheidung, ihre umstrittene Fraktionskollegin sprechen zu lassen, dem
       Auftritt ferngeblieben waren.
       
       Für die Debatte um den Wirtschafts- und Klimaschutzetat hätte es mehrere
       gegeben, die aufgrund ihrer entsprechenden Ausschusstätigkeit als
       Redner:innen in Frage gekommen wären. Dass sich die Fraktionsspitze um
       Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali lieber für Wagenknecht entschieden
       hat, die weder dem Wirtschafts-, dem Klima- oder dem Haushalts- noch sonst
       einem Bundestagsausschuss angehört, hatte schon für Unverständnis und
       Streit auf der Fraktionssitzung am Montag gesorgt.
       
       ## Derbe Kritik von anderen Linken
       
       Doch die Fraktionsführung ließ sich davon nicht beeindrucken und beharrte
       auf Wagenknecht. Bartsch rang ihr nur das Versprechen ab, dass sie nicht
       die Öffnung von Nord Stream 2 fordern werde. Das reichte ihm. Und daran hat
       sie sich auch gehalten. Warum Bartsch dafür war, Wagenknecht sprechen zu
       lassen, konnte er auch auf Nachfrage beim Sommermedientreff der Fraktion am
       Mittwochabend nicht schlüssig beantworten.
       
       Auch ohne die Erwähnung von Nord Stream 2 war Wagenknechts Rede – wie zu
       erwarten – auch und nicht zuletzt eine innerparteiliche Provokation.
       Zahlreiche Linkenpolitiker:innen reagierten denn auch mit empörtem
       Widerspruch.
       
       So twittere etwa Ex-Parteichef Bernd Riexinger: „Die Position der Partei
       für Sanktionen gegen Russland ist auf dem letzten Bundesparteitag
       beschlossen worden. Es gibt keinen ‚Wirtschaftskrieg gegen Russland‘.
       Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Es darf niemals einen Zweifel daran
       geben, auf welcher Seite DIE LINKE steht!“ Ebenso deutlich distanzierten
       sich die Abgeordneten Anke Domscheit-Berg, Caren Lay, Cornelia Möhring,
       Nicole Gohlke, Martina Renner sowie Kathrin Vogler, die als einzige der
       Kritiker:innen während der Rede im Bundestag saß.
       
       „Die Sanktionen gegen Russland könnten übrigens am einfachsten beendet
       werden, wenn Russland seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die
       Ukraine beenden und seine Truppen zurückziehen würde“, twitterte ihr
       Fraktionskollege Pascal Meiser. Diese „einfache Wahrheit“ auszusprechen,
       würde die Glaubwürdigkeit derer deutlich erhöhen, „die den
       ‚Wirtschaftskrieg‘ zwischen dem Westen und Russland aktuell für das größte
       Problem halten, aber selbst keine Vorschläge zur Beendigung des realen
       Krieges parat haben, die über einen russischen Diktatfrieden hinausgehen“.
       
       Besonders derbe fiel die Kritik des früheren Bundesgeschäftsführers Jörg
       Schindler aus, der auf Twitter schrieb, im Bundestag sei nicht der
       demokratisch beschlossene Willen der Linkenmitglieder artikuliert worden.
       Die Linksfraktion habe sich vielmehr „verhalten wie ein arroganter feudaler
       Hofschranzen-Staat“. Die Leipziger Stadträtin und Landtagsabgeordnete Jule
       Nagel forderte den Rausschmiss von Wagenknecht aus der Fraktion.
       
       Nach der Leipziger Demonstration am Montag vergangener Woche glaubten viele
       in der Partei an einen Aufschwung. Doch die Krise geht weiter. Und
       Fraktionschef Dietmar Bartsch steht einfach kompasslos dabei und schaut zu.
       Der Auftritt Wagenknechts und die innerparteilichen Gegenreaktionen zeigen:
       Da geht nicht mehr viel zusammen. Die Spaltung rückt näher. Aber
       möglicherweise ist das auch die einzige Chance, die die Linkspartei
       überhaupt noch hat.
       
       8 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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