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       # taz.de -- Syrische Geflüchtete in der Türkei: Plötzlich Wahlkampfthema
       
       > Viele Syrer, die ihre Heimat verlassen wollen, beginnen ihre Reise aus
       > der Türkei. Dort wachsen Ressentiments gegen Geflüchtete.
       
   IMG Bild: Syrischer Geflüchteter mit einem Karren in den Straßen von Gaziantep in der Türkei
       
       Idlib taz | „Das Land, das einst unsere Heimat war, ist nicht sicher, wir
       können nicht zurückkehren“, sagt Ali Emad. 7.500 Euro hat der Syrer für die
       Überfahrt von der Türkei nach Griechenland gezahlt. „Sie sagen uns, wir
       sollten unser Land wieder aufbauen und bei null anfangen, aber was gibt es
       dort außer Ruinen?“, fragt er.
       
       Ali Emad migrierte von Syrien zunächst in die Türkei, konnte dort aber
       keine Aufenthaltsgenehmigung erlangen. Nun hofft er auf Europa: „Ich habe
       Jura und internationalen Tourismus studiert, aber ich sehe keine Zukunft in
       meiner Heimat. Ich möchte in die Niederlande ziehen und sehen, wie schön
       das Leben sein kann.“ Viele Geflüchtete haben bereits Familie oder Freunde
       in Europa, so wie Ali Emad. Sie schicken ihnen Geld, rufen sie auf, sich
       ihnen dort anzuschließen.
       
       Wie Ali Emad zieht es viele Syrer, die zunächst in die Türkei gegangen
       waren, nun weiter: Die Wirtschaftskrise und die Inflation machen ihnen zu
       schaffen. Außerdem haben rassistische Ausschreitungen gegen in der Türkei
       lebende Syrer zugenommen, es gab Massenschlägereien, syrische Läden wurden
       angezündet.
       
       Im Juni 2023 sollen in der Türkei die Parlaments- und
       Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die syrischen Geflüchteten sind ein
       heißes Thema im Wahlkampf, die Ablehnung der türkischen Bevölkerung wächst.
       Das Land [1][beherbergt mehr als 3,6 Millionen registrierte syrische
       Geflüchtete], die Dunkelziffer dürfte höher liegen.
       
       ## „Ich will nicht zurück nach Syrien, es gibt keine Arbeit dort“
       
       Fayez Rashid, ein anderer aus Syrien Geflüchteter, erzählt: „Ich bin jetzt
       seit 6 Jahren in der Türkei und über die Schmuggelroute dorthin gekommen.
       Ich habe keine Aufenthaltsgenehmigung, immer illegal gearbeitet.“ Nach
       einer Personenkontrolle sei er in ein Abschiebezentrum gebracht worden,
       aus dem er entkommen konnte, erzählt er. „Jetzt verstecke ich mich. Ich
       will nicht zurück nach Syrien, es gibt keine Arbeit dort.“
       
       Über Griechenland und Italien, aber auch über Algerien und Marokko
       versuchen viele Syrer nach Europa zu gelangen – eine gefährliche Route. In
       überladenen Booten werden sie immer wieder von den Küstenwachen der
       Mittelmeerländer aufgegriffen. Dabei kommt es auch zu sogenannten
       Pushbacks, bei denen Menschen, die bereits EU-Gebiet erreicht haben, wieder
       aus diesem hinausgetrieben werden.
       
       „Ich habe versucht, nach Serbien zu gelangen, aber sie haben uns im Wald
       entdeckt und sind mit Hubschraubern gekommen“, erzählt Ramzi Al-Duri. Er
       glaubt, die Bewohner der umliegenden Dörfer hätten die Behörden auf die
       Geflüchteten aufmerksam gemacht. Ein Lagerfeuer im Wald verriet den
       Behörden wohl seinen Standort. Mittlerweile lebt er wieder in Syrien, der
       Druck der Behörden sowie ein Mangel an Geld hätten ihn zum Aufgeben
       gezwungen.
       
       Dass immer wieder Geflüchtete festgesetzt, Opfer von Unterernährung oder
       Gewalt werden, hält viele dennoch nicht ab: Unter dem Namen
       „Friedenskarawane“ sammeln sich in Telegram- und WhatsApp-Gruppen sowie auf
       [2][Facebook] Syrer, die nach Europa gelangen wollen. Manche sollen bereits
       in der Türkei sein, andere ihren Weg in Syrien beginnen.
       
       ## Hunderte stürmten den Grenzübergang Bab-Al-Hawa
       
       So wie [3][letzter Woche Montag], an dem Hunderte zum Grenzübergang
       Bab-Al-Hawa, der Syrien und die Türkei verbindet, eilten. Er liegt in der
       Provinz Idlib, die hauptsächlich von der militanten Miliz Hayat Tarier
       asch-Scham (HTS) kontrolliert wird. Der Versuch der Gruppe, die Grenze zu
       überqueren, scheiterte – Kräfte der HTS drängten sie unter Gewaltanwendung
       zurück. Lokale Medien berichteten, dass dabei auch Journalisten und
       Kameraleute angegriffen worden seien.
       
       „Aufgrund der schlechten Bedingungen und des geringen Einkommens sind
       selbst die Gebildeten gezwungen, auf der Suche nach besseren Möglichkeiten
       wegzugehen“, sagt einer, der den Grenzübertritt versuchte. „Wir haben hier
       kein Leben“, fügt er hinzu.
       
       21 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.unhcr.org/tr/en/refugees-and-asylum-seekers-in-turkey
   DIR [2] https://www.facebook.com/ا&%23x644;&%23x647;&%23x62c;&%23x631;&%23x629;-&%23x625;&%23x644;&%23x649;-&%23x627;&%23x648;&%23x631;&%23x628;&%23x627;-&%23x662;%D9%A0&%23x662;&%23x662;-&%23x62a;&%23x62c;&%23x645;&%23x639;-&%23x627;&%23x644;&%23x639;&%23x631;&%23x628;-&%23x648;&%23x627;&%23x644;&%23x633;&%23x648;&%23x631;&%23x64a;&%23x64a;&%23x646;-110902665078620/photos
   DIR [3] https://www.middleeasteye.net/news/syria-turkey-militants-attack-protest-convoy-europe
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Muhammad Al-Hosse
       
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