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       # taz.de -- Neue Rufbusse in Berlin: Jetzt kommt der Muva
       
       > Mit dem Ridepooling-Service „Muva“ will die BVG Barrierefreiheit und
       > Komfort bieten – aber nicht die Fehler des „BerlKönigs“ machen.
       
   IMG Bild: So sieht's aus: das, pardon: der Muva
       
       Berlin taz | Ist der Fahrstuhl zur U-Bahn mal wieder kaputt, und Sie sind
       auf ihn angewiesen? Kein Problem: Spätestens in 10 Minuten kommt ein
       kleiner schwarzer Minibus angerollt, der Sie zum nächsten Bahnhof bringt,
       wo der Lift funktioniert. Das zumindest ist das Versprechen des neuen
       Ridepooling-Angebots der BVG, das am heutigen Donnerstag unter dem Namen
       „Muva“ den Betrieb aufnimmt.
       
       „Muva“ klingt wie die berlinische Version von „Mover“ (schließlich werden
       hier Menschen bewegt) und kommt wohl aus derselben Wortschmiede wie die App
       „Jelbi“, die auf die Markenfarbe der BVG anspielt. Wie auch immer, das
       Versprechen, das die BVG mit dem neuen Service macht, ist alles andere als
       trivial: Es geht um einen enormen Schritt in Richtung Barrierefreiheit,
       aber auch Komfort, zwei Grundbedingungen, damit die Verkehrswende
       funktionieren kann. „Mobilität für alle, jederzeit und überall in Berlin“,
       wie es BVG-Chefin Eva Kreienkamp bei der Vorstellung des Dienstes
       ausdrückte.
       
       Das Angebot ist ein doppeltes: Als „Aufzugersatz“ werden die kleinen
       Rufbusse U- und S-Bahn-Stationen bedienen, bei denen der Aufzug klemmt –
       oder die noch immer keinen haben. Unter dem Motto „Flexible Fahrt“ kommen
       sie dagegen im Osten der Stadt zum Einsatz, wo immer noch große Lücken
       zwischen den Bahnhöfen und Haltestellen klaffen: Das Gebiet, das bedient
       wird, reicht von Rummelsburg bis zur Stadtgrenze bei Hoppegarten, und von
       Biesdorf bis kurz vor Köpenick.
       
       Die „Muvas“ werden für die BVG vom Dienstleister Via betrieben. [1][Wie
       beim früheren Ridepooling-Angebot „Berlkönig“] errechnet ein Algorithmus
       bei entsprechend hoher Nachfrage kombinierte Fahrten für mehrere Fahrgäste.
       Gerufen werden die Kleinbusse per App oder Telefon. In jedem Fall soll es
       möglich sein, ein Fahrzeug zu buchen, das auch einen größeren Rollstuhl
       aufnehmen kann. „Beim Fahrtanlass ‚Flexible Fahrt‘ wird sichergestellt,
       dass eine Person mit Mobilitätseinschränkung vergleichbare
       Beförderungsmöglichkeiten wie ein*e Fuß- gänger*in“ hat, so lautet der
       Anspruch, den die BVG an sich selbst formuliert.
       
       Der Aufzugersatz-Service beschränkt sich bis Ende 2023 auf die U8, einen
       kleinen Teil der U5 – zwischen Frankfurter Allee und Tierpark – und die
       beiden S-Bahnhöfe Attilastraße und Marienfelde. Letzerer ist einer der
       wenigen verbliebenen Berliner S-Bahn-Halte ohne Fahrstuhl. Auf der U8 gibt
       es insgesamt noch sieben Bahnhöfe ohne Aufzug, unter anderem
       Schönleinstraße, Moritzplatz und Heinrich-Heine-Straße. Ab 2024 soll dann
       das komplette Stadtgebiet bedient werden, bis dahin wolle man aus dem
       Nutzungsverhalten lernen, heißt es aus der BVG.
       
       ## Immer noch nicht barrierefrei
       
       Eigentlich müsste der Berliner Nahverkehr gemäß der
       UN-Behindertenrechtskonvention [2][seit diesem Jahr komplett barrierefrei]
       sein – tatsächlich sind aber allein bei der U-Bahn erst rund 80 Prozent der
       Bahnhöfe per Aufzug oder Rampe erreichbar. Die BVG verweist auf lange
       Genehmigungsverfahren und teils beachtliche bauliche Herausforderungen.
       Aktuell zielt die Planung auf Ende 2024. Zuletzt ging ein Lift im Bahnhof
       Birkenstraße (U9) in Betrieb, an zehn weiteren Stationen ist ein solcher im
       Bau – darunter die Bahnhöfe Schlesisches Tor, Rathaus Schöneberg, Seestraße
       und Platz der Luftbrücke.
       
       Laut BVG-Sprecher Jannes Schwentu liegt die Verfügbarkeit der Aufzüge des
       Unternehmens „sehr konstant zwischen 98 und 99 Prozent, der Großteil der
       Störungen ist also binnen kurzer Zeit behoben“. Gemeint seien damit „wenige
       Stunden“, so Schwentu. Freilich nutzt auch das einem Fahrgast nichts, der
       unerwartet vor verschlossenen Türen steht.
       
       Das Rufbus-Projekt „BerlKönig“, das 2018 gestartet war und die östliche
       Innenstadt bediente, endete im vergangenen Juli. Die Kritik an dem
       ebenfalls von Via betriebenen Dienst zielte vor allem darauf ab, dass er
       ein weiteres Zusatzangebot für die schon gut versorgte Innenstadt
       darstellte, während die Mobilität vor allem in den Außenbereichen
       verbesserungswürdig sei. Der Senat war dann auch nicht gewillt, den
       BerlKönig länger am Leben zu erhalten, zumal das – angeblich – bei einer
       Ausweitung auf die gesamte Stadt über 40 Millionen Euro im Jahr gekostet
       hätte.
       
       Was die Kosten für „Muva“ betrifft, hält sich die BVG bedeckt. Man verweist
       darauf, dass der Service im Rahmen des mit dem Land abgeschlossenen und
       ausfinanzierten Verkehrsvertrags angeboten werde. Im Fall der „Flexiblen
       Fahrt“ müssen die KundInnen auch selbst etwas zu ihrem gültigen VBB-Ticket
       dazuzahlen: 1,50 Euro (bzw. 0,50 Euro für Mitfahrende), wenn es nur zum
       nächstgelegenen Bahnhof geht, oder aber 1,50 Euro pro Kilometer, wenn man
       sich direkt zu einer Wunschadresse innerhalb des Servicegebiets fahren
       lässt. Dabei halten die Busse nicht unbedingt vor der Haustür, sondern an
       insgesamt 4.000 definierten „Haltepunkten“.
       
       Jens Wieseke, Sprecher des Fahrgastverbands IGEB, kann über das Angebot
       „nicht so viel Negatives sagen“, skeptisch bleibt er trotzdem: Er vermisse
       „ein stabiles 10-Minuten-Angebot für alle Berliner Ortsteile zu normaler
       Uhrzeit“. Wieseke findet auch, dass die BVG sich erst einmal „ums
       Kerngeschäft kümmern“ sollte. „Bevor Mittel für ein Nice-to-Have ausgegeben
       werden, muss der Normalbetrieb wiederhergestellt sein.“ Die U-Bahn etwa
       fahre seit Jahren nach einem abgespeckten Notfahrplan, weil FahrerInnen
       fehlten. „Dann müssen eben Stellen ausgeschrieben werden“, fordert der
       IGEB-Sprecher.
       
       15 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aus-fuer-BerlKoenig/!5869695
   DIR [2] https://www.bvg.de/de/service-und-kontakt/barrierefrei-unterwegs/faq
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
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