# taz.de -- Niedersachsen vor der Wahl: Mittelalte Männer mit Macht
> Niedersachsen? Kam von dort nicht eine Politikerschwemme über Berlin? Der
> Mechanismus dahinter ist vor allem ein Problem für Frauen.
IMG Bild: Niedersachsen-Erfahrung: Außenministerin Baerbock und EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen
Hannover taz | Neben Schweinenackensteaks und abgasmanipulierten
Mittelklassewagen waren sie einst der Exportschlager Niedersachsens: Männer
mit Machtambitionen im mittleren Alter. Es gab eine Zeit, da besetzten
auffällig viele Niedersachsen wichtige Positionen in Berlin. Allen voran
natürlich Gerhard Schröder, der in der Hauptstadt als Lobbyist eine große
Karriere machte.
Manch einem mag hier schon ein Fehler aufgefallen sein. Denn Schröder ist
kein gebürtiger Niedersachse. Er wuchs in armen Verhältnissen in
Nordrhein-Westfalen auf, erarbeitete sich den Weg zum Jurastudium an der
Uni Göttingen, wurde Sozialdemokrat und schlug später Wurzeln in Hannover.
Dort wurde er Ministerpräsident. Das reicht dicke, um als Niedersachse
durchzugehen, auch wenn ihm heute manche die eine oder andere Zugehörigkeit
gern wieder absprechen wollen.
Als er Kanzler wurde, nahm sich Schröder seinen engen Mitarbeiter
[1][Frank-Walter Steinmeier] (SPD) aus Hannover mit nach Berlin. Gebürtig
zwar ebenfalls Nordrhein-Westfale, zeigte Steinmeier auf dem Weg durch die
Kabinette bis zum Schloss Bellevue eine niedersächsische Kernkompetenz:
Sturmfestigkeit. Der Skandal um den Bremer Murrat Kurnaz, der beinahe fünf
Jahre lang unschuldig in Guantánamo festgehalten wurde, blieb für ihn ein
laues Lüftchen. Dabei soll es insbesondere der damalige Kanzleramtschef
Steinmeier gewesen sein, der sich gegen eine Freilassung Kurnaz’
ausgesprochen hatte und damit seine Haftzeit unnötig verlängerte. Gegenüber
dem Spiegel sagte er später: „Ich würde mich heute nicht anders
entscheiden.“
Steinmeier ist wohl derjenige mit dem kräftigsten politischen Sitzfleisch.
Aber die Liste lässt sich lange fortsetzen, natürlich mit [2][Sigmar
Gabriel] (SPD) und [3][Christian Wulff] (CDU); aber auch der 2020
verstorbene [4][Thomas Oppermann] (SPD), Jürgen Trittin (Grüne), der
ebenfalls verstorbene Peter Struck (SPD) und nicht zu vergessen Philipp
Rösler (FDP) gehören als ehemalige Bundesminister oder Fraktionschefs auf
diese Liste.
## Exilpolitiker schüren Misstrauen
Manch einen hat die frühere Ballung niedersächsischer Exilpolitiker in den
verschiedenen Regierungen misstrauisch gemacht. Von der
„Hannover-Connection“ war zu lesen. Noch heute gibt es diese Vorstellung in
den Köpfen von Menschen, die nicht aus dem Bundesland zwischen Harz und
Nordsee stammen. Gerade im Landtagswahlkampf kommt sie wieder hervor.
Das ist kein Wunder, denn all diese Geschichten hatten so schön viel
Skandalpotenzial. Filzig, klebrig, Niedersachsen: Auch Unternehmer Carsten
Maschmeyer mischte damals mit und suchte sich gute Freunde in der Politik,
Gefälligkeiten inklusive. Man traf sich auf Sommerfesten und in der
VIP-Lounge von Hannover 96. Zeitlich spielte all das nach der
Veröffentlichung des im Kern niedersächsischen Werks „How much is the fish“
von Scooter-Frontsänger H. P. Baxxter – noch so ein deckhaargefärbter Mann
aus der niedersächsischen Provinz, der die große Bühne suchte.
Eine Ballung niedersächsischer Politiker in Machtpositionen gibt es heute
nicht mehr – in die vielen Schlagzeilen um die [5][„Maschsee-Mafia“] wurde
längst Fisch eingewickelt. Einzig Hubertus Heil (SPD) aus dem Wahlkreis
Gifhorn/Peine ist als Arbeitsminister Teil des aktuellen Kabinetts.
Schröder war ein Mann mit Macht, der sich andere Männer mit Macht an seine
Seite geholt hat. Die wiederum haben gerne mit anderen Männern
zusammengearbeitet, die sie schon von Kaminabenden oder in Niedersachsen
vielleicht vom Kohlessen kannten.
Es ist ein Mechanismus, der phasenweise nicht nur viele Niedersachsen an
die Macht spült, sondern dauerhaft auch wenig Frauen an die Spitze. Männer
fördern andere Männer – es sei denn, Werkzeuge wie eine paritätische Quote
für Wahllisten und Ämter verhindern dies.
## Von der Leyen war auf Ochsentour in Niedersachsen
So fehlt in der damaligen Liste nur der Name einer einzigen Frau, die bis
heute deutschlandweit bekannt ist. Ursula von der Leyen (CDU) hat in
Niedersachsen die politische Ochsentour durchgezogen, bevor ihre
politischen Ämter immer wichtiger wurden. Wie es besser geht, zeigen
aktuell vor allem die Grünen. Aus einer Partei, für die es
selbstverständlich ist, dass Frauen mindestens die Hälfte der Macht
zusteht, kommen starke Politikerinnen. Annalena Baerbock ist in
Niedersachsen aufgewachsen, bevor es sie nach Hamburg und Berlin gezogen
hat. Das reicht dicke für den Platz auf einer neuen Liste.
8 Oct 2022
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## AUTOREN
DIR Andrea Maestro
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