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       # taz.de -- Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl: Niedersachsens next Landesvati
       
       > In Niedersachsen kämpfen zwei Technokraten um die Macht. Viel Charisma
       > wird keinem von beiden nachgesagt. Aber das ist in der Krise auch nicht
       > gefragt.
       
   IMG Bild: Zum Verwechseln ähnlich: Bernd Althusman (CDU) und Stephan Weil (SPD)
       
       Hannover taz | Es gibt diese Szene am Rande des großen
       [1][CDU-Wahlkampfauftaktes in Osnabrück], die ein NDR-Team eingefangen hat.
       Der Reporter streckt einer älteren Dame im Publikum das Mikro hin, die an
       ihrem Rollator CDU-Wahlkampfwerbung befestigt hat, und sie sagt: „Na ja,
       ich bin ja nicht so für Wechsel. Der hat das ja auch ganz gut gemacht, der,
       ähm, unser Vati – von der SPD. Aber Althusmann wird das sicher auch gut
       machen.“ Das ist vermutlich der Punkt, an dem man es geschafft hat als
       Ministerpräsident – wenn man selbst von den Anhängern der anderen Partei
       als „Landesvati“ angenommen wird.
       
       Seit zehn Jahren regiert [2][Stephan Weil (SPD)] Niedersachsen, unauffällig
       und effizient, wie es seine Art ist. 2012 wurde er als Landesvorsitzender
       und Spitzenkandidat aufgestellt, nachdem er sich in einem
       Mitgliederentscheid gegen den eigentlich charismatischeren und rhetorisch
       begabteren Olaf Lies (SPD) durchgesetzt hatte. Der ist in die zweite Reihe
       zurückgetreten und spielt für Weil auf eine Art und Weise den Ausputzer,
       die man in der Politik auch nicht oft sieht.
       
       Der 63-jährige Weil hat sich über Jahrzehnte nicht nur in der Partei eine
       optimale Vernetzung erarbeitet, sondern auch eine rätselhafte Fähigkeit
       entwickelt, Skandale gar nicht erst an sich herankommen zu lassen.
       
       Als sein unglücklicher Nachfolger im Amt des Oberbürgermeisters von
       Hannover, Stefan Schostock (SPD), nach einer [3][monatelangen Affäre über
       unberechtigte Gehaltszulagen für enge Mitarbeiter] aus dem Amt gejagt
       wurde, verstand man das auch als Abrechnung mit dem 75 Jahre währenden
       SPD-Filz im Rathaus. Dass Weil daran in neun Jahren als Kämmerer und sieben
       Jahren als Oberbürgermeister in irgendeiner Art und Weise daran Teil gehabt
       haben musste, war dem öffentlichen Gedächtnis aber schnell wieder
       entfallen. Er war halt rechtzeitig weg und generell zu klug, sich dumme
       Fehler nachweisen zu lassen.
       
       ## Althusmann setzt auf Mimikry
       
       Auch der VW-Skandal schadete ihm kaum: In dessen Verlauf soll seine
       Staatskanzlei zwar eine Rede zur Abstimmung an VW geschickt haben, aber
       Weil bügelte das ab, in dem er so tat, als ginge es nur um ein paar kleine
       juristische Fisimatenten. Und als in seinem Umfeld Aufträge allzu
       freihändig vergeben wurden? Achselzucken, da steht er drüber. Nichts bleibt
       kleben an Stephan Weil.
       
       Ein schwerer Stand für seinen Herausforderer Bernd Althusmann von der CDU.
       Der versucht es offenbar mit Mimikry. Im einzigen TV-Duell des Wahlkampfes
       sehen sie sich jedenfalls rein optisch zum Verwechseln ähnlich in ihren
       dunkelblauen Anzügen, hellen Hemden und blauen beziehungsweise blaugrauen
       Krawatten und ihrer ganzen Landesvatihaftigkeit.
       
       Fünf Jahre lang haben sie gemeinsam regiert, das macht eine klare
       Abgrenzung schwierig: Was immer Althusmann an Weil kritisiert, fällt auch
       auf ihn selbst zurück. Weil Schwarz-Gelb den Umfragezahlen nach keine
       Option ist, versucht er das seltsame Kunststück, einerseits das
       konservative Profil zu schärfen und gleichzeitig immer mal wieder einen
       halben Schritt auf die Grünen zuzumachen. Immerhin hat er es damit
       tatsächlich geschafft, die CDU bis auf – je nach Umfrage – drei oder vier
       Prozentpunkte an die SPD heranrücken zu lassen.
       
       Wie Weil ist der 55-jährige Althusmann eher Technokrat als Volkstribun,
       zwar kann er mit seiner schönen, tiefen Stimme auch wuchtige Reden halten –
       die begeistern aber eher seine Anhänger als die großen Massen. Wenn
       Spontanität und Schlagfertigkeit gefragt sind, stolpert der nachdenkliche
       Althusmann oft.
       
       ## Panzer ohne Bürgernähe
       
       Anders als Weil fällt es ihm auch nicht so leicht, in kleiner Runde zu
       punkten. Während Weil hier oft als freundlich und zugewandt wahrgenommen
       wird, haderte Althusmann lange mit einem Image, das ihn als eher hüftsteif
       und distanziert beschreibt – bis hin zu dem unsäglichen Spitznamen „Panzer“
       in Anspielung auf seine militärische Vergangenheit als Kompaniechef der
       Panzertruppe und Hauptmann der Reserve.
       
       Er hat hart daran gearbeitet, zugänglicher und wärmer zu wirken, spricht
       auch in diesem Wahlkampf gern von seiner jüngsten Tochter, die am Wahltag
       ihren zwölften Geburtstag feiern wird und Tischlerin oder Polizistin werden
       möchte. Oder von seinem 2004 verstorbenem Vater, dessen Pflege in den
       letzten Jahren dankenswerterweise seine Mutter übernommen habe, weil seine
       – zu diesem Zeitpunkt noch junge, zweite – Familie, das nicht auch noch
       habe leisten können. Althusmann ist in zweiter Ehe verheiratet, hat zwei
       Kinder aus erster und eines aus zweiter Ehe, seine aktuelle Frau hat
       ebenfalls zwei Kinder in die neue Patchworkfamilie eingebracht.
       
       Dass in diesem Wahlkampf Bildungsthemen hinten runterfallen, weil die
       Energiekrise alle Aufmerksamkeit verschlingt, trifft ihn nicht nur aus
       familiären Gründen: Althusmann hat Pädagogik studiert und war unter Wulf
       und dessen Nachfolger David McAllister Kultusminister, das Thema liegt ihm
       am Herzen – anders als Weil, der dieses Feld eher stiefmütterlich behandelt
       und seinen längst erwachsenen Sohn nur beiläufig erwähnt.
       
       In der Riege der niedersächsischen Spitzenpolitiker ist Althusmann im
       Übrigen der Einzige, der zumindest einen Hauch von Weltläufigkeit
       verströmt. Drei Jahre lang lebte er mit seiner Familie in Windhoek und
       stand der Konrad-Adenauer-Stiftung für Namibia und Angola vor – allerdings
       auch nur, weil ihn die Niedersachsenwahl 2013 ziemlich unrühmlich nicht nur
       aus dem Ministeramt, sondern auch gleich noch aus dem Parlament gekegelt
       hatte.
       
       ## Säuft die FDP ganz ab?
       
       Damals wurde die CDU unter McAllister monatelang als Umfrage-Favorit und
       voraussichtlicher Wahlsieger gehandelt, erst zu sehr später Stunde stand
       fest, dass Rot-Grün eine knappe Mehrheit erreicht hatte – eine demütigende
       Schlappe, die McAllister vor der laufenden Kamera der „Tagesthemen“
       entgegennehmen musste.
       
       Der einst als charismatische Nachwuchshoffnung der CDU gehandelte
       Vollblutpolitiker verschwand danach ziemlich bald Richtung Brüssel. Aber
       nicht ohne vorher noch Althusmann aus dem afrikanischen Exil zurückzuholen.
       Der ging 2017 erneut als Favorit ins Rennen gegen Weil – bis der Wechsel
       der Grünen Elke Twesten zur CDU für Minuspunkte sorgte.
       
       Twesten zerlegte damals die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit des ersten
       Kabinetts unter Weil aus persönlicher Enttäuschung, weil sie für ihren
       Wahlkreis nicht wieder aufgestellt worden war. Dass die CDU sie mit offenen
       Armen aufnahm, nahmen ihr viele Wähler übel. Bei den vorgezogenen Neuwahlen
       im Oktober 2017 wurde die CDU dafür abgewatscht. Weil gewann erneut, musste
       sich jedoch auf die ungeliebte Große Koalition einlassen.
       
       Diese Vernunftehe geht nun zu Ende. Eine Neuauflage will Weil nicht,
       Althusmann schon, aber am liebsten unter seiner Führung. Zwischenzeitlich
       liebäugelte er auch mit einer schwarz-grünen Koalition – die gilt
       allerdings als noch unwahrscheinlicher, vor allem, nachdem Althusmann im
       Wahlkampf nicht nur auf Atomstrom und Förderschulen setzte und damit grünen
       Herzensthemen widersprach, sondern auch noch versuchte, die
       Niedersachsenwahl zur Volksabstimmung über die Ampel im Bund
       umzufunktionieren. Mit Großplakaten auf denen steht: „Die Ampel kostet.
       Rot-Grün noch mehr.“, machte sich die niedersächsische CDU bei keinem der
       potenziellen Koalitionspartner beliebt.
       
       Selbst aus der FDP – in Sachen Atomkraft und Förderschulen treu an der
       Seite der CDU – sind jetzt Absetzbewegungen zu bemerken: „Bei allem
       Respekt: Bernd Althusmann wird nicht Ministerpräsident werden“, twitterte
       der niedersächsische FDP-Generalsekretär Konstantin Kuhle acht Tage vor der
       Wahl. Die große Frage bleibt allerdings, ob seine Partei dabei überhaupt
       mitstimmen darf: Die FDP liegt in den Umfragen sehr dicht an der
       Fünfprozenthürde.
       
       7 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/CDU-Wahlkampfauftakt-Merz-kaempft-mit-Althusmann-in-Osnabrueck,hallonds75312.html
   DIR [2] /Wahlkampf-in-Niedersachsen/!5884734
   DIR [3] /Untreue-Vorwuerfe-erneut-vor-Gericht/!5782271
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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