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       # taz.de -- Übergriff der Berliner Polizei: Faeser sieht keinen Rassismus
       
       > Die Innenministerin verteidigt die Aussagen eines Beamten. Berlins
       > Justizsenatorin hofft, dass solche Einsätze wegen Schwarzfahrens obsolet
       > werden.
       
   IMG Bild: Bundesinnenministerin Faeser (SPD) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz
       
       Berlin taz | Der massive Polizeieinsatz in der Wohnung eines syrischen
       Ehepaars in Lichtenberg schlägt weiter hohe Wellen. Bundesinnenministerin
       Nancy Faeser (SPD) erklärte am Mittwoch, sie empfinde [1][die Äußerung des
       Polizisten Jörg K.] „nicht als Rassismus“.
       
       Natürlich gebe es in Deutschland Rassismus, auch bei der Polizei, so Faeser
       bei einer Pressekonferenz in Berlin, während der sie auch zu diesem,
       vergangene Woche bekannt gewordenen Vorfall befragt wurde. Wenn sich ein
       Polizist im Ton vergreife, dann werde das nicht geduldet, so Faeser. Man
       müsse generell aber Verständnis haben, wenn Polizistinnen und Polizisten
       deutliche Worte wählten, wenn sie durchgreifen müssten. Damit positioniert
       sich die Innenministerin ganz anders als SPD-Innenpolitiker in Berlin und
       auch als Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke).
       
       [2][In einem Video, das Ausschnitte des Polizeinsatzes zeigt, der am 7.
       September stattgefunden hat], ist zu sehen und hören, wie der Beamte die
       syrische Ehefrau anschnautzt: „Das ist mein Land, und Du bist hier Gast.“
       Und später noch mal, an den syrischen Ehemannn gewandt: „Du bist hier in
       unserem Land. Und nach unseren Gesetzen habt Ihr euch zu verhalten.“ Grund
       für den Polizeieinsatz war offenbar das wiederholte Fahren ohne Ticket des
       Mannes.
       
       Laut Justizsenatorin Kreck könnten die Äußerungen aufgrund der
       rassistischen Zuschreibung und der ethnischen Herkunft eine Diskriminierung
       darstellen, wie sie am Mittwoch im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses
       erklärte. Sie habe keine eigenen Erkenntnisse über den Polizeieinsatz und
       kenne nur das veröffentlichte Video sowie die Presseberichte. Sie legte der
       betroffenen Familie nahe, sich an die unabhängige LADG-Ombudsstelle des
       Landes Berlin zu wenden.
       
       Diese Stelle, die sich mit Beschwerden auf Grundlage des
       Antidiskriminierungsgesetzes des Landes beschäftigt, habe vielfältige
       Erfahrungen mit Kritik an der Polizei. Von rund 100 bei der Ombudsstelle
       eingegangenen gegen Polizisten gerichtete Beschwerden, so Kreck, betreffe
       fast die Hälfte diskriminierendes und herabwürdigendes Verhalten. Deshalb
       könne der aktuelle Vorfall „nicht bloß als Einzelfall bewertet werden“.
       
       ## Linke: „Strukturelles Problem bei der Polizei“
       
       Die Linkenpolitiker Ferat Kozak und Niklas Schrader hatten in den
       vergangenen Tagen mit Blick auf den Vorfall von einem strukturellen Problem
       bei der Polizei Berlin gesprochen. [3][Dafür waren sie von
       Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) und der Gewerkschaft der Polizei
       massiv kritisiert worden.] Aber auch Akmann hatte das Verhalten des Beamten
       kritisiert. „Das Video zeigt sehr deutlich, dass sich der Beamte
       fremdenfeindlich äußert und verhält“, erklärte er [4][am Montag im
       Innenausschuss]. Der Vorfall werde lückenlos aufgeklärt, ein solches
       Verhalten sei „absolut inakzeptabel, so einen Polizeibeamten wollen wir
       nicht“.
       
       Der Fall hat aber noch eine Facette, die in der Berichterstattung bisher
       kaum Beachtung fand. Grund des Polizeieinsatzes war, einen Haftbefehl gegen
       den Ehemann zu vollstrecken. Wegen Erschleichens von Leistungen –
       umgangssprachlich Schwarzfahren – war er zu einer Geldstrafe von 750 Euro
       verurteilt worden, die er offenbar nicht bezahlt hatte. „Es handelte sich
       wohl um die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe“, stellte Kreck im
       Rechtsausschuss fest.
       
       Fahren ohne Fahrschein gilt in Deutschland als Straftat, wenn man binnen
       von zwei Jahren dreimal ohne Ticket erwischt wird. Die Ampelkoalition im
       Bund war mit der Ankündigung angetreten, untersuchen zu wollen, ob der
       Straftatbestand nicht auf eine Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden kann.
       
       Menschen, die Ersatzfreiheitsstrafen wegen Schwarzfahrens verbüßen, weil
       sie ihre Geldstrafen nicht bezahlt haben, machen seit langem einen Großteil
       der Berliner Gefängnisinsassen aus. Zumeist handelt es sich um sozial
       Benachteiligte, die ein Drogenproblem haben, aus der Obdachlosigkeit kommen
       oder psychisch krank sind.
       
       Ein erster Schritt zur Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafen könnte der
       [5][von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor der Sommerpause
       eingebrachte Referententwurf sein]. Kreck verwies am Mittwoch im
       Rechtsausschuss auf die in dem Entwurf vorgesehene Anpassung des
       Umrechnungsmaßstabs. Bislang galt: 1 Tagessatz gleich 1 Tag Knast.
       Vorgesehen sind nun 2 Tagessätze gleich 1 Tag Knast. [6][Sie werde sich
       weiter für eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens einsetzen], sagte
       Kreck und betonte zugleich, der Entwurf gehe in die richtige Richtung.
       
       Unabhängig davon gibt es eine Berliner Besonderheit, Kreck verwies am
       Mittwoch darauf: Der rot-rot-grüne Vorgängersenat mit Dirk Behrendt (Grüne)
       als Justizsenator hatte 2021 eine Neufassung der Berliner
       Tilgungsverordnung beschlossen. Um die Ersatzfreiheitsstrafe im Vorfeld
       leichter tilgen zu können, wurde die Regelarbeitszeit für soziale Arbeit
       von sechs auf vier Stunden – pro 1 Tag Knast – gesenkt.
       
       Ausbauen wolle sie nun das sogenannte „Day by Day“-Programm, sagte Kreck.
       Verurteilte Personen, die ihre Ersatzfreiheitsstrafe bereits verbüßen,
       können diese im Rahmen von „Day-by-Day-Maßnahmen“ während des Strafvollzugs
       tilgen. Möglich war dies bisher aber nur in der JVA für Frauen und in der
       JVA-Plötzensee für Männer. Kreck kündigte an, „Day by Day“ in allen
       Berliner Haftanstalten umzusetzen.
       
       Was den aktuellen Fall des Syrers betrifft, musste die Justizsenatorin am
       Ende ihres Vortrag aber eingestehen: „Da scheinen die Maßnahmen nicht
       gegriffen zu haben.“
       
       22 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polizeiproblem-in-Berlin/!5878147
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   DIR [5] /Ersatzfreiheitsstrafen-in-Deutschland/!5862399
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       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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