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       # taz.de -- „Fratelli d'Italia“ werden stärkste Kraft: Klarer Rechtsruck in Italien
       
       > Das Rechtsbündnis siegt bei der Parlamentswahl in Italien. Giorgia Meloni
       > und ihre „Fratelli d'Italia“ können eine ultrarechte Regierung bilden.
       
   IMG Bild: Dürfte die nächste Regierung Italiens bilden: Georgia Meloni von den „Fratelli d'Italia“
       
       Rom ap/afp | Bei der Parlamentswahl hat sich nach vorläufigen Ergebnissen
       das Lager der radikalen Rechten durchgesetzt. Stärkste Kraft wurden die
       Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) um [1][Giorgia Meloni], die nun Chefin
       der ersten ultrarechten Regierung in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg
       werden könnte. Während ihre Verbündeten in Europa jubelten, [2][blicken
       viele mit Sorge nach Rom.]
       
       Dort bemühte sich Meloni in ihrer Siegesrede in der Parteizentrale ihrer
       Fratelli um einen gemäßigten Ton. Sollte sie mit der Bildung der nächsten
       Regierung beauftragt werden, werde sie danach streben, das Land zu einen,
       erklärte Meloni. „Wenn wir dazu aufgerufen werden, diese Nation zu
       regieren, dann werden wir es für alle tun, wir werden es für alle Italiener
       tun und wir werden es mit dem Ziel tun, die Menschen (dieses Landes)
       zusammenzubringen.“ Dies sei die Zeit, verantwortungsbewusst zu sein,
       ergänzte Meloni. Für Italien und die Europäische Union sei die Lage aktuell
       „besonders komplex“.
       
       Zugleich machte Meloni deutlich, dass sie den Auftrag zur Bildung einer
       neuen Regierung bei sich sieht. „Italien hat uns gewählt“, betonte die
       45-Jährige. Man werde das Land nicht verraten. Das Mandat zur
       Regierungsbildung müsste nun Staatspräsident Sergio Mattarella erteilen.
       
       Mehr als 20 Prozentpunkte Stimmenzuwachs 
       
       Für die Wahl am Sonntag ging Melonis Partei eine Allianz mit der
       rechtspopulistischen Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und der
       konservativen Forza Italia des früheren Ministerpräsidenten Silvio
       Berlusconi ein. Hochrechnungen zufolge kamen die Fratelli d'Italia auf rund
       25,7 Prozent der Stimmen – nach 4,4 Prozent bei der letzten Wahl vor vier
       Jahren. Salvinis Lega erhielt diesmal 8,6 Prozent der Stimmen – also fast
       weniger als die Hälfte des Stimmenanteils von 2018. Forza Italia lag bei
       rund acht Prozent. Der ärgste Rivale der Fratelli, der sozialdemokratische
       Partito Democratico des ehemaligen Ministerpräsidenten Enrico Letta, kam am
       Sonntag auf rund 19,3 Prozent der Stimmen.
       
       Melonis Partei hat Wurzeln in der neofaschistischen Bewegung. Einer der
       Mitgründer wurde gesehen, wie er auf einem Begräbnis den faschistischen
       Gruß zeigte – was er bestritt. Im Wahlkampf hat Meloni versichert, sie sei
       „keine Gefahr für die Demokratie“. Sie hat die Brüsseler EU-Bürokratie
       kritisiert und den rechtsnationalen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor
       Orbán verteidigt, nachdem die EU-Kommission empfohlen hatte, Ungarn wegen
       demokratischer Defizite und Korruptionsvorwürfen mehrere Milliarden Euro zu
       sperren.
       
       Mitte-Links-Bündnis bei 26 Prozent 
       
       Streitpunkt in einer rechten Regierung könnte die Politik im Ukrainekrieg
       werden. Meloni unterstützt Waffenlieferungen an die Ukraine, damit sich das
       Land gegen russische Truppen verteidigen kann. Ihr voraussichtlicher
       Regierungspartner Berlusconi hat sich immer wieder bewundernd über den
       russischen Präsidenten Wladimir Putin geäußert. Salvini lief mit
       Pro-Putin-T-Shirts herum und lehnte die Sanktionen gegen Russland ab. In
       der Schlussphase des Wahlkampfs kritisierte er dann jedoch russische
       Grausamkeiten in der Ukraine.
       
       Die Demokratische Partei (PD) von Ex-Regierungschef Enrico Letta kommt den
       Hochrechnungen zufolge auf unter 20 Prozent, das Mitte-Links-Bündnis aus PD
       und anderen Parteien landet den jüngsten Umfragen zufolge bei etwa 26
       Prozent. Die stellvertretende PD-Chefin Debora Serracchiani gestand den
       Sieg „der Rechten unter Führung Giorgia Melonis“ ein und sprach von einem
       „traurigen Abend für das Land“.
       
       Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) erreichte etwa 15 Prozent der Stimmen und
       verlor damit stark gegenüber ihrem besten Wahlergebnis von mehr als 30
       Prozent im Jahr 2018.
       
       Politikmüde Italiener 
       
       Rund 51 Millionen Italienerinnen und Italiener waren am Sonntag aufgerufen,
       ein neues Parlament zu wählen. Die Wahlbeteiligung fiel auf ein neues
       Rekordtief: 64 Prozent der Wählerinnen und Wähler machten von ihrem
       Stimmrecht Gebrauch. 2018 waren es 73 Prozent, was damals als Rekordtief
       galt. [3][Trotz existenzieller Krisen] wie der vom russischen Angriffskrieg
       in der Ukraine angeheizten Inflation durch drastisch gestiegene
       Energiepreise sahen Meinungsforschungsinstitute eine Politikmüdigkeit: Seit
       der letzten Wahl hat es in Rom drei Regierungen gegeben. Die Wahl ist um
       sechs Monate vorgezogen worden, nachdem die Regierung des populären
       Ministerpräsidenten Mario Draghi im Juli auseinandergebrochen war.
       
       Für Meloni wird es nun trotz des klaren Wahlsiegs eine erhebliche
       Herausforderung, eine stabile Regierung zu bilden. In Italien haben
       Regierungen in der Regel eine kurze Lebensdauer. Wie Meloni es schaffen
       wolle, aus ihrem Wahlsieg ein „dauerhaftes“ Regierungsbündnis zu schmieden,
       sei nun „die große Unbekannte“, sagte Politologe Lorenzo De Sio von der
       Universität Luiss in Rom der Nachrichtenagentur AFP.
       
       Polen und Ungarn senden Glückwünsche 
       
       Nach Europa sendet der rechte Wahlsieg in Italien in jedem Fall
       Schockwellen: Erst vor zwei Wochen waren bei der Parlamentswahl in Schweden
       die rechtsradikalen Schwedendemokraten zur zweitstärksten politischen Kraft
       aufgestiegen und hatten erstmals Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung
       erhoben.
       
       Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Ungarns
       Regierungschef Viktor Orbán übermittelten umgehend ihre „Glückwünsche“ an
       Meloni. „Wir brauchen mehr denn je Freunde, die eine Vision und ein
       gemeinsames Vorgehen Europas teilen“, ergänzte Orbáns politischer Direktor,
       der Abgeordnete Balázs Orbán.
       
       Giorgia Meloni hat lange ausgeharrt. Nach dem Wahlerfolg ihrer
       international misstrauisch beäugten Partei will die EU-Skeptikerin
       regieren, Teil der Geschichte Italiens werden. Sie ist auf dem besten Weg
       dorthin. Für Europa geht es in eine unbekannte Richtung.
       
       26 Sep 2022
       
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