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       # taz.de -- Satire „Triangle of Sadness“ im Kino: „Das ist der Zynismus unserer Zeit“
       
       > Im Film „Triangle of Sadness“ treffen Instagram-Models auf Oligarchen.
       > Regisseur Ruben Östlund spricht über sympathische Reiche und Karl Marx.
       
   IMG Bild: Ein freundliches Oligarchenpaar mit Bauch (Zlatko Buric) und Blond (Carolina Gynning)
       
       Der neue Spielfilm des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund führt vom
       Catwalk über eine Jacht auf eine einsame Insel. Im Mittelpunkt stehen Carl
       und Yaya, die mit Schönheit reich werden wollen. Echten Reichtum erleben
       sie auf einer Luxusjacht, wo Waffenhändler, Dotcom-Milliardäre und
       Oligarchen Spielchen spielen. Bis sie auf einer Südseeinsel stranden.
       [1][In Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet], konfrontiert uns diese
       Satire über die Dekadenz in der Welt mit Abgründen der Gegenwart. 
       
       taz: Herr Östlund, Ihr Film „Triangle of Sadness“ taucht tief ein in die
       Welt von Schönheit, Reichtum und Fashion. Was hat Sie an der Modeindustrie
       gereizt? 
       
       Ruben Östlund: Mich hat die Idee interessiert, dass Schönheit eine Währung
       sein kann, mit der man in einer geschlossenen Gesellschaft aufsteigen kann,
       auch wenn man keine Ausbildung oder kein Geld hat. Wenn man Glück in der
       genetischen Lotterie hat, kann Schönheit ein Ticket nach oben sein. Für
       eine Frau sind Sexualität und Schönheit in einem weiteren Sinne eine
       Währung als für einen Mann. Ich finde es interessant, darüber zu
       diskutieren, erst recht in einer Post-#MeToo-Welt.
       
       Haben Sie denn nach einem besonderen #MeToo-Aspekt gesucht? 
       
       Irgendwie schon. Meine Frau ist Modefotografin. Sie erzählte mir, dass
       männliche Models etwa ein Drittel oder ein Viertel von dem bekommen, was
       weibliche Models verdienen. Dabei müssen auch sie sich ständig mit
       mächtigen Männern in der Branche herumschlagen, die mit ihnen ins Bett
       wollen. Das ist doch ein interessanter Spiegel der [2][#MeToo-Diskussion].
       
       Ihre Hauptfiguren Carl und Yaya arbeiten in der Modebranche und erleben
       diese Disparitäten. Später streiten sie sich in einem Restaurant um die
       Rechnung, wobei konservative Stereotype und feministische Forderungen
       aufeinanderprallen. 
       
       Ich wollte, dass es in dem Film um Schönheit als Währung geht, auch wenn es
       viele andere materialistische Gesichtspunkte gibt. Wenn man sich die
       Erwartungen an Geschlechterrollen anschaut, dann ist das Bezahlen der
       Rechnung im Restaurant ein perfektes Beispiel. Trotz feministischer
       Debatten gibt es stereotype Traditionen, die nicht in Frage gestellt
       werden. Wie etwa das Aufteilen der Rechnung.
       
       Ist das nicht etwas sehr Deutsches, eine Rechnung aufteilen? 
       
       Für mich ist es sehr autobiografisch. Als ich mit [3][„The Square“ in
       Cannes] war, lud ich meine Frau ein, mich zu begleiten. Wir waren damals
       frisch verliebt, ich wollte sie beeindrucken. Also bezahlte ich am ersten
       Abend, am zweiten und auch noch am dritten, aber dann hatte ich das Gefühl,
       dass sie jetzt mal dran wäre. Dankbarerweise sagte sie von sich aus, dass
       sie die nächste Rechnung übernimmt. Als die dann kam, passierte gar nichts.
       Nach einer Weile lehnte ich mich ein wenig vor, um einen Blick drauf zu
       werfen, und sofort sagte sie „Danke Liebling, das ist so lieb von dir.“
       Statt sie daran zu erinnern, dass sie zahlen wollte, habe ich bezahlt und
       innerlich gebebt. Seitdem will ich den Hashtag #IGotBilled für die
       verschiedenen Formen weiblicher Manipulation in den Umlauf bringen.
       
       Diese Szene findet sich fast 1:1 im Film wieder. 
       
       Das Gespräch zwischen Carl und Yaya verläuft etwas anders. Aber ich war
       damals richtig wütend und habe ihr an den Kopf geworfen, dass ich
       gleichberechtigt leben will. Sie warf mir vor, ich sei geizig. Da habe ich
       einen 50-Euro-Schein genommen und ihn in den Fahrstuhlschacht geworfen.
       Später haben wir darüber gelacht.
       
       Das Lachen vergeht einem, wenn man Ihren Figuren folgt. Ihr Weg führt aus
       der Modewelt auf eine Jacht und später auf eine Südseeinsel. 
       
       Ich wollte die sehr starken Hierarchien in der Modewelt und auf der
       Luxusjacht auf den Kopf stellen, indem ich meine Charaktere auf einer
       einsamen Insel stranden lasse. Schönheit und Besitz sind da plötzlich
       nichts mehr wert, plötzlich geht es nur noch darum, zu überleben. Ich mag
       es, mit solchen Wendepunkten zu arbeiten und meine Versuchsanordnungen aus
       neuen Perspektiven zu betrachten. Das gibt der Handlung Energie und schafft
       Möglichkeiten, neue Fragen aufzuwerfen.
       
       Übertreiben Sie nicht etwas, wenn die Crew auf der Jacht nur zum Erfüllen
       der absurdesten Wünsche da ist? 
       
       Nein, das haben wir recherchiert. Crew-Mitglieder anderer Jachten haben uns
       erzählt, dass es relativ häufig vorkommt, dass das Dienstpersonal zum
       Beispiel auf Wunsch der Besitzer schwimmen gehen soll. Diese Geschichte bot
       mir die Möglichkeit, subtil von Ausbeutung zu erzählen. Aber ich habe auch
       ganz andere Geschichten gehört. In einem Fall soll ein Gast einen Tiger auf
       der Jacht gefordert haben – einfach so, zum Vergnügen. Und die Crew von so
       einer Jacht ist nicht dafür da, moralische Fragen zu stellen. Die sagen
       dann nicht nein, sondern fahren in die nächste Hafenstadt mit einem Zoo und
       fragen, was es kostet, einen Tiger zu leihen. Was auf diesen Luxusbooten
       passiert, ist wirklich absolut verrückt.
       
       Fällt deshalb der Satz „Zynismus, der sich als Optimismus tarnt“? 
       
       Na ja, der Satz wirft in vielerlei Hinsicht ein Schlaglicht auf unsere
       Zeit. Ständig geht es darum, sich zu positionieren – mit Gedanken, Werten
       und Normen. Jeder will moralisch integer sein, dabei lässt die liberale
       Marktwirtschaft das doch gar nicht zu. Es ist einfach nicht möglich und
       jeder weiß das. Aber alle tun so, als ob es möglich wäre. Das ist der
       eigentliche Zynismus unserer Zeit.
       
       In Ihrem Film klagt eine reiche Frau, dass das Leben nicht fair und alle
       Menschen gleich seien. Das klingt ein wenig zynisch. 
       
       Irgendwie haben die Linken ihren Marx vergessen. Marx verbrachte viel Zeit
       mit Kapitalisten. Aber er hat nie jemanden dafür kritisiert, reich zu sein.
       Ich wollte in diesem Film dasselbe tun. Ich wollte die reichen Leute nicht
       an den Pranger stellen, sondern sie nett und sympathisch darstellen.
       Außerdem diskutiert der Film die Idee der Philanthropie. Rutger Bregman,
       ein holländischer Wirtschaftswissenschaftler, wurde vor Jahren in Davos von
       einigen Milliardären gefragt, was sie tun können, um die Welt zu
       verbessern. Und er sagte: „Hört auf mit dem Blödsinn und zahlt Steuern.“
       Das Problem ist global, nicht individuell. Wir werden die Probleme der
       Ungleichheit nicht auf individueller Ebene lösen.
       
       In einer Szene werfen sich Woody Harrelson als Kapitän und Zlatko Buric als
       Oligarch Zitate von Karl Marx, Ronald Reagan und Maggie Thatcher an den
       Kopf. Sind Sie ein Fan von Drehbüchern oder schauen Sie eher, was sich am
       Set ergibt? 
       
       Ich brauche beides. Die Szene mit den Zitaten war schon sehr gescriptet.
       Ich habe erst lange nach Zitaten gesucht und dann war es wie ein Puzzle,
       festzulegen, wer wie auf was reagiert. Bei anderen Szenen merkt man, dass
       fixe Dialoge nicht immer funktionieren. Man muss sich am Set eine Offenheit
       bewahren, sonst kommt man nie über das Schreiben hinaus. Dreharbeiten
       sollten aber immer besser sein als das Drehbuch. Und der Schnitt besser als
       die Dreharbeiten. Jeder neue Produktionsschritt ist dafür da, Dinge besser
       zu machen, als man erwartet hat.
       
       In Ihren Filmen gibt es fast keine Nebendarsteller:innen, alle Figuren
       haben eine Wichtigkeit. Wie kommt das eigentlich? 
       
       Ich habe für mich einige Regeln aufgestellt. Eine davon ist, dass keine
       Szene nur Teil eines Puzzles sein sollte. Vielmehr soll jede Szene die
       Qualität oder die Kraft haben, für sich zu stehen. Szenen, die nur dafür da
       sind, die Storyline oder Handlung zu verstehen, fliegen früher oder später
       raus. Wenn man seine Filme auf diese Weise denkt, gibt es keine
       Nebendarsteller:innen. „Triangle of Sadness“ ist in vielerlei Hinsicht ein
       Ensemblefilm, alle Mitwirkenden haben mindestens eine Szene, in der sie
       glänzen können.
       
       13 Oct 2022
       
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